Interview
Am Anfang des Gesprächs könnt Ihr eine von drei Fragen auswählen:
1. Was haltet Ihr für Eure beste Arbeit und warum?
2. Was war Eure größte Kränkung?
3. Was unterscheidet Euch von anderen Architekten hier in Wien, hier in Österreich
und hier auf der Welt?
Das sind die drei Fragen – alle kommen dran, so dass es völlig gleich ist, welche Ihr
wählt.
Gerd Erhartt
Gut, dann nehmen wir gleich die erste.
Was haltet Ihr für Eure beste Arbeit? Benennen, beschreiben und begründen.
Gerd Erhartt
Das ist sehr subjektiv, „unsere beste Arbeit“ heißt für uns ja noch lange nicht, dass sie
eine gute Arbeit ist.
Jakob Dunkl
Das Museum Liaunig würde ich momentan auf der Hitliste sehr weit oben reihen,
da alles ganz gut aufgeht: Es ist unglaublich effizient, es ist poetisch, es ist radikal.
Wenn ein Gebäude monumental ist oder stark in der Landschaft liegt, kann es sein,
dass sich der Mensch in diesem Objekt klein und unbedeutend fühlt. Genau das ist zu
unserer Freude nicht eingetreten. Das halte ich für das Wichtigste.
Peter Sapp
Beste Arbeit bei den eigenen Projekten ist für mich eine Kategorie, die es eigentlich
nicht gibt, da sie einem eigenen Entwicklungsprozess unterworfen sind. Die Frage
müsste daher lauten: Welche Arbeit steht einem am nächsten, und da ist die letzte,
das letzte Baby, sicher eine besonders nahestehende, also das Museum Liaunig. Es
gibt aber auch andere, wie zum Beispiel die Waschstraßenbürsten in der Ausstellung
„den fuß in der tür“. Das ist auch eine Arbeit, die den Punkt trifft.
Jakob Dunkl
Bauprojekte mit Babys zu vergleichen ist passend: Ich kann bei meinen Kindern auch
nicht das Lieblingskind oder das zweitliebste Kind bestimmen. So geht es wohl allen
Eltern.
Stimmt es eigentlich, dass Ihr total gute Familienväter seid, dass Ihr keine Überstunden macht, um 17 Uhr Büroschluss und keine Wochenendarbeit?
Gerd Erhartt
Das stimmt. Seitdem wir alle Kinder haben. Ich habe eine 30-Stunden-Woche.
Jakob Dunkl
Auch wenn wir am Abend zu einer Architekturdiskussion gehen, wir schreiben jede
Stunde Arbeitszeit auf. Im Durchschnitt arbeiten wir etwa gleich viele Stunden im
Jahr wie ein durchschnittlicher Angestellter. Also, quantitativ bemühen wir uns
wirklich, Freizeit und Familie sehr hoch anzusetzen. Ob wir gute Väter sind, müssen
andere dann beurteilen. Wir haben es als Experiment betrachtet und gesagt: Jetzt haben wir Kinder, was ist
wenn wir weniger arbeiten, gibt es einen Karriereknick? Das probieren wir aus, und
eigentlich sind wir zufrieden wie es läuft. Ich glaube mittlerweile, wenn wir mehr
Stunden am Abend im Büro sitzen würden, ließe die Effizienz nach. Ich sehe keine
Gefahr von Burnout am Horizont – die Familie ist mein Ausgleich.
Gerd Erhartt
Wir haben von Anfang an unsere Mitarbeiter sehr stark eingebunden. Deswegen ist
auch unsere ständige Anwesenheit nicht notwendig. Wir setzen auf Eigenverantwortung
und Eigeninitiative, und das halte ich ist auch für den Weg in die Zukunft. Wir
sind kein Büro, das stolz ist, wenn hier um neun am Abend das Licht noch brennt. Das
ist uns eher unangenehm.
Kommen wir zur zweiten Anfangsfrage: Was war Eure größte Kränkung?
Peter Sapp
Kränkung würde ich es nicht nennen, aber manchmal ärgert man sich. Wir haben
hier im Lager die Modelle stehen, und wenn ich bei der Oper Linz vorbeigehe, dann
ärgert mich das irrsinnig, dass wir mit unserem Entwurf nicht weitergekommen sind.
Ich verstehe nicht, warum das Projekt nicht gebaut worden ist. Das ärgert mich!
Genau. Jetzt hast Du meine Frage beantwortet die Kränkung betreffend. Das reicht als Antwort, oder?
Peter Sapp
Na ja, gekränkt, na ja.
Ärger ist Symptom der Kränkung. Was kränkt Euch noch – Architekturkritik zum Beispiel??
Jakob Dunkl
Nein, wir haben das Glück gehabt, dass wir bis jetzt noch nie verrissen wurden, noch
nie gekränkt wurden von Kritikern.
Kommt Euch das nicht verdächtig vor?
Jakob Dunkl
Ja, das ist seltsam.
Da will ich mit einer Frage anschließen, die ich erst später stellen wollte: Ihr habt fulminant, sehr feuerwerkartig begonnen mit Installationen bzw. mit Architektur, die nicht weit von Kunst entfernt war. Wobei ich Architektur nicht als Kunst verstehe. Mir als Konsumenten fällt auf, dass ihr ein wenig pragmatisch geworden seid. Ihr baut brav dahin, alles in Ordnung, aber ohne diese Experimente, die Spaß machen, Spiele mit dem Raum etc. Ein wenig ist das im Museum zu finden, aber sonst seid Ihr brave Häuserhersteller geworden. (Stille.) Ihr seid ratlos. Geht Euch das nicht ab? Habt Ihr keine Zeit? Müsste Euch jemand einladen?
Gerd Erhartt
Die Aufgaben haben sich verändert. Als junges Büro hat man ja nicht wirklich sofort
Zugang zu Bauaufgaben. In diesem Stadium arbeiten sehr viele in dem Spannungsfeld
zwischen Kunst und Architektur mit Installationen. Mit einem gewissen Werdegang
wächst das Büro, und solche Aufgaben werden auch nicht mehr an uns herangetragen.
Jakob Dunkl
Das ist natürlich schon eine herbe Kritik. Das erinnert mich ein bissel an Peter Cooks
Aussage. Wir haben 2004 den Young Architect of the Year Award bekommen, eigentlich
mit lauter kleinen Projekten. Ein Grund warum der Entscheid auf uns gefallen
ist, war der Humor in unserer Architektur, der lockere, ungezwungene Umgang. Als
Juryvorsitzender fragte uns Peter Cook, ob wir das auch in größere Bauaufgaben
transformieren können, ob wir uns das erhalten können.
Ihr macht ganz einfach nicht mehr diese witzigen, frischen, erfrischenden Installationen, Inszenierungen. Sondern Ihr seid ein Büro, wie es sich gehört, und habt den Alltag vor Euch. Habt Ihr das Gefühl, dass Euer Humor, der sicher typisch war für diese frühen Arbeiten, Euch später abhanden gekommen ist, weil der Architektenalltag ein ziemlich humorloser ist? Da vergeht einem sozusagen das Lachen.
Peter Sapp
Das würde ich so nicht sagen. Es gibt immer Überlegungen, wie jetzt: Bei einem
großen Wohnbau, versuchen wir die Überlagerung, die von Nutzern ins Gebäude
gebracht wird, dadurch anzuregen, dass wir kleine ausklappbare Wäscheständer
zur Verfügung stellen, die auf dem Geländer montiert werden können. Dadurch
bekommt ein doch sehr großer Wohnbau mit 150 Wohnungen plötzlich eine Schicht
von flatternden Strumpfhosen und Socken und Unterhosen dazu. Das ist ein Beispiel
für den spielerischen Zugang.
Wenn ich an Adidas denke, wo es darum ging, eine Hochleistungsmaschine für ein
Unternehmen zu bauen, lässt die Aufgabenstellung solche Spielereien weniger zu.
Woran arbeitet Ihr jetzt gerade? Unabhängig davon, ob es viel oder wenig Spaß macht.
Gerd Erhartt
Momentan machen wir im Büro hauptsächlich sozialen Wohnbau.
Jakob Dunkl
Wir haben uns eine Wettbewerbspause verordnet, und Direktaufträge waren vor
allem im Wohnbaubereich zu haben. Jetzt merken wir, dass wir wieder Lust haben auf
andere Projekte. Wohnbau ist erfreulich, macht Spaß, aber nur Wohnbau zu machen,
würde uns nicht erfüllen.
Das heißt, die Wettbewerbe sind nicht nur eine Akquisitionsangelegenheit, sondern eine Art Bürospaß.
Peter Sapp
Nur in sehr schwacher Dosierung. Es schwingt der Frust mit, dass man mit einem sehr
hohen Aufwand in die Luft schießt und hofft, dass man irgendwas trifft.
Auch ein teurer Spaß.
Jakob Dunkl
Der Spaß ist, wenn man eine schöne Aufgabenstellung als Auftrag bekommt. Es muss
für uns kein Wettbewerb sein. Wir sind eigentlich im Wettbewerb völlig falsch eingesetzt,
weil wir bemerkt haben, dass es uns besonders reizt, mit dem Auftraggeber das Ziel erst zu suchen oder die Aufgabenstellung zu definieren. Beim Wettbewerb
bekommst Du eine Zielscheibe, alle müssen draufschießen und ein paar treffen in die
Mitte. Das ist aber das, was uns nicht besonders reizt. Zudem ist es eine völlig absurde
Ausnutzung eines Berufsstandes.
Gerd Erhartt
Das Verhältnis zwischen dem, was der Berufsstand der Architekten einbringt und was
dafür zurückkommt, ist völlig absurd.
Peter Sapp
Unser Hauptmotiv ist das Bauen selbst. Wir wollen nur das entwerfen, was wir dann
auch bauen. So gesehen liegt uns das mit den Wettbewerben nicht so.
Jakob, Deine Formulierung mit dem Bauherren und der Zielfindung hat mich erinnert an die Aussage von Richard Neutra: er fühle sich wie ein Psychotherapeut, der versucht, in die Tiefen des Unbewussten hineinzukommen um das Beste herauszuholen für den Bauherren. Ist das für Euch nachvollziehbar?
Jakob Dunkl
Da ist was dran.
Gerd Erhartt
Es ist wichtig, die Motive zu sehen, warum jemand etwas macht. Wenn man das
erkennt, kommt man vielleicht zu anderen Lösungen. Das sehen wir auch als unsere
Aufgabe, eine wichtige Aufgabe: am Beginn überhaupt einmal die Fragestellung neu
zu definieren.
Peter Sapp
Das sehen wir auch als unsere Besonderheit, dass wir mit dem Auftraggeber gemeinsam
auf den Punkt kommen, uns gemeinsam fortbewegen. Bei einem Wettbewerb
kann man das nicht leisten.
Ich habe unlängst in München einen Vortrag über Psychoanalyse und Architektur gehalten, in dem ich auch das Museum Liaunig gezeigt habe. Ich habe behauptet, dass darin viel dessen steckt, was man als erotische Symbolik des Bauens bezeichnen kann. Es gibt ein vaginales Element, einen Uterus und ein phalloides Element, das zurück in die Erde strebt.
Jakob Dunkl
Das kann man schwer abstreiten.
Peter Sapp
Obwohl wir uns das nicht überlegt haben.
Jakob Dunkl
Aber es stimmt: Es gibt die kleine Vagina, die Gästewohnung. Und eine Notausgang-
Vagina gibt es auch.
Das Museum hat sogar einen inneren Blinddarm.
Jakob Dunkl
Die Goldsammlung.
So dass diese Körpermetapher ziemlich nahe liegt.
Jakob Dunkl
Beim Arbeiten denken wir eher an andere Metaphern als diese.
An welche?
Peter Sapp
Beim Museum Liaunig haben wir zwei Geländeeinschnitte vorgefunden und dazwischen
einen abgeflachten Hügel, dieses Plateau. Es ist der Gedanke entstanden, den
Ausstellungsraum als eine Art Bypass zwischen zwei Geländeeinschnitten zu platzieren
und so dem Besucher die Möglichkeit zu geben, beim Rundgang an beiden
Geländeeinschnitten anzukommen und den Bezug nach Außen wahrzunehmen.
Woher kommen Metaphern? Entstehen sie vor dem Entwurf, vor der sichtbaren Form, oder nachher? Sind die Metaphern für ein Projekt als Leitbilder wichtig?
Jakob Dunkl
Manchmal sind sie das. Für das Römermuseum am Hohen Markt haben wir Bilder
gesucht, die illustrieren, was wir uns von einem Museum wünschen. Ein Foto zum Stichwort „Neugier wecken“ zeigte jemanden, der ein Scheunentor öffnet – der Lichtstrahl
fällt durch den wenige Zentimeter großen Spalt ein. Das Foto stand am Anfang
des Prozesses als Metapher, und schließlich haben wir beim Römermuseum die
Fassade mit Aluminiumplatten zugeklebt. Die Schlitze lassen ein wenig Licht herein,
man kann von außen ins Museum spähen.
Wien ein Zaungast der Geschichte. Um das Thema zu rekapitulieren: die Metapher ist durchaus nützlich.
Peter Sapp
Ja. Sie kommt oft schrittweise oder überlagert sich mit anderen Metaphern. Da wird
eine Metapher, die am Beginn steht, im Prozess weniger wichtig, und andere legen
sich darüber.
Jakob Dunkl
Eine Metapher verdrängt die andere, dann bildet sich eine Metametapher, eine Metametametapher,
eine Metametametametapher.
Peter Sapp
Das wird jetzt zu kompliziert.
Anna Soucek, geboren in Wien, studierte Kunstgeschichte und Philosophie und kuratierte Ausstellungen wie „stadt in sicht: Neue Kunst aus Bratislava“ und „Niemandsland. Modelle für den öffentlichen Raum“. Sie ist Mitbegründerin des „forum experimentelle architektur“ und arbeitet als Redakteurin für Radio Österreich1 des ORF in Wien.
Jan Tabor, geboren in Podebrady, Tschechoslowakei, lebt und arbeitet in Wien als Architekturtheoretiker,
Publizist und Kurator. Zu den von ihm kuratierten Ausstellungen gehören
„Kunst und Diktatur“, „den fuß in der tür“, „mega: manifeste der anmaßung“ und zuletzt
„Die Enzyklopädie der wahren Werte“. Jan Tabor unterrichtet im Studio Zaha Hadid
an der Universität für Angewandte Kunst und an der Akademie der Bildenden Künste in
Bratislava. Mitbegründer des „forum experimentelle architektur“, zahlreiche Vorträge und
Publikationen im In- und Ausland.
Projektleitung: Andrea Nakath