25.08.2017

Endspurt auf der Langstrecke

Baustellenbesuch der WWK-Arena in Augsburg

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Im Juli wurden insgesamt 22.000 Laufmeter Aluminium- und 1.500 Laufmeter Kunststoffröhren mit Hilfe von Hubsteigern in vier sich überlagernden Ebenen auf die Stahlrahmen der Unterkonstruktion montiert. Foto: Titus Bernhard Architekten

Von Jochen Paul

Als Architekt braucht man einen langen Atem, diese Erfahrung haben Titus Bernhard und Peter Kögl gemacht: Das von ihnen geplante und 2009 fertiggestellte Augsburger Stadion bekommt nun endlich seine fehlende äußere Hülle. Noch in dieser Saison soll sie „in Betrieb“ gehen.

Alles hatte so vielversprechend begonnen: Mit ihrem Entwurf eines äußerst kompakten, energieeffizienten und kostengünstigen Fußballstadions hatten Bernhard & Kögl den eingeladenen Wettbewerb 2006 gegen so große Namen wie gmp Architekten und JSK gewonnen. Ihr Konzept war so einfach wie bestechend: Konstruktiv ist das Stadion mit einem Regelraster von acht Metern und der Dachkonstruktion aus Rundstützen und Fachwerkträgern überschaubar, das Spielfeld ist gegenüber dem Vorplatz um acht Meter abgesenkt und reduziert die Kosten der Erschließung und der Hüllfläche des Hochbaus erheblich. Der ausschließliche Einsatz von erneuerbaren Energien und Bio-Energie aus nachwachsenden Rohstoffen zum Heizen und Kühlen macht die Arena zum ersten klimaneutralen Stadion weltweit. Im Vergleich zu konventionellen Stadien sollen jährlich etwa 750 Tonnen Kohlenstoffdioxid eingespart werden.

Dann war da noch die Fassade – im Wettbewerb eine Hülle aus Profilit-Glas in den Vereinsfarben Grün, Rot und Weiß, die 5,7 Millionen Euro gekostet hätte. Weil der Verein das Geld damals lieber in Spieler investieren wollte, entwickelte die Planungsgesellschaft Bernhard & Kögl eine um 3,2 Millionen Euro günstigere Alternative: Eine Art Kokon aus Aluminium-Rundprofilen und transluzenten, mit LED-Leuchten für die Grund- und Effektbeleuchtung ausgestatteten Kunststoffröhren. Doch im Sommer 2009 wurde klar, dass der damalige FCA-Präsident Walther Seinsch auch diese Fassade (sie war kein Gegenstand des GMP-Vertrags) nicht beauftragen würde. Das Stadion startete „hüllenlos“ in die Saison. „Innen hui – außen pfui“, schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ damals sehr zum Missfallen der Vereinsführung.

Für Titus Bernhard und Peter Kögl folgte ein jahrelanger Kampf für „ihre“ Fassade: 2011 gab die impuls Finanzmanagement AG – sie war aufgrund von Steuernachforderungen in zweistelliger Millionenhöhe in finanzielle Schieflage geraten – den Vertrag für die Namensrechte des Stadions vorzeitig zurück. Aber auch der neue Hauptsponsor, die SGL Carbon SE, hatte an einer Einkleidung des „nackten“ Stadions kein Interesse, und nach dem Aufstieg in die erste Bundesliga entließ der Stadtrat den Verein (respektive die FC Augsburg Arena Besitz- und Betriebs-GmbH) aus der im Erbbaurechtsvertrag festgehaltenen Verpflichtung, die Fassade bis zu 31. Dezember 2011 fertigzustellen.

Als längst niemand mehr damit rechnete, kamen die Dinge Mitte September 2016 wieder in Bewegung. Die WWK Versicherungsgruppe, seit der Saison 2015/16 für zehn Jahre neuer Hauptsponsor des FC Augsburg, hat im Gegensatz zu ihren Vorgängern erkannt, dass sich die Corporate Identity eines Vereins nicht nur im sportlichen Erfolg ausdrückt – und entschied, als Bauherr und Finanzier endlich die Stadionfassade fertig stellen zu lassen.

Nachdem Titus Bernhard und Peter Kögl ihren Entwurf von 2009 auf den aktuellen Stand der Technik angepasst und die Lichtfassade zusammen mit Zumtobel Lighting in Dornbirn simuliert hatten, laufen die Arbeiten an der Fassade auf Hochtouren: Während der Eingangsbereich weitgehend fertiggestellt ist, herrscht Anfang August auf Höhe der weiträumig abgesperrten Gegenkurve des Gästeblocks noch Baustellenatmosphäre: Überall Europaletten und Verpackungsmaterial, auf dem Boden stapeln sich geschweißte Doppel-T-Profile, auf hölzernen Böcken liegen Aluminiumröhren, die normalerweise als Fahnenmasten dienen.

Arbeiter entladen riesige Transportkisten, andere montieren die insgesamt 22.000 Laufmeter Aluminium- und 1.500 Laufmeter Kunststoffröhren mit Hilfe von Hubsteigern in vier sich überlagernden Ebenen auf die Stahlrahmen der Unterkonstruktion. Befestigt werden die unterschiedlich langen, einzeln durchnummerierten Elemente mit Beilagscheiben, Schrauben und Muttern aus Edelstahl; Steckhülsen und Langschlitzbohrungen in den konkaven Auflagern übernehmen die Funktion von Dehnfugen – Aluminium und der Kunststoff der „Leuchtstoffröhren“ dehnen sich bei Sonneneinstrahlung unterschiedlich stark aus.

Dank technischer Weiterentwicklungen im Bereich LED lässt sich die Stadionfassade in allen Farben des sichtbaren Spektrums illuminieren und jedes Element einzeln steuern; der Helligkeitsverlauf ist dabei, anders als das 2009 möglich gewesen wäre, mit 3.500 Lux über die gesamte Länge der Leuchtelemente absolut gleichmäßig. Durch eine Matrix aus acht Elementen, die unterschiedlich kombiniert werden, entsteht je nach Abstand die Tiefenwirkung einer scheinbar zufälligen Anordnung aus überdimensionalen Mikadostäben oder eines stellenweise dichter oder weniger dicht strukturierten Kokons.

Ob die Besucher die neue Fassade als „Metapher für den Gegner einwickeln“ lesen wollen, bleibt ihnen selbst überlassen; auf jeden Fall ist sie ein Gewinn für das Stadion, für den Verein und für die Stadt.