„Access is the New Capital“ – der von Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer kuratierte Österreichische Pavillon nimmt den Plattform-Kapitalismus ins Visier. Unterteilt in die sieben Kapitel Zugang, Service-Stadt, Maßstab, Emotionen, Zirkulation, Daten und Öffentlichkeit liefert er einen der konzeptuell anspruchsvollsten Beiträge der Venedig Biennale 2021.
Von Alexander Stumm
Digitale Plattformen haben uns im Griff. In Sozialen Medien werden die politische Weltlage diskutiert oder Alltagserlebnisse geteilt. Mobilität wird über Car-, Bike- oder E-Scooter-Sharing gelöst. Dating-Apps versprechen unkomplizierten Sex oder die große Liebe. Musik, Filme und Games werden gestreamt. Online-Versandhändler bringen Konsumprodukte, Lieferdienste die Mahlzeiten oder dringend benötigten Szechuan Pfeffer für den Kochabend. Seit Covid-19 findet auch die Arbeits- und ein Großteil der Freizeitkommunikation über Videotelefonie, das Fitness-Programm am Smart-TV statt.
Seit Beginn der Pandemie wird wieder vielfach über den Niedergang des Einzelhandels und die Verelendung der Innenstädte debattiert sowie urbane Verdichtung auf den Prüfstand gestellt. Doch viele Thesen bleiben im Düster-Spekulativen verhaftet. Oft fehlt ein theoretisches Fundament. Hier setzt die Ausstellung des österreichischen Pavillons mitsamt den im Katalog und online veröffentlichten Essays an.
Die Kuratoren Peter Mörtenböck, Professor für Visuelle Kultur an der Architekturfakultät der TU Wien und Helge Mooshammer, Stadt- und Kulturforscher an der TU Wien nehmen in Plattform Austria die (schon vor Covid-19 virulenten) Entwicklungen mit einer Ausgangsthese in den Blick: Der Plattform-Kapitalismus ist kein Cloud-Phänomen, seine materielle Ausprägung nicht auf Smartphones, Funktürme, Kabelleitungen, Rechenzentren und Serverfarmen beschränkt. Vielmehr ist er ein wirkmächtiger Akteur, der die Strukturen von Stadt und Gesellschaft entscheidend mitprägt. Es geht demnach um die räumlichen Auswirkungen des Plattform-Kapitalismus, die unter dem Begriff Plattform-Urbanismus zusammengefasst werden.
Nun ist ein solcher Plattform-Urbanismus nicht zwangsläufig im architektonischen Sinne abbildhaft – ein Problem, wenn man eine Ausstellung konzipieren will. Doch das Ausstellungskonzept überzeugt auch auf visueller Ebene und schafft dabei den Spagat zwischen klassischer Gemäldegalerie – der Pavillon ist schließlich ein Entwurf des Wiener Sezessionisten Josef Hoffmann – und der von Memes und Post-Internet geprägten Ästhetik der digitalen Gegenwart. Begrüßt wird man von zwei von der Decke hängenden Installationen, die wie materialisierte Instagram Stories-Buttons daherkommen, tituliert mit „Access is the New Capital“ und „The Plattform is my Boyfriend“.
Gut 50 Architekt*innen, Künstler*innen, Theoretiker*innen und Kollektive haben Beiträge geliefert, darunter Tom Avermaete, Peggy Deamer, Saskia Sassen, Manuel Shvartzberg Carrio, Slutty Urbanism und Douglas Spencer. Bei Platform Austria werden sie allesamt konsequent als Blogger bezeichnet. Obwohl artig gerahmt und klassisch gehängt, sind die stets im gleichen Format gezeigten Arbeiten weniger Bildwerke denn Posts. Sie können als (oftmals wirklich witziges) Aufmacherbild für die im Katalog beziehungsweise auf der Website nachzulesenden Essays verstanden werden.
Teil der Ausstellung ist auch eine typologische Studie des Plattform-Urbanismus. An einer großen Wand werden in schlichten Axonometrien mit kurzen Erklärtexten verschiedene Phänomene dargestellt, die auf den ersten Blick wenig miteinander zu tun haben. Darunter fallen die seit den 1970er Jahren entstandenen Freihandelszonen, in denen private Unternehmen relativ unbehelligt von nationalen Gesetzgebungen wie Arbeitsrechten operieren; die unzähligen fensterlosen Warenverteilerzentren, die zum Außenraum hermetisch abgeriegelt, dafür aber eng an den globalen Strom von Informationen, Produktion und Güter gekoppelt sind; die Ghost Kitchens, in denen Gig Worker unter schlechten Arbeitsbedingungen dezentral die Mahlzeiten großer Restaurants zubereiten; die E-Scooter und Shared-Bikes, die präzise Muster aller Fahrten im Stadtraum aufzeichnen und mitunter als Ersatz für bezahlbaren öffentlichen Nahverkehr dienen; die in urbanen Räumen und bei Start-Ups gleichermaßen genutzten Kletterwände, die ob ihrer Vertikalität einfach integriert werden können und kurze Möglichkeiten für sportliche Betätigung und sozialen Austausch sorgen – bevor es zurück an die Arbeit geht; darunter fällt aber auch der Muschelkopfhörer mit Noise Cancelling-Funktion, der am Hot-Desk im Coworking-Büro einen abgeschiedenen Mind-Space suggeriert.
Die Typologien gehen vom Planetarischen und Urbanen zum Designobjekt – die Kuratoren sprechen deshalb von einem „Collapse of Scales“, einem Zusammenbruch der Skalen, mit denen in der Stadtplanung traditionellerweise operiert wird. Bevor wir in einer „City-on-Demand“ leben, in der sich der „reale Stadtraum in inselartige Zonen auf[löst], in denen nur noch Fragmente sozialen Austauschs übrigbleiben“, lohnt es sich, die Fragen nach Zugänglichkeit, Mobilität und Service neu zu stellen. Oder, um es mit Mörtenböck und Mooshammer zu sagen: „The Future is Public“.
Der Pavillon ist auch auf platform-austria.org und – wie sollte es anders sein – auf Instagram und Facebook zu erleben, wo er über den Biennale-Zeitraum hinaus erweitert werden soll. Auf der Website findet man einige der besten Textbeiträge zum Thema. Die Image Bank „We Like“ will als Open Source Plattform eine Bildersammlung alternativer Räumen jenseits des Plattform-Urbanismus werden. Ende August und im September sind, soweit es das Infektionsgeschehen zulässt, eine Midisage und Veranstaltungen vor Ort geplant.
Katalog zur Ausstellung:
Platform Urbanism and Its Discontents
Hrsg. von Peter Mörtenböck und Helge Mooshammer
Englisch
480 Seiten
Nai010, Rotterdam
ISBN 978-94-6208-615-9
29,95 Euro