Interview
Das Büro von Ziegert Roswag Seiler Architekten Ingenieure liegt in der Lehrter Straße 57 in Berlin. Vorn an der Straße steht das neue Atelier der Künstlerin Katharina Grosse, ein Betonmonolith von Augustin und Frank. In den drei älteren Ziegelbauten dahinter, einer ehemaligen Uniformschneiderei für Preußische Soldaten arbeiten viele Architekturbüros, Handwerker und Filmleute, auch Sauerbruch Hutton und die Künstler Via Lewandowski und Karin Sander. Für unser Gespräch aber hat das Büro nach Hause eingeladen, in einen idyllisch verwachsenen Hinterhof in Berlin Mitte. Hier hat Eike Roswag vor mehr als zehn Jahren den ruinösen Seitenflügel eines Gründerzeithauses vor dem Abriss bewahrt, eine Dachterrasse aufgesetzt und eine seiner ersten Lehmwände gestampft. Der Holztisch, an dem wir sitzen, sieht aus, als hätte er schon viele fröhliche Abende und anregende Gespräche erlebt.
Soll ich Euch als Ökobüro vorstellen?
Eike Roswag
Wir sind Öko, ganz klar. Diese Schublade ist groß, sie wird größer und vielfältiger. Wir
sind keine Fundis und haben sicher nicht die Wahrheit gepachtet. Wir haben eine
klare Position, die offen ist für Neues. Es ist die Suche nach etwas, das wir intelligente
Low-Tech-Lösungen nennen würden. Wir teilen mitunter aber auch die Faszination
für ein perfektes, schnelles Auto oder Motorrad.
Also doch nicht 100 Prozent Öko?
Christof Ziegert
Ständig Fliegen, um eine ökologische Bauweise unter die Menschen zu bringen, ist
ein Widerspruch, mit dem ich kämpfe. Warum bauen wir Schulen in Bangladesch,
Mosambik und Marokko? Warum sanieren wir in Abu Dhabi Lehmburgen? Weil es
tatsächlich ganz wenige Fachleute auf der Welt gibt, die sich mit diesen Themen
beschäftigen. Und da ist natürlich auch Geschäftsdenken dabei, unsere Position zu
behaupten und auszubauen.
Was für ein Ziel verfolgt Ihr?
Eike Roswag
Wir wollen die jeweilige Situation mit Respekt vor dem Bestehenden verbessern
und mit natürlichen Baustoffen zeitgemäße, also energieeffiziente Häuser bauen, in
denen sich die Menschen wohl fühlen.
Dabei sucht Ihr „mit positiver Kommunikation nach lokalen Lösungen.“ So steht das auf Eurer Webseite. Was meint Ihr damit?
Eike Roswag
Wir sitzen von Beginn an mit allen Beteiligten am Tisch: Auftraggeber, Nutzer, Gebäudetechniker,
Handwerker, Landschaftsplaner, Künstler und Grafikdesigner. Am Ende
macht das Orchester die Musik. Erfolgreiche Teamarbeit ist kein Kompromiss, sie
schöpft aus unterschiedlichen Erfahrungen und Fähigkeiten und fügt diese in einer
spezifischen Lösung zusammen.
Cristof Ziegert
Kommunikation ist das eine, die fachliche Qualifikation das andere. Wenn man das
richtig zusammenfügt, entsteht ein gutes Werk.
Was ist ein gutes Werk?
Uwe Seiler
Wir haben zum Beispiel eine Schule in Bangladesch gebaut und dort mit unserem
technischen Wissen die lokale Tradition weiterentwickelt.
Wie seid Ihr zu dem Auftrag gekommen?
Eike Roswag
Auf einer Tagung in Berlin lernte ich Anna Heringer kennen. Sie erzählte von der
anstehenden Recherche für ihre Magisterarbeit an der Kunstuniversität Linz. Kurz
entschlossen fuhr ich vier Wochen später mit ihr nach Bangladesch, um sie dort bei
den Untersuchungen zu unterstützen. Die bengalische Entwicklungsorganisation
Dipshikha suchte nach Möglichkeiten der Förderung lokaler Kultur und Identität. Sie
wollte Bautradition und Wirtschaft unterstützen und hatte zudem Bedarf an einem
Schulgebäude. Wir untersuchten intensiv das Können und die Bauweisen der Handwerker.
Unsere Schule entwarfen wir dann ausgehend von den Handfertigkeiten
und der Tradition. Fasziniert von der Kraft dieser Menschen und zum Wiederkommen
eingeladen, entschlossen wir uns später, gemeinsam die Schule zu bauen.
Eike, Du bist Architekt, Uwe und Christof, Ihr seid Bauingenieure. Diese Kombination findet man leider selten in kleinen Büros. Wie habt Ihr Euch gefunden?
Eike Roswag
Christof und ich haben uns 1998 über das Projekt „Studenten bauen in Mexiko“ kennen
gelernt, das Professorin Ingrid Goetz an der TU Berlin ins Leben gerufen hatte.
Christof hat dieses als wissenschaftlicher Mitarbeiter betreut, ich war Tutor bei Frau
Goetz. Wir sind in ein mexikanisches Dorf gefahren und haben mit den Leuten vor
Ort Gemeinschaftshäuser und eine Dachziegelwerkstatt gebaut. Keine großartige
Architektur, es ging vorrangig um den Prozess und interkulturellen Austausch. Wer
einmal in einer fremden Kultur gebaut hat, kommt verändert zurück. Studenten
sollten mauern und verputzen lernen, das Material einfach mal in die Hand nehmen.
Christof Ziegert
In Mexiko haben wir gemerkt, was herauskommen kann, wenn Architekten und
Ingenieure gut zusammenarbeiten. Die beiden Berufsgruppen gehören in ein Büro
und nicht nur in Besprechungen, auf denen sie sich im schlimmsten Fall gegenseitig
angiften.
Uwe Seiler
In unserem Büro bringen wir die spezialisierten Bereiche wieder zusammen. So wie
früher, als es Baumeister gab.
Wofür schätzen Euch die Bauherren?
Christof Ziegert
Sie merken, dass wir die Kelle mit anpacken und in die Mischung hineingreifen können.
Da ist eine menschliche Nähe. Ich glaube, sie schätzen auch die Art, wie wir uns
in Bauwerke hineindenken. Wie Uwe da so ein Bambustragwerk rechnet und sich mit
krummen Querschnitten auseinandersetzt, das hätten wahrscheinlich viele der deutschen
Ingenieure nie gemacht. Und Eike hat einen positiven Biss und eine Zähigkeit.
Das habe ich selten bei einem Menschen so kennen gelernt.
Was wünscht Ihr Euch von Euren Bauherren?
Eike Roswag
Dass sie Teil des Teams sind und intensiv mitarbeiten, dann entsteht gute Qualität.
Wir wollen keine Theorie und kein Design platzieren, wir suchen nach der Lösung aus
dem jeweiligen Umfeld heraus.
Was bedeutet für Euch Nachhaltigkeit?
Uwe Seiler
Gebäude, wie wir sie in Abu Dhabi gesehen haben, die nach 20 Jahren wieder abgerissen
werden müssen, haben mit Nachhaltigkeit nichts zu tun. Wir wollen Häuser
bauen, die wir unseren Nachkommen hinterlassen können, und wir wollen natürliche
Baustoffe verwenden. Da wird vergleichsweise wenig Energie investiert. Bei der Herstellung
von Mineralwolle zum Beispiel wird Stein verflüssigt und aufgeschleudert,
damit man einen Dämmstoff erhält, der noch nicht einmal recycelt werden kann. Das
ist doch schizophren.
Eike Roswag
Die Essenz heißt: weniger. Eine „nachhaltige“ Villa mit 4000 Quadratmeter bauen
zu wollen, ist totaler Nonsens. Es geht um weniger Bedarf, weniger Ressourcenverbrauch,
weniger Technik. Fortschritt heißt für uns nicht Wachstum, sondern Veränderung.
Was sollte sich denn verändern?
Eike Roswag
Neulich war ich in Ahmedabad im Auto unterwegs. Mein Gastgeber fuhr chaotisch
lenkend durch den Verkehr, schaute ständig zu mir auf dem Rücksitz, wackelte mit
dem Kopf hin und her und sagte: „Driving in India is like dancing. Everybody moving,
nobody try touching.“ Das ist Lebensphilosophie. Das brauchen wir. Nicht unsere
deutsche Anspruchshaltung: Hier sitz ich, hier bleib ich. Es gibt immer viele Entschuldigungen,
warum Dinge nicht funktionieren. Wir müssen uns bewegen und herausfinden,
wie Dinge möglich werden. Menschen, die in Not sind, sind flexibel. Von
unseren Partnern im Ausland können wir dabei unglaublich viel lernen.
Wie sieht das perfekte Haus aus?
Eike Roswag
Meines wäre ein hoch gedämmtes Haus aus Holz und Lehm, mit einem Solarkollektor,
der Warmwasser zum Duschen produziert und die Heizung unterstützt.
Wir bauen gerade zwei Prototypen von Niedrigenergiehäusern, die über Lehm und
Naturbaustoffe feuchtigkeitsaktiv sind, also keine Lüftungsanlagen brauchen, wie
es die Wärmeschutzverordnung bald für Neubauten verlangt. Wir streichen Lüftungstechnik,
investieren die Einsparungen stattdessen in natürliche Baustoffe und
erhalten ein komfortables Raumklima durch Lehmbauprodukte.
Kann ökologisches Bauen sexy sein?
Eike Roswag
Es geht uns nicht um Bauten für die Lifestylezeitschriften, sondern um gute Gestaltung,
ein qualitätvolles gesundes Umfeld und einen Prozess, der allen etwas bringt.
Das Wohnhaus in Ihlow in der Märkischen Schweiz ist ein gutes Beispiel. Das würde
keiner als sexy bezeichnen, aber es ist Öko pur, aus Naturbaustoffen errichtet, solar
beheizt, und die Bewohner sind glücklich. Auf diesem Wege wollen wir Lebensstil bilden
und auch Vorbild sein. Ein Kollektor ist an sich kein schönes Objekt, aber er muss
integriert und gestaltet werden, er ist zentraler Bestandteil der Häuser der Zukunft.
Ein Großteil unserer Kollegen ist blind für diese Themen. Wir müssen uns aber künftig
damit auseinandersetzen, auch das wird Architekturdiskurs sein müssen, ansonsten
entfernen wir uns von der Realität.
Mosambik, Marokko, Bangladesch, Abu Dhabi, Berlin und sein Umland. Was macht mehr Spaß, Deutschland oder Ausland?
Eike Roswag
Brücken schlagen in alle Richtungen, das macht uns Spaß. Wir wollen eher nicht an
den großen Rädern drehen und bauen lieber mit einer kleinen Stiftung als mit der
GTZ (Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit). Große Strukturen behindern. Die
Schule in Bangladesch war nur möglich, weil wir einen agilen lokalen Partner vor Ort
hatten.
Christof Ziegert
Lehm ist ein globaler Baustoff. Hierzulande wird er gerade hipp, weil ihn die gut
situierte Klientel für sich entdeckt. In den Entwicklungsländern führen wir die Leute
dahin, wo sie herkommen. Das hat alles miteinander zu tun. 2003 hielt ich eine Lehmbauvorlesung
an der Uni in Kabul. In dieser Stadt wohnen drei Millionen Menschen
in Lehmhäusern. Bezüglich ihrer Identität sind sie jedoch extrem verunsichert und
ihre Suche nach einer zukunftsfähigen Entwicklung ist sehr auf westliche Standards
ausgerichtet. Das führt zu Spannungen. Als sie hörten, dass Menschen in Europa in
Lehmhäusern wohnen und den Baustoff auch wieder neu verarbeiten, schätzten sie
ihre eigene Kultur und Tradition auf einmal mehr Wert.
Warum bist Du als deutscher Lehmbaufachmann im Ausland so gefragt?
Christof Ziegert
Das hängt neben den Projekten unseres Büros auch mit einer gut organisierten
Szene zusammen. Der Dachverband Lehm e.V., bei dem ich im Vorstand bin, macht
seit vielen Jahren eine gute Arbeit. Wir sind ein Interessenverband, der in erster
Linie Wissen fördert und keine Lobbyarbeit betreibt. Die deutschen Produkte sind
gefragt. Man will unsere Lehmbauregeln übersetzen, unsere Ausbildung kopieren,
uns als Lehrkräfte einsetzen. Der Dachverband konzipiert für Abu Dhabi gerade eine
Handwerker- und eine akademische Ausbildung im Lehmbau. Übrigens wird Lehm in
Deutschland im europäischen Vergleich prozentual am häufigsten angewendet.
Auf welches Projekt seid Ihr am meisten stolz?
Eike Roswag
Jedes unserer Projekte hat einen speziellen Fokus und macht somit auf seine Art
glücklich. Die Feuerwehrleute in Neuseddin zum Beispiel wollten eigentlich ein Steinhaus
mit Satteldach und rotem Tor. Guntram Jankowski, mein ehemaliger Partner, hat
mit ihnen gemeinsam einen funktionalen Grundriss entwickelt und einen modernen
Holzbau konzipiert. Ich bin froh, dass wir unser spezielles Wissen in den Prozess
einbringen konnten und die Nutzer nun in ihrem effizienten Holzbau glücklich und
dankbar sind.
Uwe Seiler
Die Schule in Bangladesch entstand für 30.000 Euro. Die einzige Maschine auf der
Baustelle war ein Akkuschrauber. Dass dieses Projekt mit dem Aga-Khan-Preis, mit
einem der höchst dotierten und international anerkannten Architekturpreise, ausgezeichnet
wird und dass wir ein Teil davon sind, das macht stolz.
Sind derartige Preise auch die Glücksmomente Eurer Arbeit?
Christof Ziegert
Ein Glücksmoment ist, wenn ich in Abu Dhabi auf der Baustelle mit Kimji Kaka, dem
siebzig Jahre alten Baumeister der indischen Lehmbaufirma, über technische Lösungen
fachsimple, um die beste Mischung für den Putz oder den Fußboden festzulegen
und sich unsere Erfahrungen verbinden.
Eike Roswag
Ich erinnere mich an eine Situation kurz vor Fertigstellung der Schule in Bangladesch,
als ich sehr gestresst nahezu kopflos auf der Baustelle hin und her rannte, einer der
alten Handwerker mich in den Arm nahm und sagte: „Eike, Mama. Nooo problem.“
Ich dachte, ja klar, ihr seid alle da, wir arbeiten als Gemeinschaft. Positives Denken
und Handeln ist heute Leitbild unseres Teams. Das haben wir von den Menschen im
Ausland gelernt.
Das Gespräch führte Friederike Meyer.
Friederike Meyer studierte Architektur in Aachen und absolvierte die Journalistenschule
in Berlin. Im Rahmen des Design-Build-Program an der Universität of Washington half sie
den Bewohnern eines mexikanischen Dorfes beim Bau einer Schule. Sie ist Redakteurin
der Bauwelt.
Projektleitung: Andrea Nakath