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Scheinselbständigkeit II.: Korrektur des Gesetzes und alte Risiken

Der Gesetzgeber hat die Vorschriften, die erst vergangenes Jahr zur Regelung der Sozialversicherungspflicht der Scheinselbständigen eingeführt worden waren, schon wieder abgeändert; dies macht eine Auseinandersetzung mit den abgeänderten Regelungen notwendig.
Hintergrund
In unzähligen Architektenbüros werden Architekten als freie Mitarbeiter beschäftigt, die nach rechtlicher Würdigung tatsächlich sozialversicherungspflichtige Arbeitnehmer darstellen. Solche vermeintlich "freien Architekten" sind letztlich "scheinselbständige Architekten", ein Umstand, den viele "scheinselbständige Architekten" und ihre Auftraggeber in seiner ganzen Tragweite nicht oder erst zu spät realisieren.

Dafür, ob ein Architekt als freier Mitarbeiter oder aber als Scheinselbständiger beschäftigt wird, ist alleine die tatsächliche Durchführung des entsprechenden Beschäftigungsverhältnisses maßgeblich; Vertragsregelungen und deren Formulierungen sind grundsätzlich unerheblich.

Zum 01.01.1999 trat das "Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" in Kraft, mit dem zum ersten mal die Scheinselbständigkeit im Sozialversicherungsrecht geregelt wurde. Hierüber wurde bereits berichtet (vgl. Sonderthemen / Scheinselbständigkeit). Aufgrund heftiger Kritik aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft hat der Gesetzgeber dieses Gesetz nun mit (Rück-) Wirkung zum 01.01.1999 durch das "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" abgeändert. Auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts hat der Gesetzgeber dadurch einen erneuten Anlauf unternommen, das Problem der Scheinselbständigkeit gesetzgeberisch "in den Griff" zu bekommen.

Mit dem vorliegenden Beitrag soll zunächst aufgezeigt werden, wie in arbeitsrechtlicher Hinsicht der freie Mitarbeiter vom Scheinselbständigen Mitarbeiter abgegrenzt werden kann. In einem weiteren Schritt werden sodann die Gesetzesänderungen des "Gesetzes zur Förderung der Selbständigkeit" dargestellt und deren Bedeutung in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht beleuchtet.
Hinweis
I. Arbeitsrecht - die althergebrachten Abgrenzungskriterien
Das Problem der Scheinselbständigkeit ist im Arbeitsrecht kein neues. Schon seit vielen Jahren haben sich die Arbeitsgerichte in allen Instanzen mit der Einstufung von Mitarbeitern als "freie" oder als "scheinselbständige" auseinanderzusetzen. Gesetzliche Regelungen fehlten hierfür, so daß im Laufe der Zeit unzählige Abgrenzungskriterien durch die Rechtsprechung geschaffen wurden, um den arbeitsrechtlichen Status von freien Mitarbeitern abgrenzen zu können.

Diese Abgrenzungskriterien wurden weder durch das "Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" noch durch das "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" abgeändert, so daß sie nach wie vor ihre Gültigkeit besitzen. Eine Übersicht über diese Abgrenzungskriterien wurde bereits gegeben (vgl. Sonderthemen / Scheinselbständigkeit).

Wichtig ist darauf hinzuweisen, daß ein Beschäftigter nicht per se ein "freier" oder ein "scheinselbständiger" Mitarbeiter ist, wenn er das eine oder das andere Abgrenzungskriterium in seiner Person erfüllt oder nicht; wichtig und alleine maßgeblich ist vielmehr eine Gesamtwürdigung unter Beachtung sämtlicher Gegebenheiten des Einzelfalls. Gerade eine solche komplexe und viele Kriterien berücksichtigende Gesamtwürdigung bereitet aber in der Praxis oft Schwierigkeiten bei der Überprüfung, ob ein Beschäftigter ein "freier" oder ein "scheinselbständiger" Mitarbeiter ist.

II. Sozialversicherungsrecht - die neue Gesetzeslage
Mit dem "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" schreibt der Gesetzgeber nun in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht in § 7 Abs. 1 SGB IV fest, daß zunächst von den zuständigen Sozialversicherungsträgern zu prüfen ist, ob anhand der allgemeinen Abgrenzungskriterien, die weitestgehend den arbeitsrechtlichen Abgrenzungskriterien entsprechen, ein sozialversicherungsrechtliches Beschäftigungsverhältnis besteht. Die wichtigsten dieser Kriterien sind für den Gesetzgeber die Weisungsgebundenheit sowie die Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Dies hat der Gesetzgeber nun ausdrücklich in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV festgelegt.

Erst dann, wenn anhand einer solchen Prüfung nicht abgeklärt werden kann, ob ein Beschäftigter ein "freier" und nicht sozialversicherungspflichtiger Mitarbeiter ist, kann sich die zuständige Behörde der Vermutungsregelung des § 7 Abs. 4 SGB IV bedienen. Diese Vermutungsregelung stellt im wesentlichen auf fünf Kriterien ab, die dazu dienen sollen, festzustellen, ob der betreffende Beschäftigte ein "scheinselbständiger" Mitarbeiter ist (dann vollständige Sozialversicherungspflichtigkeit) oder ein "freier" Mitarbeiter (dann keine vollständige Sozialversicherungspflichtigkeit).

Diese fünf Kriterien sind:

- die betreffende Person beschäftigt im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer, dessen Arbeitsentgelt aus diesem Beschäftigungsverhältnis regelmäßig DM 630,00 übersteigt;
- die betreffende Person ist auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen Auftraggeber tätig;
- der Auftraggeber dieser Person oder vergleichbare Auftraggeber lassen entsprechende Tätigkeiten regelmäßig durch von ihm beschäftigte Arbeitnehmer verrichten;
- die Tätigkeit dieser Person läßt typische Merkmale unternehmerischen Handelns nicht erkennen;
- die Tätigkeit dieser Person entspricht dem äußeren Erscheinungsbild nach der Tätigkeit, die sie ggfs. für denselben Auftraggeber zuvor aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt hatte.

Zu den einzelnen Kriterien im Einzelnen:

Die fehlende Beschäftigung eines sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmers spricht nach Ansicht des Gesetzgebers für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Dabei wird davon ausgegangen, daß ein abhängig Beschäftigter die von ihm geschuldete Arbeitsleistung persönlich zu erbringen hat. Dieses erste Kriterium entfällt mithin, wenn zumindest eine sozialversicherungspflichtige Person beschäftigt wird. Die Mitarbeit geringfügig beschäftigter Personen ist in diesem Zusammenhang nicht zu berücksichtigen.

Die Bindung an nur einen Auftraggeber spricht nach Meinung des Gesetzgebers ebenfalls für das Vorliegen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses. Die Sozialversicherungsträger sehen dabei dieses Kriterium als erfüllt an, wenn der Erwerbstätige 5/6 oder einen höheren Anteil seiner gesamten Einkünfte aus den zu beurteilenden Tätigkeiten allein von einem Auftraggeber bezieht.

Bei dem dritten Kriterium handelt es sich um ein neu in § 7 Abs. 4 Satz 1 SGB IV aufgenommenes Kriterium. Hiermit will der Gesetzgeber einen Vergleich zwischen den Tätigkeiten herbeiführen, die von dem "freien Mitarbeiter" und den sonstigen, tatsächlich sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern des Auftraggebers ausgeübt werden. Werden dabei die Tätigkeiten des "freien Mitarbeiters" regelmäßig auch von abhängigen Arbeitnehmern durchgeführt, dann ist dies für den Gesetzgeber ein Indiz dafür, daß aufgrund dieses Umstandes der "freie Mitarbeiter" tatsächlich kein "freier" ist; die Ausübung solcher Tätigkeiten durch abhängige Arbeitnehmer "schlägt" somit auf den "freien Mitarbeiter" durch und qualifiziert auf diese Weise seinen sozialversicherungsrechtlichen Status.

Mit dem vierten Kriterium will der Gesetzgeber sicherstellen, daß der "freie Mitarbeiter" auch tatsächlich als "Unternehmer" am Markt auftritt und hierdurch seine Selbständigkeit untermauert. Dabei verlangt der Gesetzgeber jedoch lediglich, daß dieses Auftreten typische Merkmale unternehmerischen Handelns erkennen läßt, ohne näher festzulegen, was als "typisch" zu verstehen ist. Als Indizien für solche "typischen" Merkmale können nach wie vor der Einsatz von Kapital und Maschinen, der Bezug von Waren und Material, die eigenverantwortliche Entscheidung über den Umfang der Tätigkeit etc. sein.

Auch das fünfte Kriterium ist durch den Gesetzgeber neu in das Gesetz aufgenommen worden; es soll Umgehungsversuche der Beteiligten vermeiden helfen. Dieses Kriterium greift nur in den Fällen, in denen die erwerbstätige Person unmittelbar von einem Beschäftigungsverhältnis in eine Tätigkeit als "freier Mitarbeiter" bei demselben Auftraggeber gewechselt ist. Hier dürfte zu verlangen sein, daß die jeweiligen Tätigkeiten, die vor und nach dem Wechsel ausgeübt wurden, zumindest einander nah verwandt sind. Dabei dürfte die Einschaltung einer kurzen "Anstandspause" nicht zur Vermeidung dieses Kriteriums führen.

Sind von den vorgenannten fünf Kriterien mindestens drei erfüllt, so wird vermutet, daß der entsprechende Mitarbeiter sozialversicherungspflichtig beschäftigt ist. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Hierzu kommen zwei Möglichkeiten in Betracht: zum einen kann der Nachweis geführt werden, daß die Voraussetzungen für die Vermutungsregelung fälschlicherweise bejaht wurden; zum anderen können Tatsachen vorgetragen werden, die trotz der Erfüllung der Vermutungsvoraussetzungen die tatsächliche Selbständigkeit beweisen.

Die gesetzliche Neuregelung macht die Anwendbarkeit der vorgenannten fünf Kriterien und somit die Vermutungsregelung an sich jedoch davon abhängig, daß die betreffende Person gewisse Mitwirkungspflichten verletzt. Die betreffende Person hat den Sozialversicherungsträgern gegenüber über alle Tatsachen sowie Änderungen, die für die Feststellung ihrer Versicherungs- und Beitragspflicht und für die Durchführung der Aufgaben der Sozialversicherungsträger notwendig sind, Auskunft zu erteilen. Erst wenn diese Mitwirkungspflichten mißachtet werden, kann die Vermutungsregelung mit den vorgenannten fünf Kriterien "zum Zug" kommen.

Um Unklarheiten und Zweifelsfälle in der Praxis zu vermeiden, hat der Gesetzgeber durch das "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" ein sogenanntes Anfrageverfahren (§ 7 a SGB IV) eingeführt, wonach die Beteiligten nunmehr schriftlich bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte eine Entscheidung über die Sozialversicherungspflichtigkeit eines Mitarbeiters beantragen können. Ein solcher Antrag muß binnen einer Frist von einem Monat nach Aufnahme der Tätigkeit eines Mitarbeiters gestellt werden; der Mitarbeiter muß dem zustimmen. Abgesehen davon, daß mit einem solchen Verfahren Klarheit über die Sozialversicherungspflichtigkeit eines Mitarbeiters geschaffen werden kann, besteht der Vorteil eines solchen Anfrageverfahrens auch darin, daß im Falle einer positiven Entscheidung die Sozialversicherungspflicht erst mit Bekanntgabe der Entscheidung eintritt.

III. Konsequenzen
Durch das "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" sind die arbeitsrechtlichen, sozialversicherungsrechtlichen und steuerlichen Konsequenzen, die eine Scheinselbständigkeit nach sich ziehen kann, unberührt geblieben. Diese wurden bereits dargelegt (vgl. Sonderthemen / Scheinselbständigkeit); hierauf wird verwiesen.

IV. Resümee
Der Gesetzgeber mag durch das "Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit" zwar die Regelungen des "Gesetzes zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" abgemildert haben. Dem Auftraggeber und seinem Architekten bleibt jedoch nach wie vor dringend angeraten, bestehende Verträge unter Berücksichtigung der neuen Gesetzeslage zu überprüfen und diese auch bei Abschluß von neuen Verträgen zu berücksichtigen. Hierbei kann insbesondere das Anfrageverfahren eine sachdienliche Hilfestellung bieten.

Im übrigen bleibt abzuwarten, wie die Arbeits-, Sozial- und Finanzgerichte das Problem der Scheinselbständigkeit mit seinen Konsequenzen weiter beurteilen werden. Da die gesetzlichen Neuregelungen lediglich das Sozialrecht betreffen, werden sich diese zunächst auch im sozialgerichtlichen Bereich auswirken. Die Beurteilung der Scheinselbständigkeit durch die Arbeits- und Finanzgerichte bleibt hiervon unbenommen, so daß auch weiterhin unterschiedliche Entscheidungen aus den einzelnen Gerichtszweigen ergehen können.

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