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https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen_Calatrava_baut_fuer_Stadt_Wien_ohne_EU-Ausschreibung_29690.html

06.02.2008

Auftragskunst?

Calatrava baut für Stadt Wien – ohne EU-Ausschreibung


„Wir wollen das Bundesvergabegesetz nicht nach allen Möglichkeiten umschiffen, sondern nur in diesem einen, ganz konkreten Fall. Und in diesem konkreten Fall geht es um eine künstlerische Gestaltungsmöglichkeit für eine Brücke. Diese Kombination aus Ingenieurskunst und Architektur ist nichts Alltägliches. Ich gehe davon aus, dass die österreichische Konkurrenz dafür Verständnis haben wird.“ So äußerte sich der Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker am 4. Februar 2008 im Zusammenhang mit zwei Projekten, die der spanische Architekt Santiago Calatrava in Wien bauen soll – eine Brücke im Süden und eine U-Bahn-Station im Norden der Stadt.

Das gehe auch ohne EU-weiten offenen Wettbewerb, so Schicker, denn es handele sich dabei ja nicht um Architektur, sondern um Kunst. Wien brauche mehr Signale und Wahrzeichen als den Stephansdom. Die Triester Straße beispielsweise sei dafür geeignet, mit einer zeichenhaften Fußgängerbrücke (von Calatrava) überspannt zu werden.
Anscheinend wurde für die Wiener Brücke alles sorgfältig eingefädelt: Veränderungen bezüglich der Flächenwidmung im Bereich des Wienerbergs sind nicht mehr notwendig; die Bauzeit für die Brücke beziffert Schicker mit zwei Jahren; die Arbeiten könnten sofort beginnen.

Sicher, als „Brückenbaumeister“ genießt Calatrava Weltruhm. Er gilt aber auch als schwierig, wenn sich die Maße seines Ingenieurkunstwerks in der Realität ändern (BauNetz-Meldung vom 13. August 2007 zur „Ponte di Calatrava“ in Venedig).

Schicker hat außer der Brücke noch weitere Pläne mit seinem Schützling: Die großen Stadterweiterungsgebiete im Norden Wiens seien prädestiniert, „von Santiago Calatrava eine Handschrift verpasst zu bekommen.“ Mit dem ehemaligen Flugfeld Aspern (BauNetz-Meldung) eröffne sich da ein riesiges Betätigungsfeld. In Aspern will Schicker Calatrava einen Bahnhof bauen lassen: „Wie es uns dabei gelingen wird, den Leuten zu erklären, dass es sich dabei nicht um ein öffentliches Gebäude, sondern um ein künstlerisches Projekt handelt, wissen wir vorerst noch nicht.“

Die Strategie liegt auf der Hand: Schicker will Calatravas Architekturen als Auftragskunst deklarieren, um das österreichische Budnesvergabegesetz auszuhebeln. Dass öffentliche Projekte, deren Baubudget 206.000 Euro überschreiten, in Österreich EU-weit offen ausgeschrieben werden müssen, ist Schicker bekannt. Eine direkte Kommissionierung Calatravas ohne EU-Ausschreibung nimmt sich insofern nicht nur als Überraschung, sondern auch als Ohrfeige für die europäischen Architektenkollegen aus.
Nicht, dass wir etwas gegen öffentliche Calatrava-Architekturen in Wien hätten. Solange sie aus einer internationalen Ausschreibung nach den Regeln der Kunst im sprichwörtlichen Sinne hervorgegangen sind: Bitte sehr! Architektur-Branding ohne Chancengleichheit darf es aber nicht geben.

Das Vergaberecht bei öffentlichen Projekten in Wien unterlaufen zu wollen, scheint indes keine Ausnahme zu sein: Erst im Oktober 2007 und im Januar 2008 berichteten wir über den zweifelhaften Architekturwettbewerb für die Wiener Bahnhofscity, bei dem die Österreichische Bundesbahn (ÖBB) per Auslobung durch eine eigens dafür gegründete Tochtergesellschaft ebenfalls eine EU-weite Ausschreibung ausschließen wollte und nur sechs Büros ihrer Wahl einlud (BauNetz-Meldung und BauNetz-Meldung). Die internationale Architektenschaft protestierte. Zu Recht. Zumindest in diesem Fall steht eine Entscheidung des österreichischen Bundesvergabeamts (BVA) aus, die Juristen als wegweisend für künftige öffentliche Ausschreibungen der Stadt Wien betrachten. Das Auswahlverfahren für die Bahnhofscity wurde einstweilig gestoppt.

Till Wöhler


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