19.04.2024

Holzparkhaus in Wendlingen am Neckar

Baustellenbesuch mit herrmann+bosch architekten

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Symmetrie und einfache Geometrie: ovale Grundfläche, mittige Rampe, seitliche Treppenhaustürme

Fast vollständig aus Holz errichtet, sortenrein trenn- und rückbaubar, dazu eine mögliche Umnutzung im Visier: Ein Parkhaus in Wendlingen am Neckar will ein Beispiel für zukunftsfähige Architektur sein. Der Besuch mit Architekt Gerhard Bosch im Holzrohbau des jungen IBA27-Projekts macht den vorausschauenden Ansatz deutlich.

Von Sabina Strambu

Das Auto ist hierzulande noch nicht von der Straße wegzudenken. Doch den Raum, den es einnimmt, könnte man langsam besser orchestrieren – zum Beispiel durch bauliche Strukturen, die anpassungsfähig sind. Einen kleinen Vorstoß in diese Richtung macht die Stadt Wendlingen am Neckar, rund 30 Kilometer südöstlich von Stuttgart und damit mitten in der Urschmiede des motorisierten Individualverkehrs.

Die Nähe zur Autobahn und der neuen Schnellbahntrasse zwischen Stuttgart 21 und Ulm macht Wendlingen zu einem Verkehrsknotenpunkt. Wenngleich der ICE nicht am Wendlinger Bahnhof hält, so ist man neuerdings doch schneller an den Regionalverkehr angebunden. Dass genau hier nun auch ein architektonisches Vorzeigeprojekt entsteht, macht die Verantwortlichen durchaus stolz. Das von herrmann+bosch architekten (Stuttgart) geplante Parkhaus mit fünf Ebenen ist fast gänzlich aus Holz errichtet und gemeinsam mit dem Quartiersentwicklungsprojekt Neckarspinnerei eins von zwei IBA’27-Projekten in Wendlingen.

Schnittstelle zu neu geplanten Mischnutzungsquartieren

Das Parkhaus liegt am Eingang zu noch einem weiteren Stadtentwicklungsprojekt, dem Otto-Quartier. Dieses entsteht – wie schon bei der Neckarspinnerei – ebenfalls rund um historische Textilfabriken der Industriellenfamilie Otto. Der IBA-Status wurde diesem Projekt jedoch aufgrund eines Investoren- und planerischen Richtungswechsels wieder aberkannt. Von der Park+Ride-Funktion des neuen Bauwerks, das sich zwischen Quartier und Bahnhof auf städtischem Grund einschiebt, profitieren dennoch alle: Rund 350 Auto- und 200 Fahrradstellplätze, 20 Elektroauto- und 10 E-Bike-Ladestationen soll das Gebäude auf 10.880 Quadratmetern Bruttogrundfläche fassen. Mit 11 Millionen Euro gilt es derzeit auch als teuerstes Projekt der Stadt.

Der Entwurf des Planungsbüros, das viel Erfahrung aus Lehre und Praxis im Holzbau mitbringt, ging aus einem VgV-Verfahren hervor. „Wieso soll nicht auch ein Parkhaus in Holz gehen?“ sagt Gerhard Bosch über ihre Idee. Die Stadt ging mit dem Vorschlag mit. Das Konzept prägt laut dem Architekten eine einfache Konstruktion, eine einfache Geometrie und ein effizienter Grundriss. Der ungewöhnliche Grundstückszuschnitt gab die ovale Gebäudeform vor, dadurch konnten aber auch mehr Parkplätze integriert werden als in einer rechteckigen Variante.

Konzept und Tragwerk

Die Konstruktion besteht im Wesentlichen aus Stützen und Trägern aus Brettschichtholz (BSH) und Decken aus Brettsperrholz (BSP). Lediglich die Rampendecken und die beiden Treppenhäuser an der Süd- und Nordseite wurden aus Statik- sowie Brandschutzgründen in Beton errichtet. Nach den Rohbauarbeiten für das Ringfundament und die Treppentürme wurden zunächst die L-förmigen Stützen aus hoch tragfähiger Baubuche in den Rampenecken montiert. 16 Meter lange BSH-Träger mit 2,5 Tonnen Gewicht überspannen die Parkflächen stützenfrei und laufen strahlenförmig von der Mitte zu den Außenstützen. Jeweils sechs Unterzüge liegen dabei auf einem L-Stützelement auf. Die Horizontalaussteifung erfolgt über die seitlichen Betontürme.

Die Tragwerksplanung übernahm das Ingenieurbüro knippershelbig (Stuttgart), die Ausführung das Unternehmen Holzbau Pletschacher (Dasing). Die im Werk vorgefertigten Elemente mussten auf der Baustelle millimetergenau passen und wurden innerhalb weniger Monate montiert. „Was ich faszinierend finde, ist diese Präzision“ sagt Bosch.

Trennbare Verbindungen, einfache Stecksysteme

Ein wesentlicher Bestandteil des Konzepts ist die rückbaufähige Fügung. So wurden die Unterzüge per Kran auf die Stützen gehoben, die Verbindung stellt ein Sherpa-Stecksystem her. Für den Anschluss an den Treppenhauskern wurden Aussparungen im Beton vorgesehen, durch die mittels Stahlbauteilen die Holzträger aufgegriffen werden. Die zwölf Zentimeter starken BSP-Platten wiederum sind mit den Unterzügen verschraubt. Die Stahlbetonfertigteile der Rampen liegen auf den Trägern auf und sind punktuell über Stahldollen mit ihnen verbunden. Sie wurden anschließend mit Beton vergossen, um eine durchgängige Fläche zu schaffen und damit in der Schräge die dynamischen Lasten des Fahrverkehrs aufzunehmen. Lediglich diese Elemente müsste man herausschneiden, sollte eine Umnutzung anstehen.

Denn eine mögliche Vision sei es, anstatt des Rampenkerns einen Innenhof zur Belichtung und Erschließung etwa von Wohn- und Arbeitsräumen zu integrieren. Die BSP-Decken werden derzeit mit einer doppelten Bitumenschicht versehen und anschließend in Gussasphalt gegossen. Doch auch hier entsteht keine irreversible Verbindung, denn die erste Abdichtungsbahn ist genagelt, der Gussasphalt schwimmend.

Planung mit Weitblick

Nordseitig wird das Gebäude mit Profilglas geschlossen. Dort, zum geplanten Otto-Quartier hin, wirkt das gesamte Gebäude als Schallschutzwand, wofür eine Mindestbauhöhe von 18 Metern erreicht werden musste. Die dem Bahnhof zugewandte Fassade wird hingegen in ein offenes Edelstahlnetz gehüllt, das künftig von Rankpflanzen bewachsen werden soll. Die der Witterung ausgesetzten Stützen erhalten auf dieser Seite eine leicht beschichtete und durch eine Schattenfuge abgesetzte Holzbrettschalung. Das Dach wird ebenso begrünt und trägt bereits jetzt eine Photovoltaik-Anlage, durch die sich die E-Ladestationen speisen. Die Schmalseiten des Ovals bleiben offen.

Normalerweise denkt man während der Bauphase nicht unbedingt an den Rückbau. In diesem Parkhaus jedoch mit all seinen gesteckten und trennbaren Holzverbindungen fällt das nicht schwer. Man kann sich beinahe vorstellen, wie der Kran die Holzelemente einfach wieder heraushebt, so wie Kinder Klemmbausteine auseinandernehmen. Das Wort Baukasten fällt beim Besuch des Öfteren. Die mögliche Nachnutzung wirkt da doch etwas ferner. Diese zu planen, sei Aufgabe der nächsten Generation, sagt Bosch. „Die Vorgabe war es nicht, ein Parkhaus zu bauen, das man umnutzen kann, sondern Randbedingungen zu schaffen, die das ermöglichen.“ Geometrie, Raumhöhe, Stützenfreiheit sowie die konstruktiven Schnittstellen lassen dies zu. Allein das zeugt von planerischem Weitblick.

BauNetz ist Medienpartner der IBA’27.

Fotos: Achim Birnbaum, herrmann+bosch architekten, Sabina Strambu