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06.03.2007
Künstliche Brutalisierung
Unterschriftensammlung gegen Museumsinsel-Pläne in Berlin
Eine Bürgerinitiative mit prominenten Unterstützern wie Günther Jauch und Lea Rosh hat am 5. März 2007 die Vorbereitungen für ein Volksbegehren „gegen die Verunstaltung der Berliner Museumsinsel mit modernen Neubauten“ gestartet. In der ersten Stufe müssen innerhalb der nächsten sechs Monate 20.000 Unterschriften gesammelt werden. In einer eventuellen zweiten Stufe müssten sich dann sieben Prozent der Wahlberechtigten, das wären 170.000 Unterschriften, für das Volksbegehren einsetzen.
Die Hauptkritik der Initiative richtet sich gegen das von David Chipperfield (London/Berlin) geplante zentrale Eingangsgebäude vor dem historischen Neuen Museum und dessen Innenausbau in zeitgenössischer Architektursprache.
Wettbewerbsgewinner Chipperfield hatte in einem langjährigen Planungsverfahren das dringend erforderliche Eingangsbauwerk in moderner Formensprache entworfen. Nach Kritik hatte er im August 2006 angekündigt, den Entwurf noch einmal zu überarbeiten: „Das Haus soll in zeitgemäßer Architektursprache entstehen, aber auch der herausragenden Qualität der umgebenden historischen Museumsbauten Reverenz erweisen“, so Chipperfield (siehe BauNetz-Meldung vom 10. August 2006). Für die Übergangszeit bis zur Vorstellung des neuen Entwurfs hat die Stiftung Preußischer Kulturbesitz eine Simulation der Museumsinsel anfertigen lassen, bei der das Eingangsbauwerk nur schematisch zu erkennen ist (siehe nebenstehendes Bild).
Mit dem Baubeginn wird für 2009 gerechnet; die Finanzierung durch den Bund in Höhe von 79 Millionen Euro ist seit Herbst 2006 sichergestellt. Die Initiatoren des Volksbegehrens wollen einen Planungs- und Baustopp erreichen.
Kommentar der Redaktion
Wer die Namen der in dieser Bürgerinitiative versammelten Bürger einordnen kann, weiß, aus welcher Ecke hier der Wind weht: Aus der Ecke vollkommen unbelehrbarer Traditionalisten, denen jedwede zeitgenössische Architektursprache undifferenziert ein Gräuel ist. Das beweist die Sprache, der sie sich bedienen: Der Chipperfield-Entwurf sei eine „künstliche Brutalisierung und totale Zerschlagung“ eines „in 100 Jahren durch geniale Baumeister entstandenen historischen Kulturerbes“.
Der Fernsehmoderator Günter Jauch ist schon in seiner Wahlheimat Potsdam als eiserner Reko-Befürworter aufgefallen, und die Publizisten Wolf Jobst Siedler und Arnulf Baring sind ebenfalls seit Jahrzehnten immer ganz vorne mit dabei, wenn es gilt, alles, was nach Moderne riechen könnte, zurückzudrängen.
Der Vogel abgeschossen wird aber durch die Person der Sprecherin der Initiative, Annette Ahme. Sie hatte schon in ihrer früheren Funktion als Geschäftsführerin der „Gesellschaft Historisches Berlin“ die Berliner Redaktionen durch ihre atemlosen, naiv-dreisten Rundbriefe unfreiwillig erheitert. Auch wenn Ahme als Berufsbezeichnung „Historikerin“ angibt, hat sie eines nicht: Sinn für historische Zusammenhänge. Bei ihr ist grundsätzlich alles gut, was „alt“ aussieht, ganz gleich, ob es ein wertvolles historisches Baudenkmal oder eine geschichtsfälschende Rekonstruktion ist.
Mehr noch: Auch die Errichtung pseudohistorischer Neubauten ohne historisches Vorbild wird von diesen Leuten forciert – siehe BauNetz-Meldung vom 6. Juli 2006, wo ein peinlicher historisierender Gegenentwurf der „Gesellschaft Historisches Berlin“ für die Museumsinsel vorgestellt wird.
Aus der Ecke der Eiferer ist keine Einsicht zu erwarten. Die Erkenntnis, dass historische Baukomplexe wie Altstädte, Schlösser oder Museumsinseln sich eben in Jahrhunderten oder Jahrzehnten entwickelt haben und dabei jede Epoche das selbstverständliche Recht hatte und hat, in der Formensprache ihrer Zeit zu bauen – diese Grunderkenntnis der Baugeschichte wird einfach ausgeblendet.
Diskutieren kann man mit den Protagonisten nicht: Sie haben ihr festgefügtes Weltbild und machen es sich darin bequem. Das lässt sich gut dadurch illustrieren, dass die Initiative zur Zeit gegen ein Phantom kämpft: Der neue Chipperfield-Entwurf ist noch überhaupt nicht bekannt; der Bauherr behilft sich momentan mit einer Platzhalter-Darstellung bei der Visualisierung der Museumsinsel. Doch auch das ficht die Initiatoren nicht an: In ihrer Sicht kann alles, was von einem begabten, sensiblen, modernen Architekten wie Chipperfield stammt, nur Teufelswerk sein.
Benedikt Hotze
Kommentare:
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Simulation mit schematischer Darstellung des neuen Eingangsbauwerks, dessen überarbeiteter Entwurf noch nicht bekannt ist