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10.03.2006
Moderne in aller Welt
Harry Seidler ist tot - mit Kommentar
Australiens berühmtester Architekt der Moderne, Harry Seidler, ist am 9. März 2006 in seinem selbst entworfenen Haus von 1967 in Killara im Alter von 82 Jahren gestorben.
Der 1923 in Wien geborene und vor den Nationalsozialisten geflohene Seidler ging 1938 mit einem Studentenvisum nach England und entschied sich zufällig zu einem Architekturstudium. 1940 wurde Seidler als „enemy alien“ interniert; zuerst in London, dann Liverpool, der Isle of Man und schließlich in Quebec. Nach seiner Freilassung 1941 studierte er an der University of Manitoba und später in Harvard, wo er auf Walter Gropius traf. Unter einem weiteren ehemaligen Bauhausmeister, Joseph Albers, studierte er am Black Mountain College in North Carolina und arbeitete für Alvar Aalto in Helsinki, Marcel Breuer in New York und Oscar Niemeyer in Rio de Janeiro.
Der Wunsch seiner emigrierten Mutter, ihr ein Haus zu entwerfen, brachte Seidler 1948 nach Australien. Die fließenden Formen dieses Hauses in Wahroonga sorgten sofort für Aufsehen. Es gehört heute dem Historic Houses Trust und ist öffentlich zugänglich.
Seidlers Serie kontroverser kommerzieller Bauten in Sydney begann mit dem „Australia Square“-Hochhaus von 1967. Das im Grundriss runde, 50stöckige Beton-Bürohaus, das die Silhouette von Sydney massiv veränderte, gilt vielen bis heute als schönstes Hochhaus Australiens.
In Sydney baute Seidler mit dem MLC Centre, dem Grosvenor Place und den Horizon-Apartments weitere stadtbildprägende Gebäude.
Im Laufe seiner langen und erfolgreichen Karriere baute Seidler überall in Australien: in Canberra, Melbourne, Brisbane und Perth.
Zu Seidlers bekanntesten Werken in Europa gehören die australische Botschaft in Paris und ein Sozialwohnungsbau in Wien, der Wohnpark Neue Donau (1999).
In Wien werden Seidlers Ideen auch posthum noch verwirklicht: Der Spatenstich für den von ihm entworfenen Thürndl-Hof in Simmering mit 800 Wohnungen wird im Sommer 2006 stattfinden. Auch der von Seidler gestaltete 58stöckige Meriton-Tower in Sydney ist derzeit noch im Bau.
Seinen 80. Geburtstag hatte Seidler in Berlin gefeiert (siehe BauNetz-Meldung). Seidler war auch im noch höheren Alter noch in Deutschland als Vortragender unterwegs (siehe BauNetz-Meldung).
Kommentar der Redaktion:
Seidler gilt als „Meister der Moderne“, der wie ein Pionier die Ideen der Moderne in die neue Welt getragen hat, als Markstein, mit dem die moderne Architektur in Australien Einzug hielt.
Schon sein erstes Werk, die funktionalistisch-leichte Box, die er 1948 aus Sandstein und farbigen Paneelen für seine Mutter Rose in Turramurra mit offenem Grundriss entwarf, beeindruckte die Architekten in Australien nachhaltig.
Seidlers erstes Hochhaus in Sydney und auch seine großen Bürobauten überall in Australien lösten hingegen auch immer wieder Protest aus. Das prallte an ihm ab. Die Kritik an seinem „Blues Point Apartment Tower“ von 1961 am McMahons Point beispielsweise tat er als Werk von „Analphabeten, die unsensibel und ungebildet sind“, ab. Die Postmoderne war ihm „eine zügellose dekorative Laune für reiche, verwöhnte Kinder“. Tatsächlich zeichnet Seidlers Werk eine bemerkenswerte Konsistenz aus, deren Mangel an Selbstzweifel jedoch symptomatisch für die Moderne ist.
Seidler gilt als „Australiens interessantester, aber nicht unbedingt bester Architekt“: Wie eine Mischung aus Paul Rudolph und Oscar Niemeyer wirken seine Bauten bisweilen, reichen aber weder an Rudolphs brutalistische Raffinesse, noch an Niemeyers erotoman geschwungene Formenwelt heran.
Kritiker nannten Seidler einen „elitären Europhilen, der Häuser baut, die nicht in die australische Landschaft passen“.
Seine Beziehung zu Australien blieb zeitlebens angespannt: Seidler war von Australien nie so beeindruckt wie Australien von ihm, sagten Beobachter. „Australische Architekten können international einfach nicht mithalten. Hier gibt es nichts und niemanden, der den Blutddruck steigert“, so Seidler, dem versehentlich 1985 die australische Staatsbürgerschaft aberkannt worden war, wie sich erst im August 2005 zufällig herausstellte.
Seidler wurde bewundert, aber selten kopiert. Eine Schule ist aus seiner Entwurfshaltung nicht geworden. Dazu war sein zunächst tragischer Lebensweg vielleicht zu besonders sowie sein Ansatz zu amerikanisch-beeinflusst und theoretisch zu wenig untermauert.
Ulf Meyer
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