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10.08.2021
Massives Leichtgewicht
Zu Besuch an der Bundesschule in Bernau bei Berlin
Im Sommer 2017 wurde die Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Noch im selben Jahr hatte die Stadt Bernau einen Wettbewerb für ein Besucherzentrum ausgelobt, den das Büro Steimle Architekten gewann. Während die Stuttgarter für die Leistungsphasen 1 bis 7 und die künstlerische Oberleitung verantwortlich sind, übernahmen Grubert Verhülsdonk Architekten aus Berlin die Bauleitung. Als Bauleiter Ralf Grubert im Juni über die Baustelle führt, verteilen die Estrichbauer gerade Glasschaumschotter. Bis zum Jahresende soll der Neubau fertiggestellt werden.
Von Trang Pham
Das Besucherzentrum für die als Welterbe gelistete Bundesschule entsteht inmitten eines dichten Kiefernwäldchens anstelle der ehemaligen Mensa der Bundesschule, die abgerissen wurde. Das öffentliche Interesse an der Schule wuchs in den vergangenen Jahren stetig – ein neuer Anlaufpunkt und Ort für Ausstellungen sowie Veranstaltungen soll den steigenden Besucher*innenzahlen gerecht werden. Im 2018 ausgelobten Wettbewerb war ein „innovatives, identitätsstiftendes, energieoptimiertes und nachhaltiges Gebäude gesucht, das sich dem Denkmalensemble unterordnen, aber sich auch als städtebaulich-architektonisches Bauwerk behaupten soll“. Zugleich ist der Empfangsbau als Anlaufpunkt für den Bernauer Ortsteil Waldfrieden gedacht. Er hätte ursprünglich zum Bauhausjubiläum 2019 fertig sein sollen. Denn die Planung für die Bundesschule stammt von Bauhausdirektor Hannes Meyer und Hans Wittwer sowie Studierenden des Dessauer Bauhauses. Doch erst im Juli 2020 konnte der Grundstein gelegt werden, genau 92 Jahre nach der Grundsteinlegung der Bundesschule.
Der Siegerentwurf von Steimle Architekten hatte die Jury durch „die funktional flexiblen Nutzungsmöglichkeiten und den abstrakten Duktus des Gestaltungsansatzes“ überzeugt. Er sieht einen verglasten Pavillon mit massivem Betondach vor, das an den Längsseiten auskragt und dort von filigranen Stahlstützen getragen wird. Im Inneren gliedern elf T-förmige Schotten aus Ortbeton die fast 500 Quadratmeter große Fläche, auf der neben dem Foyer ein Ausstellungsbereich, ein Multifunktionsraum sowie ein Sitzungssaal untergebracht sind. Weil die im Wettbewerbsentwurf im Untergeschoss angesiedelten Nebenräume im weiteren Planungsprozess ins Erdgeschoss rückten, konnte die Treppe entfallen und das Gebäude noch rationaler und einfacher werden, erklärt Architekt Thomas Steimle.
Mit der Verwendung von Leichtbeton wollen Steimle Architekten einen Bezug zur damals innovativen Bautechnik der Bundesschule herstellen, bei der Ortbeton sehr effizient und materialsparend eingesetzt wurde. Dank Leichtbeton lassen sich heute Außenwände monolithisch aus einem Guss herstellen, ohne notwendige Kerndämmung. Dadurch entstehen einfachere Anschlüsse, das Material kann später auch deutlich besser recycelt werden. Die Beschaffung des Leichtbetons für die Wände gestaltete sich allerdings schwierig. Denn in der Umgebung von Bernau gab es genau ein Werk, welches das Material auf die Baustelle liefern konnte. Um eine ausreichende Dämmwirkung zu erzielen, sind die Wände des Bernauer Pavillons mit 70 Zentimetern besonders dick. So wirkt das Dach noch schwerer und massiver als ohnehin schon.
Die T-förmigen Schotten im Innenraum wurden Stück für Stück vom Sitzungssaal zum Foyer betoniert. Dann folgten der Randbalken und die Deckenstücke jeweils zwischen Schotten und Randteilen. In ihrer Pressemitteilung zum Richtfest loben Steimle Architekten die „exakte Ausführung des Rohbaus“, den sie sägerau schalen ließen. Jedes einzelne Brett zeichnet sich an den Wänden ab, die Fugen laufen nahezu perfekt um die Ecke, und auch die Fluchtwegschilder und Leuchten sind in die Wände integriert. Die Abdeckung der Ankerlöcher stellte die Rohbaufirma selbst her, um den passenden Farbton zu erhalten.
Den Blickbezug zur Bundesschule ermöglichen große Glasfronten mit Abmessungen von drei Mal drei Metern. Zugleich stehen sie im Kontrast zur schweren Dachkonstruktion, die sowohl von den Innenwänden als auch von filigranen, außen liegenden Stahlstützen getragen wird. Im Norden ragt das Dach sechs Meter über den Baukörper und bildet einen Witterungsschutz für die darunterliegende Empfangsterrasse. Um die Auskragung über die Unterzüge abzufangen, weisen die als Druckstäbe fungierenden Stützen auf der Ostseite einen größeren Durchmesser auf als die gegenüberliegenden. Mit 7,6 Zentimetern beziehungsweise 10,1 Zentimetern Durchmesser direkt an der Auskragung sind die Stützen dennoch ziemlich schmal. An der Westseite sind sie mit einem Querschnitt von lediglich 4,8 Zentimetern sogar noch schlanker dimensioniert. Dadurch wirkt es fast so, als würde das Betondach in der Luft schweben, als wäre das Gebäude darunter vollkommen transparent.