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McCormick Tribune Campus Center am IIT

Ort des Wettbewerbs Chicago/USA
Wettbewerbstyp Einladungswettbewerb als Realisierungswettbewerb in 2 Phasen


Preise
1. Preis Rem Koolhaas/OMA, Rotterdam/NL
Finalist Peter Eisenman, New York/USA
Finalist Zaha Hadid, London
Finalist Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa, Tokio/J
Finalist Helmut Jahn mit Werner Sobek, Chicago/USA, Stuttgart
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Kommentar
Delirious Chicago

Wer in Downtown Chicago ein Taxi ruft, um zum Campus des Illinois Institute of Technology (IIT) zu fahren, erlebt sein blaues Wunder. Die Fahrer winken ab, da ihnen die Strecke entlang der State Street nach Süden zu gefährlich ist. Der Campus liegt wie eine Insel der Seligen inmitten von „schwarzen“ Ghettos, die wegen Armut, Kriminalität und Drogenhandel von weißen Akademikern gemieden werden. Nur eine Hochbahn der „Green line“ rattert quer durch die „No-go-areas“ zum IIT. Zu ihren Füßen wird in naher Zukunft das McCormick Tribune Campus Center nach den Plänen von Rem Koolhaas entstehen.
Das IIT verdankt seine Existenz Philip Armour, einem der größten Kaufleute des florierenden Fleischmarkts. Im Jahr 1940 verschmolzen das Armour Institute of Technology und das Lewis Institute zum IIT. An die Keimzelle erinnern heute nur noch wenige rote Backsteingebäude, wie das Hauptgebäude von Patton& Fisher von 1891. Dominiert wird der Campus von den Bauten Ludwig Mies van der Rohes, der von 1938 bis 1958 Dekan der Architekturfakultät war und nicht nur den städtebaulichen Plan, sondern auch knapp die Hälfte der fünfzig Gebäude auf dem Campus entworfen hat. Die anderen Bauten stammen von Mies-Schülern oder wurden in seinem Geist gebaut. Das IIT verstand sich lange Zeit als „Mies-Schule“, die sein Angedenken bewahrt und seine Prinzipien weitervermittelt. Darin lag einerseits ein großes Verdienst, andererseits die Gefahr der Erstarrung.
Das Gesicht des Areals wird sich
bald grundlegend ändern. Im November 1996 wurde ein internationaler Wettbewerb zum Neubau eines Campus Centers ausgeschrieben, der im Februar 1998 entschieden wurde. 56 Koryphäen der zeitgenössischen Architektur waren zur Teilnahme eingeladen worden, darunter Tadao Ando, Arata Isozaki, Toyo Ito, Fumihiko Maki, Ryue Nishizawa und Kazuyo Sejima aus Japan, FOA, Norman Foster, Zaha Hadid, Herzog&de Meuron, Daniel Libeskind, Enric Miralles, Alvaro Siza, Jean Nouvel, Dominique Perrault, Renzo Piano, Rafael Moneo und Rem Koolhaas/OMA aus Europa sowie Peter Eisenman, Frank Gehry, John Hejduk, Stephen Holl, Helmut Jahn, Philip Johnson, Greg Lynn, Richard Meier, Eric Owen Moss, Roche&Dinkeloo, SOM, Michael Sorkin, Stanley Tigerman, Bernard Tschumi und Venturi–Scott Brown aus den USA. Eine so prominent besetzte Konkurrenz hat die Stadt zum letzten Mal beim Wettbewerb für den Chicago Tribune Tower (1922) erlebt.
Fünf der 39 Teilnehmer gelangten in die zweite Runde: neben Rem Koolhaas auch Peter Eisenman, Zaha Hadid, Helmut Jahn (mit Werner Sobek) sowie Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa. Die Jury (Vorsitz: Mack Scogin, Atlanta) entschied sich für den Entwurf Koolhaas’, der seinem zweiten großen Auftrag in den USA entgegensieht (im März 1997 entschied die MCA, ihn zum Masterplaner für die Universal City – das Hauptquartier des Medienkonzerns – in Los Angeles zu wählen).
Der Wettbewerb für das Campus Center ist nicht nur wegen der Starbesetzung einer der interessantesten der letzten Jahren in den USA, sondern auch, weil er exemplarisch für den Umgang mit dem Erbe der klassischen – europäischen – Moderne steht. Mies’ Campus-Entwürfe sind einerseits Meilensteine der modernen Architektur, andererseits aber auch Stein des Anstoßes für eine Kritik an der Moderne. Mies hat insgesamt drei Entwürfe für den IIT-Campus angefertigt. Der erste von 1939 sah eine weitgehend symmetrische Anlage mit einer Straße als Spiegelachse vor. Wenige Blöcke waren um einen weiten Außenraum gruppiert; je zwei Blöcke wurden zusammengefaßt. Der zweite Entwurf von 1940 sah eine weitere Straße vor, die sich mit der ersten kreuzt. Die Symmetrie war in diesem Entwurf bereits stärker aufgelöst. Aber erst im dritten Entwurf von 1942 unterlegte Mies dem Campus ein Raster, das einer Teilung des typischen Gitternetzes („Chicago Grid“) in Module entspricht. Gebäude und Freiräume standen dabei in einem gleichberechtigten Dialog. Die drei Entwürfe zeigen die beiden Pole von Mies’ Schaffen: asymmetrische, eher suprematistisch inspirierte Entwürfe auf der einen Seite, die Denkweise der Schinkelschule auf der anderen Seite.
Abgesehen von zwei kleineren „Research Buildings“, wurde 1946 das erste große Gebäude, die Alumni Memorial Hall, fertiggestellt. Mies entwarf in der Folge u.a. vier „Halls“, drei Wohnhochhäuser in Betonbau und die St. Savior-Kapelle („God Box“). Die „Crown Hall“, das
Gebäude der Architekturfakultät (1952–56), läßt sich als Vorläufer der Neuen Nationalgalerie in Berlin interpretieren. Sie bekrönt den gesamten Campus, obwohl sie aufgrund von Veränderungen an Mies’ städtebaulichem Plan mit ihrer Rückseite repräsentiert.
Die Gebäude liegen als rechtecki-
ge Kisten entlang der South State Street (zwischen der 31st und 35th Street). Sie beruhen ausnahmslos auf schwarzen Stahlgerüsten, die mit Backstein bzw. mit Glas ausgefacht wurden. Westlich der State Street befinden sich die Gebäude für Lehre und Forschung, östlich die Wohn-, Sport- und Freizeitgebäude.
Nach Mies’ Absetzung 1958 und auch noch nach seinem Tod 1969 entstanden weitere Gebäude, die überwiegend von Architekten aus dem Büro von SOM entworfen wurden. Sie folgen dem städtebaulichen Plan von Mies und stellen lediglich Variationen seines Vokabulars dar – wie die Bibliothek von Walter Netsch oder „Keatinghall“ von Myron Goldsmith. Gerade Mies’ Universalität hat die posthume Kontinuität möglich gemacht. Sie birgt jedoch auch die Gefahr des schlechten Plagiats. Am IIT-Campus, dem unmittelbarsten Dokument der Wertschätzung von Mies in den USA, entzündete sich früh die Kritik: Joseph Ryckwert charakterisierte den Campus schon 1949 als „slick, lucid, sickening scheme“.
Das IIT hat stets Studenten aus Europa und aller Welt angezogen. Helmut Jahn, der prominenteste unter ihnen, lehrt heute an seiner Alma Mater. Erst in den 90er Jahren erlebte das IIT einen Umbruch. Die Zeitgenossen von Mies und dessen Schüler der „ersten Generation“ traten ab, Donna V. Robertson, die neue Dekanin des Fachbereichs Archi-
tektur, trieb die Computerisierung voran, und in der Lehre, die lange von Mies geprägt war, änderten sich die Konzepte. Visual Training, die berühmte „Sehschule“ von Walter Peterhans etwa, wurde aus dem Curriculum genommen.
Die Kenntnis dieser Vorgeschichte ist wichtig, um die Qualitäten von Koolhaas’ Vorschlag zu begreifen. Der Entwurf versucht, als Bindeglied die „academic and residential corridors“ miteinander zu verbinden. Das etwa 10000 Quadratmeter große Gebäude soll Platz für Studentenorganisationen, Speiseräume, Unterhaltungs- und Einzelhandelsflächen, Konferenzräume, ein virtuelles Museum und einen Buchladen enthalten.
Der Bau wäre ohne Sponsoring, der amerikanischen Art des Ablaßhandels, nicht möglich. Der Wettbewerb wurde von der Richard H. Driehaus Foundation finanziert. Von den auf 25 Millionen Dollar veranschlagten Baukosten werden je zehn Millionen Dollar von den Milliardären Jay und Robert Pritzker und von der Tribune Foundation übernommen. Das Campus Center ist Teil eines 250 Millionen Dollar teuren Ausbauprogramms des IIT, das ebenfalls zur Hälfte durch eine Spende von Robert Pritzker gedeckt wird. Es wird zwischen der 31st und 32nd Street östlich der State Street errichtet und soll einen Bezugspunkt für die eleganten, aber autistisch in unwirtlicher Umgebung stehenden Gebäude des Bestands bilden. Der Neubau wird die ganze Länge des Blocks an der Nordostecke der Kreuzung einnehmen und (wie die Crown Hall) einstöckig sein.
Koolhaas’ Strategie war es, einerseits mit der rechteckigen Form, die Mies für die Gebäude vorgegeben hat, dem städtebaulichen Plan zu folgen, andererseits mit dem ersten Neubau auf dem Campus seit 25 Jahren die architektonische Tradition zu brechen. Das „Commons Building“, das bisher die Funktion eines „sozialen Mittelpunkts“ übernahm, wird in den Neubau integriert.
Das neue Campus Center liegt direkt unter der für Chicago charakteristischen Trasse der Hochbahn „E1“, die aus Lärmschutzgründen von einer Stahlröhre eingefaßt werden soll. Vier diagonale Wege (dort, wo heute Trampelpfade sind) durchkreuzen das Gebäude, das auch eine Bowlingbahn und ein Basketballfeld beinhaltet.
Das hybride Raumprogramm muß Koolhaas entgegengekommen sein. Sein Entwurf wurde nicht zuletzt deshalb ausgewählt, weil es ihm gelingt, „urbane Intensität“ zu schaffen. Eine „culture of congestion“, mit der der Architekt berühmt geworden ist, wurde dem ehemaligen Judenviertel mit seiner kleinteiligen Reihenhausbebauung gründlich geraubt.
Zusätzlich waren Vorschläge für ein neues Studentenwohnheim gefragt. Koolhaas ordnet Läden entlang der 33rd Street an. Daran knüpft sich die Hoffnung auf eine Revitalisierung der umgebenden Bronzeville Neighbourhood. Der Aufwertung der Gegend soll auch der Bau einer neuen Polizeiwache in der 35th Street südlich des Campus dienen. Der Baubeginn für das Campus Center ist schon für das nächste Jahr vorgesehen, im Frühjahr 2000 soll es fertiggestellt sein.
Koolhaas’ Konzept, auf „Mies’ legacy“ im wahrsten Sinne des Wortes aufzubauen, brachte den Mies-Enkel und Chicagoer Architekten Dirk Lohan dazu, sich in der Chicago Tribune mit den schlichten Worten zitieren zu lassen: „I’m happy with it.“ In der gleichen Zeitung konnte es sich der Architekturkritiker Blaire Kamin nicht verkneifen, seine (vermeintlich) sportbegeisterten Chicagoer Leser darauf hinzuweisen, daß „Koolhaas groß genug wäre, um ein Stürmer bei der NBA zu werden“. Das ist in den USA als Ausdruck höchster Wertschätzung zu verstehen!
Ulf Meyer

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