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Lichterfelde-Süd
Ort des Wettbewerbs | Berlin |
Wettbewerbstyp | Städtebaulicher Realisierungswettbewerb |
Preise
1. Preis (27 000 DM) |
aru – Beigel, London/GB Mitarbeiter: Benito, Christou, Esteva, Khadivi, Bayona Mas, du Mesnil, Sanchez, Beard, Härtel, Katzke, Lamm, Belaguer Montaner, Plana Ponte, Bickers, Bouariche, Hyde, Matthews, Walker Sonderfachleute: Landschaftspl.: Arup Environmental – Ellis, London; Sonderf.: Arup Environmental – Scanton, London. |
2. Preis (18 000 DM) |
Libeskind, Berlin Mitarbeiter: Brown, Hansen, Hellman, Masek, Michaeli, Pflumm, Stockwell, Uehara, Kehl, Reimann, Bernhard, Kruse Sonderfachleute: Landschaftspl.: Atelier Loidl – Gräbner, Berlin; Sonderf.: FGS – Höppner, Berlin. |
3. Preis (10 500 DM) |
Mayr, Wien Mitarbeiter: Schrattenecker, Fox, Kusztrich, Gruber, Neureiter Sonderfachleute: Ivancsics, Wien; Werner Consult – Werner, Wien |
Die Wettbewerbe im BauNetz sind ein Service der Bauwelt-Redaktion.
Kommentar
Das über 115 Hektar große Gebiet Lichterfelde-Süd liegt direkt am südwestlichen Stadtrand Berlins und stellte zu Mauerzeiten eine der letzten Freiraumreserven in Westberlin dar. Die Reichsbahn erwarb das Gelände 1938, um dort ein Ausbesserungswerk zu errichten, das jedoch nie gebaut wurde. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Areal als Arbeits- und Gefangenenlager. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 wurde ein Großteil der Flächen von der US-Army beschlagnahmt, um dort eine Geisterstadt
für Häuserkampfmanöver einzurichten. Mit dem Abzug der Truppen 1990 rückte das Gebiet in das Blickfeld der Stadtplaner. Es befindet sich heute überwiegend im Besitz der EIM, der 1996 gegründeten Eisenbahn Immobilien Management GmbH. Zusammen mit einem Developer, dem Bezirk und dem Senator für Bau- und Wohnungswesen war 1997 ein zweistufiger städtebaulicher Realisierungswettbewerb ausgelobt worden, der jetzt entschieden wurde.
Vorgesehen sind etwa 3280 Wohnungen auf knapp der Hälfte der Fläche, davon 350 Häuser für Bundesbedienstete. Etwa ein Zehntel der Flächen ist für Gewerbe reserviert, zusätzlich sollen fünf Kitas und eine Schule errichtet werden. Das große Quartier mit zukünftig etwa 10000 Einwohnern hat damit den Maß-
stab einer Kleinstadt. Ein neuer S-Bahnanschluß bis Lichterfelde-Süd schafft die Voraussetzung zur Bebauung des Areals neben der „Thermometersiedlung“. Als Teil der „Eigentumsinitiave“ des Berliner Senats wird die Bebauung ausschließlich privat finanziert, wie auch schon der Wettbewerb.
In der ersten Stufe des Wettbewerbs gingen 323 Bewerbungen ein, von denen 35 zur Teilnahme ausgelost wurden. Sieben weitere Büros waren zugeladen worden. Zugelassen waren lediglich Arbeitsgemeinschaften aus Architekten, Landschaftsplanern und Ingenieuren. Ab der Zwischenrun-
de war das Verfahren nicht mehr anonym, 14 Teilnehmer kamen in die zweite Runde. Die Jury unter Vorsitz von Peter Kulka, Dresden, verlieh drei Preise an ganz unterschiedliche städtebauliche Lösungsansätze. Sie lassen sich grob als „Felder“, „Inseln“ und „Kante“ beschreiben. Den dritten Preis erhielt Ernst Mayr aus Wien für einen Entwurf, der eine strenge Stadtkante ausbildet und darüber „einen Ost-West-Dialog herstellen“ will zwischen (Berliner) Stadt und (Brandenburger) Land. Denn die Stadtkante rahmt auf drei Seiten eine große viereckige Frei-
fläche im Zentrum der Anlage. Mayr legte einen Entwurf vor, der wohl-
überlegt ist und vollständig in
die Stimmannsche Städtebaudoktrin paßt. Er steht im Kontext der Stadterweiterungen in Berlin der letzten Jahre wie Buch, Karow, Rudower Felder oder der Wasserstadt. Weil sich bei diesen Gebieten jedoch Vermietungsprobleme abzeichnen, war dem Investor an einer abweichenden Konzeption gelegen. Die Jury geißelte Mayrs Ansatz als „stereotyp“.
In starkem Kontrast dazu steht der 2. Preis, den Daniel Libeskind aus Berlin erhielt. Libeskind schuf im wahrsten Sinne des Wortes eine „collage city“, die, anders als Mayrs Entwurf, der sich hauptsächlich
vom S-Bahnhof her entwickelt, von der Osdorfer Straße im Osten des Geländes her aufgebaut ist. An der Osdorfer Straße ist ein „Tornado“ genanntes Merkzeichen am Eingang der Stadt geplant. Von dieser Einfallstraße ins Zentrum führt eine
geschlängelte Straße in das Neubaugebiet. Wie eine typische amerika-
nische Suburb-Straße verbindet sie ganz unterschiedliche städtebauliche Inseln oder Schollen miteinander. Diese Inseln tragen Namen wie Turbine, Kasbah, Cliff, Quilt, Pier, Düne und Gateway und beziehen ihre jeweilige Inspiration aus eben diesen Bildern. Ihr Zusammenhang ist lose. Denn guten Städtebau zeichnet Libeskind zufolge aus, daß „alles offen und möglich“ ist. Nicht weniger als einen „Platz des neuen Jahrhunderts“ möchte er schaffen, einen „place to live, work and play“. Die Inseln schaffen en passant eine Oberflächenvergrößerung zwischen Siedlung und offener Landschaft
– im Gegensatz zu Mayrs Entwurf –, die für ein „Equilibrium zwischen Stadt und Land“ sorgen soll.
Die Entscheidung zwischen erstem und zweitem Preisträger fiel denkbar knapp aus. Den ersten Preis erhielt Florian Beigel aus London, an dessen Entwurf die Jury besonders schätzte, daß er (anders als Libeskind) „viele verschiedene architektonische Handschriften zuläßt“. Beigel hat seinen Entwurf zusammen mit der „architecture research unit (aru)“ der University of Northern London erarbeitet und die Ergebnisse eines dreijährigen Forschungsprojektes in seine Arbeit einfließen lassen. Für den Wettbewerb hat er eine gemischte Gruppe aus Akademikern und professionellen Beratern zusammengestellt. Seine Idee war eine „Architektur der Wahl“, während „die Landschaft von allen geteilt“ wird. Für seinen Entwurf waren drei Parameter ausschlaggebend: „Der Bestand, der Bestand und der Bestand.“ Er hat nach eigener Aussage „ausgiebig auf dem Gelände herumgeschnüffelt“ und (Bau-)Felder geschaffen, die auf der ehemaligen Feldflur basieren. Beigel sieht zwei wesentliche Baugebiete nördlich und südlich eines großen Bereichs unberührter Natur vor, der die angestrebte „Symbiose mit der Landschaft“ liefern soll. Der Architekt arbeitet mit einer Analogie zur Landwirtschaft und teilt die Baulose wiederum in kleinere Felder auf, damit überschaubare Nachbarschaften mit hohem Wohnwert entstehen. Dieser sensible Umgang mit der Topographie und Vegetation zeichnet auch Beigels Expo-Projekt für den Braunkohletagebau südlich von Leipzig aus. Die Jury des Wettbewerbs in Berlin, die ihr besonderes Augenmerk auf Wohnungsschlüssel und Erschließung richtete, hob an seinem Konzept hervor, daß es angesichts der zu erwartenden Bauzeit von mindestens acht Jahren „robust und flexibel“ ist, eine sinnvolle Abschnittsbildung ermöglicht und im Zentrum der Anlage die „Wildheit beläßt“. Beigel sieht zur Hälfte Geschoßwohnungsbau und zur Hälfte Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser vor. Die Gebäude sind überwiegend in parallelen Reihen zueinander angeordnet, die von den Diagonalen der Erschließung durchbrochen werden. Kritisiert wurden der Schulstandort direkt am S-Bahnhof und die mangelnde verkehrliche Verbindung der beiden Teile. Der erste und dritte Preisträger gehörten übrigens nicht zu den eingeladenen Architekten.
Weil die Arbeiten im Niveau ihrer Bearbeitung „eher einem Ideenwettbewerb“ entsprechen, wie ein Vertreter des Bezirks monierte, wird der Baubeginn des ersten der fünf Teilgebiete nicht vor Anfang 2000 stattfinden. Diskutiert wird gegenwärtig, ob bei der Umsetzung des Entwurfs auf das klassische Bebauungsplanverfaren verzichtet werden kann.
Als Juryvorsitzender reklamierte Peter Kulka für sich, eine „Schallmauer in Berlin durchbrochen“ zu haben. Einen Entwurf zu wählen, der mit dem Berliner Reizwort „Stadtlandschaft“ argumentiert, hält Kulka scheinbar für eine kleine Palastrevolte hin zum „experimentellen Städtebau“.
Ulf Meyer
Das über 115 Hektar große Gebiet Lichterfelde-Süd liegt direkt am südwestlichen Stadtrand Berlins und stellte zu Mauerzeiten eine der letzten Freiraumreserven in Westberlin dar. Die Reichsbahn erwarb das Gelände 1938, um dort ein Ausbesserungswerk zu errichten, das jedoch nie gebaut wurde. Während und nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Areal als Arbeits- und Gefangenenlager. Nach dem Aufstand vom 17. Juni 1953 wurde ein Großteil der Flächen von der US-Army beschlagnahmt, um dort eine Geisterstadt
für Häuserkampfmanöver einzurichten. Mit dem Abzug der Truppen 1990 rückte das Gebiet in das Blickfeld der Stadtplaner. Es befindet sich heute überwiegend im Besitz der EIM, der 1996 gegründeten Eisenbahn Immobilien Management GmbH. Zusammen mit einem Developer, dem Bezirk und dem Senator für Bau- und Wohnungswesen war 1997 ein zweistufiger städtebaulicher Realisierungswettbewerb ausgelobt worden, der jetzt entschieden wurde.
Vorgesehen sind etwa 3280 Wohnungen auf knapp der Hälfte der Fläche, davon 350 Häuser für Bundesbedienstete. Etwa ein Zehntel der Flächen ist für Gewerbe reserviert, zusätzlich sollen fünf Kitas und eine Schule errichtet werden. Das große Quartier mit zukünftig etwa 10000 Einwohnern hat damit den Maß-
stab einer Kleinstadt. Ein neuer S-Bahnanschluß bis Lichterfelde-Süd schafft die Voraussetzung zur Bebauung des Areals neben der „Thermometersiedlung“. Als Teil der „Eigentumsinitiave“ des Berliner Senats wird die Bebauung ausschließlich privat finanziert, wie auch schon der Wettbewerb.
In der ersten Stufe des Wettbewerbs gingen 323 Bewerbungen ein, von denen 35 zur Teilnahme ausgelost wurden. Sieben weitere Büros waren zugeladen worden. Zugelassen waren lediglich Arbeitsgemeinschaften aus Architekten, Landschaftsplanern und Ingenieuren. Ab der Zwischenrun-
de war das Verfahren nicht mehr anonym, 14 Teilnehmer kamen in die zweite Runde. Die Jury unter Vorsitz von Peter Kulka, Dresden, verlieh drei Preise an ganz unterschiedliche städtebauliche Lösungsansätze. Sie lassen sich grob als „Felder“, „Inseln“ und „Kante“ beschreiben. Den dritten Preis erhielt Ernst Mayr aus Wien für einen Entwurf, der eine strenge Stadtkante ausbildet und darüber „einen Ost-West-Dialog herstellen“ will zwischen (Berliner) Stadt und (Brandenburger) Land. Denn die Stadtkante rahmt auf drei Seiten eine große viereckige Frei-
fläche im Zentrum der Anlage. Mayr legte einen Entwurf vor, der wohl-
überlegt ist und vollständig in
die Stimmannsche Städtebaudoktrin paßt. Er steht im Kontext der Stadterweiterungen in Berlin der letzten Jahre wie Buch, Karow, Rudower Felder oder der Wasserstadt. Weil sich bei diesen Gebieten jedoch Vermietungsprobleme abzeichnen, war dem Investor an einer abweichenden Konzeption gelegen. Die Jury geißelte Mayrs Ansatz als „stereotyp“.
In starkem Kontrast dazu steht der 2. Preis, den Daniel Libeskind aus Berlin erhielt. Libeskind schuf im wahrsten Sinne des Wortes eine „collage city“, die, anders als Mayrs Entwurf, der sich hauptsächlich
vom S-Bahnhof her entwickelt, von der Osdorfer Straße im Osten des Geländes her aufgebaut ist. An der Osdorfer Straße ist ein „Tornado“ genanntes Merkzeichen am Eingang der Stadt geplant. Von dieser Einfallstraße ins Zentrum führt eine
geschlängelte Straße in das Neubaugebiet. Wie eine typische amerika-
nische Suburb-Straße verbindet sie ganz unterschiedliche städtebauliche Inseln oder Schollen miteinander. Diese Inseln tragen Namen wie Turbine, Kasbah, Cliff, Quilt, Pier, Düne und Gateway und beziehen ihre jeweilige Inspiration aus eben diesen Bildern. Ihr Zusammenhang ist lose. Denn guten Städtebau zeichnet Libeskind zufolge aus, daß „alles offen und möglich“ ist. Nicht weniger als einen „Platz des neuen Jahrhunderts“ möchte er schaffen, einen „place to live, work and play“. Die Inseln schaffen en passant eine Oberflächenvergrößerung zwischen Siedlung und offener Landschaft
– im Gegensatz zu Mayrs Entwurf –, die für ein „Equilibrium zwischen Stadt und Land“ sorgen soll.
Die Entscheidung zwischen erstem und zweitem Preisträger fiel denkbar knapp aus. Den ersten Preis erhielt Florian Beigel aus London, an dessen Entwurf die Jury besonders schätzte, daß er (anders als Libeskind) „viele verschiedene architektonische Handschriften zuläßt“. Beigel hat seinen Entwurf zusammen mit der „architecture research unit (aru)“ der University of Northern London erarbeitet und die Ergebnisse eines dreijährigen Forschungsprojektes in seine Arbeit einfließen lassen. Für den Wettbewerb hat er eine gemischte Gruppe aus Akademikern und professionellen Beratern zusammengestellt. Seine Idee war eine „Architektur der Wahl“, während „die Landschaft von allen geteilt“ wird. Für seinen Entwurf waren drei Parameter ausschlaggebend: „Der Bestand, der Bestand und der Bestand.“ Er hat nach eigener Aussage „ausgiebig auf dem Gelände herumgeschnüffelt“ und (Bau-)Felder geschaffen, die auf der ehemaligen Feldflur basieren. Beigel sieht zwei wesentliche Baugebiete nördlich und südlich eines großen Bereichs unberührter Natur vor, der die angestrebte „Symbiose mit der Landschaft“ liefern soll. Der Architekt arbeitet mit einer Analogie zur Landwirtschaft und teilt die Baulose wiederum in kleinere Felder auf, damit überschaubare Nachbarschaften mit hohem Wohnwert entstehen. Dieser sensible Umgang mit der Topographie und Vegetation zeichnet auch Beigels Expo-Projekt für den Braunkohletagebau südlich von Leipzig aus. Die Jury des Wettbewerbs in Berlin, die ihr besonderes Augenmerk auf Wohnungsschlüssel und Erschließung richtete, hob an seinem Konzept hervor, daß es angesichts der zu erwartenden Bauzeit von mindestens acht Jahren „robust und flexibel“ ist, eine sinnvolle Abschnittsbildung ermöglicht und im Zentrum der Anlage die „Wildheit beläßt“. Beigel sieht zur Hälfte Geschoßwohnungsbau und zur Hälfte Einzel-, Doppel- und Reihenhäuser vor. Die Gebäude sind überwiegend in parallelen Reihen zueinander angeordnet, die von den Diagonalen der Erschließung durchbrochen werden. Kritisiert wurden der Schulstandort direkt am S-Bahnhof und die mangelnde verkehrliche Verbindung der beiden Teile. Der erste und dritte Preisträger gehörten übrigens nicht zu den eingeladenen Architekten.
Weil die Arbeiten im Niveau ihrer Bearbeitung „eher einem Ideenwettbewerb“ entsprechen, wie ein Vertreter des Bezirks monierte, wird der Baubeginn des ersten der fünf Teilgebiete nicht vor Anfang 2000 stattfinden. Diskutiert wird gegenwärtig, ob bei der Umsetzung des Entwurfs auf das klassische Bebauungsplanverfaren verzichtet werden kann.
Als Juryvorsitzender reklamierte Peter Kulka für sich, eine „Schallmauer in Berlin durchbrochen“ zu haben. Einen Entwurf zu wählen, der mit dem Berliner Reizwort „Stadtlandschaft“ argumentiert, hält Kulka scheinbar für eine kleine Palastrevolte hin zum „experimentellen Städtebau“.
Ulf Meyer