https://www.baunetz.de/wettbewerbe/Gedenkort_fuer_die_Opfer_politischer_Gewaltherrschaft_am_Fort_Zinna_aktualisiert__98462.html

Hintergrund: Spuren des Unrechts

„Wer nicht pariert, wird liquidiert!" NS- Militärjustiz in Torgau (1936-1945)

Der Händedruck des amerikanischen Second Lieutenants Bill Robertson und des sowjetischen Sergeanten Nikolaj Andrejew am 25. April 1945 auf den Trümmern der Torgauer Elbebrücke (A) symbolisierte nicht allein den Sieg der Alliierten über das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Die Begegnung bedeutete gleichzeitig das Ende für Torgau als Zentrale des Wehrmachtstrafsystems. Ende 1939 befanden sich hier zwei von insgesamt acht Wehrmachtgefängnissen Deutschlands: das Fort Zinna (E), von 1936 bis 1938 zum größten und modemsten Gefängnis der Wehrmacht ausgebaut, und das Gefängnis Brückenkopf (B). Besondere Bedeutung erlangte Torgau als Uberprüfungsstelle für kriegsgerichtlich verurteilte Soldaten, die zur “Frontbewährung" bei der „Bewährungstruppe 500" bestimmt waren, sowie als Aufstellungsort der berüchtigten „Feldstraflager" I und 11. In ihnen wurden besonders häufig Gefangene willkürlich erschossen oder durch Hunger, Drill und Mißhandlung zu Tode gequält, weshalb man sie unter Militärjuristen auch als „Konzentrationslager der Wehrmacht" bezeichnete. Seit August 1943 residierte zudem das Reichskriegsgericht, die höchste Instanz der Wehrmachtjustiz, in der Torgauer Zieten-Kaserne.

In Torgau litten Tausende von Verurteilten deutscher Militärgerichte, etwa Friedrich Bicker, ein Angehöriger der Glaubensgemeinschaft „Zeugen Jehovas", der es im Frühjahr 1944 ablehnte, an einem Exekutionskommando teilzunehmen und dafür vom Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt wurde. Der Soldat Stefan Hampel wurde wegen Fahnenflucht verurteilt, nachdem er 1942 Zeuge einer Massenerschießung von Juden in Weißrußland geworden und anschließend desertiert war. General Oskar Ritter von Niedermayer, Gegner des Krieges gegen die UdSSR, wurde wegen „wehrkraftzersetzender Äußerungen" 1944 im Fort Zinna inhaftiert. Zu den Gefangenen gehörten Angehörige der Widerstandsorganisation „Rote Kapelle", systemkritische Pfarrer, aber auch wegen krimineller Delikte verurteilte Soldaten. Je länger der von Deutschland begonnene Krieg dauerte und je aussichtsloser der Kampf wurde, desto drakonischer bekämpfte die NS-Militärjustiz die Kriegsmüdigkeit in der Wehrmacht und die wachsende Opposition. Mehr als eine Million deutscher Soldaten wurde von ihr verurteilt, 20.000 davon wurden hingerichtet. Zum Vergleich: im selben Zeitraum vollstreckten die westlichen Alliierten in ihren eigenen Reihen insgesamt ca. 300 militärgerichtliche Todesurteile. In Torgau wurden wahrscheinlich 1.000 Wehrmachtgefangene ermordet: in der Süptiker Kiesgrube am Westrand der Stadt (D), im Wallgraben des Fort Zinna (E) oder auf dem Brückenkopf (B). Zwar wurden die Kommandanten der beiden Wehrmachtgefängnisse, Heinrich Remlinger und Friedrich Heinecke, nach dem Kriege zum Tode verurteilt und hingerichtet, doch blieb die Mehrzahl der Täter straffrei.

„Feindliche Elemente sind in Gewahrsam zu halten"
Sowjetische NKWD-Speziallager in Torgau (1945-1948)

Von September bis Dezember 1945 füllte sich das Fort Zinna—konzipiert für maximal 1.000 Gefangene—mit gut 7.000 Menschen, die von sowjetischen Sicherheitsorganen in der Provinz Sachsen als „feindliche Elemente" verhaftet worden waren. In das Speziallager Nr. 8 „zur völligen Isolierung" eingewiesen, vegetierten sie bei einem Stück Brot pro Tag und dünner Suppe, bei erzwungener Beschäftigungslosigkeit und unzureichender medizinischer Betreuung in den völlig überfüllten Zellen des Haftgebäudes, in eilig errichteten Holzbaracken und in den Kasematten der ehemaligen Festung. In der Mehrheit hatten sie das NS-Regime sicherlich eher gestützt als bekämpft, doch wer von ihnen individuelle, strafrechtlich relevante Schuld auf sich geladen hatte, wurde von der sowjetischen Geheimpolizei nie untersucht. Unter den Gefangenen befanden sich der Chef des Kriegsgefangenenwesens General von Graevenitz, der Wemigeröder Bürgermeister Ulrich Fresenius, Jugendliche, die der „Werwolf"-Tätigkeit verdächtigt wurden, sowie eine große Anzahl von Block-, Zellen- und Ortsgruppenleitern der NSDAP. Im März 1946 wurde das Lager in die benachbarte Seydlik-Kaserne (F) verlegt und dort bis zu seiner Auflösung im Januar 1947 betrieben; die Gefangenen wurden in die Speziallager Buchenwald und Mühlberg überführt. Das im Mai 1946 erneut eingerichtete Fort Zinna diente von September 1946 bis Juni 1948 unter der Bezeichnung „Speziallager Nr. 10" als Durchgangsgefängnis für die Verschickung sowjetischer Staatsbürger, die von sowjetischen Militärtribunalen (SMT) wegen Kollaboration mit den Deutschen, Desertion, Plünderung oder Vergewaltigung verurteilt worden waren, in die sowjetischen Zwangsarbeitslagerkomplexe Workuta, Petschora, Nowokusnezk und andere. Aber auch deutsche SMT-Verurteilte, in keinen rechtsstaatlichen Anforderungen genügenden Schnellverfahren mit 10 bis 25 Jahren „Besserungsarbeitslager“ bestraft, waren unter den Gefangenen. Nur eine Minderheit von ihnen hatte Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen oder aktiv Widerstand gegen die sowjetische Nachkriegspolitik geleistet; die meisten waren den Sicherheitsorganen einfach verdächtig erschienen. So wurde der siebzehnjährige Benno Prieß im Mai 1946 verhaftet und als angeblicher „Werwolf“ zusammen mit anderen Jugendlichen zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt, die er teilweise in Torgau verbüßte. Gefangener im Fort Zinna war auch der Sozialdemokrat Hans Corbat, der Anfang April 1946 aus der SPD austrat, um nicht in die SED übernommen zu werden. Er wurde wegen „Spionage" und „antisowjetischer Propaganda" zu 20 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. In Torgau war aber auch Stella Kübler inhaftiert, eine Jüdin, die, um ihre Elftem vor der Deportation zu bewahren, untergetauchte Juden bei der Gestapo denunzierte und dafür von einem SMT mit 10 Jahren Freiheitsentzug bestraft wurde. Insgesamt starben nach sowjetischen Angaben von 1945 bis 1948 in den Torgauer Speziallagern 800 bis 850 Menschen, 130 davon wurden durch Erschießen hingerichtet. Die Toten wurden auf dem Gelände des Gefängnisses oder in seiner unmittelbaren Nähe anonym verscharrt.

„Sozialistischer Strafvollzug" in Torgau
(1950-1989)

Ende Januar 1950 übernahm die Deutsche Volkspolizei das Fort Zinna für den Strafvollzug an denjenigen SMT-Verurteilten, die bei Auflösung der letzten drei Speziallager an das Innenministerium der DDR übergeben worden waren. Im ersten Jahr nach der Übernahme durch die Volkspolizei starben— geschwächt durch die jahrelange Lagerhaft— 115 Häftlinge vor allem an Tuberkulose, unzureichenden Lebensbedingungen und möglicherweise auch an schweren Mißhandlungen, die 1950 in Torgau an der Tagesordnung waren. In der Folgezeit wurden auch zunehmend Verurteilte von DDR-Gerichten inhaftiert: erneut „Zeugen Jehovas" und systemkritische Pfarrer, im Rahmen der Entnazifizierung Verurteilte, „Wirtschaftsverbrecher“ und gewöhnliche Straftäter. Seit 1990 befindet sich im Fort Zinna eine Justizvollzugsanstalt des Freistaates Sachsen.