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09.01.2019
Bauhaus-Direktor Hannes Meyer
Philipp Oswalt über den wichtigen Verdrängten
Vor einhundert Jahren gründete Walter Gropius das Bauhaus. Das wird 2019 in Deutschland als nationales Ereignis gefeiert. Philipp Oswalt, Publizist, Architekt und von 2009 bis 2014 Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau, legt zu Beginn des Jubiläumsjahres zwei kritische Veröffentlichungen zur Kunst- und Designschule vor – eine davon gemeinsam mit Thomas Flierl – die er in den folgenden Tagen in Berlin vorstellen wird. In beiden setzt er sich mit einem wichtigen Protagonisten in der Geschichte des Bauhaus auseinander, der viele Jahre nur unzureichend Beachtung fand: Hannes Meyer war von 1928 bis 1930 Direktor in Dessau. Seine Arbeit wirkt bis heute nach. Die Figur Meyer bietet Anlass, einen prüfenden Blick auf die gefeierte Kunstschule zu werfen. Vier Fragen an Philipp Oswalt.
Herr Oswalt, eigentlich müsste man sich ordentlich über das Bauhaus streiten anstatt es zu feiern, haben Sie neulich im Deutschlandfunk in Bezug auf das Jubiläumsjahr gesagt. Gehört auch Hannes Meyer zu den Streitpunkten?
Philipp Oswalt: Die Fragen, über die man streiten müsste, machen sich nicht nur an der Person Meyers fest, aber auch. Gropius fabrizierte aus dem Bauhaus ab 1930 eine synthetische Marke, zu der Meyer nicht passte. Deswegen hat er ihn erst verschwiegen, und als dies nicht mehr ging, diffamiert. In 90 Prozent aller Bauhausbücher steht, dass Meyer als Bauhausdirektor ein Kommunist war, der Politik betrieben und mit seinem mechanistischen Denken der Kunst den Garaus gemacht hat. Und das ist Unfug.
Einmal kurz im Katalog der Bibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin geschaut: 383 Einträge zu Walter Gropius, 553 Einträge zu Ludwig Mies van der Rohe, 99 zu Hannes Meyer. Warum steht Meyer immer noch im Schatten der beiden anderen Bauhaus-Direktoren?
Gropius hat ab 1930 und erst recht nach 1933 alle Strippen gezogen, um die Geschichtsschreibung über das Bauhaus zu kontrollieren und ein ihm genehmes Bild vom Bauhaus durchzusetzen. Von seiner Sichtweise ist jahrzehntelang (und bis heute) die Arbeit des Bauhausarchvis geprägt, die sehr einflussreiche Stuttgarter Ausstellung von 1968 wie auch unzählige Bücher etc. Und selbst im Osten spielte er eine wichtige Rolle, weil Gropius’ Plädoyer für Normierung, Industrialisierung und Vorfertigung die perfekte Legitimation für die Plattenbauweise war. So sehr Meyer auch in der DDR ab den 1970ern als bekennender Sozialist und späterer Kommunist willkommen war, so wenig passte seine Architektur und Arbeitsweise dort hinein.
Sie kündigen zu Ihrer Publikation an, Meyer habe die Bauhauspädagogik wesentlich verändert. Sind seine pädagogischen Konzepte heute noch sichtbar? Und wenn ja, wo?
Das pädagogische Konzept der Hochschule für Gestaltung in Ulm (1953-1968) hatte eine starke Verwandtschaft zu der Pädagogik von Hannes Meyer und machte dort weiter, wo Meyer wegen seines Rauswurfs aufhören musste. Gleichwohl haben die Ulmer keine Meyer-Exegese betrieben, sondern sich der Gegenwart gestellt. Das Gleiche gilt für heute. Ein Beispiel: DesignBuild-Projekte sind derzeit an den Unis in Mode, und der erste, der mit Studierenden gebaut hat, war Hannes Meyer. Aber ich denke, das weiß heute kaum noch einer, was die Menschen nicht davon abhält, es zu tun.
Das Bauhaus sei in den Sechzigerjahren als Formenlieferant ausgeschlachtet worden, kritisierte einmal Frei Otto. Wie steht es um Hannes Meyer als Formenlieferant?
Hier teilt – so meine ich – Frei Otto Hannes Meyers Postion. Meyer hatte ein Formgespür und war ein talentierter Entwerfer, aber er war nicht fixiert auf einen Formenkanon. Er hat schon vor seiner Berufung Anfang 1927 in der Korrespondenz mit Gropius den Bauhaus-Stil kritisiert. Gropius hat immer behauptet, es ging ihm nicht um Stil. Aber genau das war es, was er als Direktor am und mit dem Bauhaus durchgesetzt hat: einen Stil etablieren. Das hat Julius Posener schon vor vielen Jahrzehnten präzise benannt. Aber gleichwohl nehmen die Leute meist noch Gropius’ Disclaimer für bare Münze – viele Bauhausexperten eingeschlossen.
Die Fragen stellte Sophie Jung.
Buchpräsentationen:
Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deutungen. Mit Klaus Lederer, Bürgermeister von Berlin und Senator für Kultur und Europa, Christine Edmaier, Präsidentin der Architektenkammer Berlin, Thomas Flierl, Philipp Oswalt, Jan Wenzel und Friedrich von Borries (Moderation)
Termin: Freitag, 11. Januar 2019, 18 Uhr
Ort: Architektenkammer Berlin, Alwin-Brandes-Saal, Alte Jakobstraße 149, 10969 Berlin
Hannes Meyers neue Bauhauslehre. Von Dessau bis Mexiko. Mit Philipp Oswalt (Herausgeber), Jesko Fezer (Co-Herausgeber der Reihe) und Tatiana Schneider (Moderation)
Termin: Montag, 21. Januar 2019, 20.30 Uhr
Ort: Pro qm Buchhandlung, Almstadtstr. 48-50, 10119 Berlin
Publikationen:
Hannes Meyer und das Bauhaus. Im Streit der Deutungen.
Reprints und Essays
Hrsg. von Thomas Flierl und Philipp Oswalt
Spector Books, Leipzig 2018
638 Seiten, zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen
ISBN 978 3 96905 150 7
38 Euro
Hannes Meyers neue Bauhauslehre. Von Dessau bis Mexiko.
Hrsg. von Philipp Oswalt
Bauwelt Fundamente Band 164
Birkhäuser Verlag, Basel 2019
267 Seiten, zahlreiche Schwarz-Weiß-Abbildungen
ISBN 978-3-0356-1724-5
29,95 Euro