22.07.2024

Die Hauptstadtregion als Materialfundus

Forschungspavillon in Potsdam von Bauhaus Erde

In Potsdam entsteht derzeit ein Pavillon von Bauhaus Erde. Das Projekt soll praxisnah erforschen und demonstrieren, wie und mit welchen Baustoffen zirkuläres Bauen funktionieren kann. Im Juni feierte der Experimentierbau Richtfest.

Von Gertje Koslik


Noch vor wenigen Monaten standen auf dem knapp 300 Quadratmeter großen Eckgrundstück der Stiftung Waisenhaus Mülltonnen und Autos. Heute ist von dieser Nutzung kaum noch etwas zu erkennen. Vielmehr betritt man die lebendige Baustelle des ProtoPotsdam, die es der Öffentlichkeit ermöglicht, den Entstehungsprozess des Forschungsbaus zu begleiten. Initiiert hat das Projekt die gemeinnützige Organisation Bauhaus Erde. Der „Think-and-Make-Tank“ aus Berlin und Potsdam wurde 2019 gegründet und strebt ein Umdenken in der Baubranche an. Gefördert wird das Projekt durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Brandenburg, die Deutsche Bundesstiftung Umwelt und das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz.

In Zusammenarbeit mit Forschenden der TU Berlin, der FH Potsdam, der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde und dem Haus der Materialisierung beleuchtet ProtoPotsdam besonders die Potenziale lokaler Rohstoffe, genauer der Region Berlin-Brandenburg. Unter einem Schmetterlingsdach, das von nur grob bearbeiteten Holzstützen getragen wird, stehen S-förmig angeordnete Lehmsteinwände. Das Raumprogramm des Pavillons ist überschaubar und eher praktischer Natur: eine Trockentoilette mit kleinem Lager und eine kleine Küche mit Ausschank. Die Umsetzung des Baus mit einer Nutzungsfläche von 15,5 Quadratmetern wird vom jungen Büro ARGE:3000 unterstützt,
ZRS Architekten Ingenieure (beide Berlin) wirken unter anderem bei der Tragwerksplanung und der Materialforschung mit.

Eine Reise durch die Hauptstadtregion


Der Einsatz von regionalen und wiederverwendbaren Materialien begann bereits im Baugrund. Dort fanden die Beteiligten ein 150 Jahre altes Fundament aus Mauerwerk und Kalkstein vor, das als Entwurfsgrundlage diente. Die darauf liegende Bodenplatte besteht aus recyceltem Betonschotter, der Sockel aus Ziegelsteinen eines abgerissenen Bauernhofes in Schwedt.

Die Wände darüber wurden aus Lehmsteinen gemauert, die Bauhaus Erde in ihrer Werkstatt, dem Marienpark Lab, mit einer manuellen Presse hergestellt hat. Sie bestehen aus dem Aushub eines Großvorhabens in Marzahn. Insgesamt wurden 1.000 Tonnen Material zur nächstgelegenen Sandgrube in Altlandsberg gebracht. Nachdem dieser mit der Areta GmbH, dem Recyclingunternehmen vor Ort, als Baulehm identifiziert werden konnte, kamen davon rund 50 Tonnen zur Verwendung. Die restlichen 950 Tonnen werden vorerst in Altlandsberg gelagert und können in Zukunft abgerufen werden, so Bauhaus Erde. Die jeweils acht Kilogramm schweren Steine lassen sich nämlich nicht nur im Forschungsbau einsetzen, denn 2023 wurden sie als tragender Baustoff zugelassen. Sie sind für mehrgeschossigen Gebäude bis zur Klasse 4 freigegeben.

Innovativ ist außerdem die Nutzung von witterungsbeständigem Robinienholz, das ebenfalls aus Brandenburg stammt. In Form der Stützen wurde es teils direkt ins Fundament einzementiert. Eine durchaus charmante Lösung, nur hat die Sorte bisher in Deutschland und Europa noch keine allgemeine Zulassung im konstruktiven Hochbau. Projektleiterin Angelika Drescher erzählt, dass jede verbaute Stütze deshalb einzeln ausgewählt und vor dem Einbau fachmännisch begutachtet wurde. Bezüglich einer Zertifizierung zeigen sich die Planenden aber optimistisch.

Doch welche Rückschlüsse lassen sich vom Forschungsprojekt auf konventionelle Bauvorhaben schließen? Während man bei ProtoPotsdam um das verfügbare Material herumplant, wird in der heutigen Praxis erst das Gebäude entworfen und dann die benötigten Baustoffe beschafft. Bauhaus Erde sieht dahingehend ein besonders großes Potenzial in den Lehmsteinen: „Mit Blick auf die jährlichen Aushubmengen in der Region und der damit verbundenen Analyse- und Logistikinfrastruktur der Industrie ist die Integration einer Lehmsteinproduktion in bestehende Lieferketten unkompliziert und bereits kurzfristig realisierbar“, so der Materialwissenschaftler Christian Gäth. Und mit den Gebäudeklassen 1 bis 4 ist bereits jetzt ein Großteil des Wohnungsbaus abgedeckt. Fortschritte sind aber auch bei der Wiederverwendung von Altholz zu erwarten, das ebenfalls zum Einsatz kommt. Hier braucht es jedoch insbesondere noch mehr Expertise bei der Begutachtung.

Machbarkeitsstudie zum Anfassen


Die Außenhaut des Pavillons steht. Momentan wird der Innenausbau vorgefertigt. Zeitnah sollen die verschiebbaren Innenwandmodule aus Altholz, Plexiglas und Glas, die Innenraumausstattung sowie die Sanitäranlagen von Akteur*innen des Hauses der Materialisierung vor Ort montiert werden. Die Begrünung des Außenraumes und die Möblierung des Geländes mit Vollholz-Stämmen erfolgen im August. Analog zum Bau wurde der Außenbereich möglichst ökologisch geplant: An ein Regenrückhaltebecken ist eine Zisterne angeschlossen, die Wasser für umliegende Beete speichert. Statt das überschüssige Wasser in die Kanalisation zu leiten, versickert es.

In den nächsten Jahren sollen auf dem Eckgrundstück Fachpublikum und breite Öffentlichkeit zusammenkommen und über ein Neudenken in der Baukultur diskutieren. Zu den Veranstaltungen in diesem Sommer zählen Workshops, Führungen über die Schaustelle, eine Sommerschule und Public Lectures. Ab Herbst wird eine Dauerausstellung zu sehen sein und bereits jetzt – siehe unten –  ist eine filmische Dokumentation des ersten Bauabschnitts verfügbar. Für drei bis fünf Jahre ist der Pavillon vorerst gedacht, um dann in Einzelteilen wieder in den Kreislauf der Baubranche einzufließen.

Bilder: 414films, Render-Atelier Berlin


Zum Thema:

bauhauserde.org

Auch unsere Kolleg*innen von baunetz CAMPUS berichteten über ProtoPotsdam.