06.06.2017

Supertisch in Sichtbeton

Baustellenbesuch bei Marte.Marte in Berlin

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Die Ausführung in Ortbeton ermöglicht einen fugenlosen konstruktiven Übergang von der Treppe zum Zylinder auf der Ausstellungsebene. Marte.Marte Architekten / Jörg Stadler

Im Jahr 2011 haben Marte.Marte Architekten aus Feldkirch in Vorarlberg den Wettbewerb für das Dokumentationszentrum der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung in Berlin gewonnen. Das politisch kontrovers diskutierte Museum wird im Deutschlandhaus am Anhalter Bahnhof eingerichtet, das in den 1920er Jahren nach Plänen von Bielenberg und Moser entstand. Seit 2012 wird gebaut. Stefan Marte erklärt, welche Überraschungen das Projekt bisher offenbarte.

Von Gregor Harbusch

Herr Marte, wie weit sind Sie? Das Projekt ist weit fortgeschritten, die Rohbauarbeiten sind mehr oder weniger abgeschlossen, wir sind mitten im Innenausbau.

Die Kosten des Projekts belaufen sich aktuell auf 53 Millionen Euro, 15 Millionen mehr als ursprünglich geplant. Die Fertigstellung des Hauses verzögert sich um ein Jahr. Warum? Dafür gibt es unterschiedliche Gründe. Das Deutschlandhaus stammt aus den Zwanzigerjahren, wurde mehrfach umgebaut, zerbombt und wiederaufgebaut. Wir haben hier viele Schichten vorgefunden. Das ist fast schon ein archäologisches Bauprojekt. Eine solche Baustelle bringt viel Unvorhergesehenes mit sich. Im Untergrund zum Beispiel waren wir mit riesigen Fundamentresten konfrontiert, die in keinen Bestandsunterlagen aufgezeichnet waren. Auch die Wasserhaltung war ein schwieriges Thema.

Welche Herausforderungen stellt die historische Substanz? Man sieht es von außen nicht, aber das Deutschlandhaus ist ein extrem filigranes Bauwerk. Es ist ein Stahlskelettbau, der mit Ziegeln ausgefacht und ummantelt wurde. Immer wieder hatten wir es auch mit Instandsetzungen von Bauteilen aus der Nachkriegszeit zu tun, als man aus der Not heraus an das Limit des Möglichen gegangen war. Statisch funktioniert das alles aber auch heute erstaunlicherweise sehr gut. Beim Entkernen des Hauses sind wir jedoch teilweise bis an die Grenzen der Tragfähigkeit des historischen Bestandes gekommen. Als wir unsere neuen Treppenhäuser eingefügt haben, mussten wir beispielsweise bestehende Fensteröffnungen temporär ausmauern, um die Stabilität der Substanz zu gewährleisten.

Ein interessantes originales Element sind die Stahlsteindecken, das sind Decken aus Ziegeln, die mit Hilfe von Zugdrähten zwischen Doppel-T-Träger gespannt wurden. Das Ganze hat man dann ausgegossen und am Schluss wurde Druckbeton aufgebracht. In der Zwischenkriegszeit war das in Deutschland eine weit verbreitete Bautechnik. Ich war anfänglich erstaunt, dass diese Decken funktionieren, aber unseren Statikern war das geläufig. Trittschall ist bei diesen Decken eine große Herausforderung, vor allem, weil in den oberen drei Geschossen der historischen Trakte Büroräume entstehen werden. Hier haben wir Gipskartonschalen unterhalb der trennenden Decken eingebaut. Grundsätzlich wurde flächendeckend schwimmender Estrich ausgeführt. So ist die Akustik in den Griff zu bekommen.

Das Dokumentationszentrum hat keine umfangreiche eigene Sammlung. Im Gegensatz zum Wettbewerbsbeitrag  haben Sie die Archivräume ebenso wie die Haustechnik ganz nach oben in das Geschoss über der Ausstellungshalle verlegt. Warum? Beim Wettbewerb waren diese Räume noch im Kellergeschoss geplant. Wegen des sandigen Bodens, des extrem hohen Wasserspiegels und der Fundamentreste haben wir dann entschieden, sie in das oberste Geschoss zu verlagern. Dieses dient als überspannendes Tragwerk der knapp 1.000 Quadratmeter großen Ausstellungshalle. Die Wände zwischen den Räumen fungieren dabei als Überzüge der Halle darunter.

Eine wichtige Entscheidung im Wettbewerbsentwurf war es, die geforderten fensterlosen Ausstellungsräume nach oben zu heben und darunter ein großzügiges, offenes Foyer zu schaffen. Die gigantische Sichtbetondecke ist schon zu sehen und ziemlich beeindruckend. Das sieht nach einer komplizierten Planung aus. Wir wollen, dass sich das Haus mit seiner schwierigen Thematik zur Stadt hin öffnet. Der zweigeschossige Hauptraum, welcher die erste Ebene der Dauerausstellung aufnimmt, bietet spannungsvolle Aus- und Durchblicke. Er wird von einer gut 30 x 30 Meter großen Sichtbetondecke überspannt, die nur an den drei Treppenhäusern und dem Aufzugsschacht in den Ecken aufgelagert ist – ähnlich wie ein Tisch auf vier Beinen. Es war von Anfang an klar, dass diese Decke eine große Herausforderung darstellt. Auf Grund der Größe, der technischen Einbauten und der statischen Erfordernisse musste die Schalung zwei bis drei Monate vor Ort offen aufgebaut werden, bis überhaupt erst der Beton eingebracht werden konnte.

Ausgeschalt wurde die Decke aus statischen Gründen erst, als das Haus komplett betoniert war. Genau. Die Decke war knapp sechs Monate eingeschalt. Wir haben an Hand von zwei Mock-Ups im Vorfeld gesehen, dass die Betonqualität gut wird, dass aber die Entwicklung der Farbigkeit des Betons aufgrund der langen Einschalzeit nur schwer abzuschätzen sein wird. Es wurde alles bestmöglich ausgeführt und so vorbereitet, dass entsprechende Betonspezialisten den Farbton der Sichtbetondecke an das Grau der Sichtbetonwände anpassen können.

Welche Stärke hat die Decke?
Die Decke hat eine konstruktive Höhe von 140 Zentimeter, ein wirklich imposantes Tragwerk. Wegen der großen Spannweite haben wir sogar einen Schwingungsexperten hinzugezogen. Wir wollten sichergehen, dass auf Grund der nahe gelegenen S-Bahn keine Schwingungen entstehen, die zwar ungefährlich wären, aber die Besucher irritieren könnten.

Ein weiteres Highlight ist die Wendeltreppe, die von der ersten direkt in die zweite Ebene der Dauerausstellung führt. Der Entwicklung der Wendeltreppe haben wir sehr viel Zeit gewidmet und uns schließlich für eine Ausführung in Ortbeton entschieden, um die architektonische Idee des fließenden Übergangs der beiden Ausstellungsebenen auch im Material zu manifestieren. Unser Ziel war, dass die Treppe mit dem Betonzylinder in der zweiten Ausstellungsebene verschmilzt.

Marte.Marte Architekten bauen vor allem in Österreich. Welche Erfahrungen haben Sie in Berlin gemacht? Generell ist das Bauen in Berlin etwas komplexer als bei uns in Vorarlberg, wo wir ein sehr liberales Bauwesen haben und ein großes Verständnis für Architektur – von den Entscheidern bis zu den Handwerkern. Wir waren aber auf das Positivste überrascht, dass wir es in Berlin mit hochqualifizierten Handwerkern und sehr engagierten Firmen zu tun haben.

Fotos: Marte.Marte Architekten / Jörg Stadler [Aufnahmen von Ende März]


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