„Organische Architektur“ – was ist das eigentlich? Formen, die der Natur nachempfunden sind, kommen da einem in den Sinn. Der Blick in die Schubladen der Architekturgeschichte ist allerdings komplexer. Was wurde eigentlich aus dem Erbe von Hans Scharoun (1893–1972), Hugo Häring (1882–1958) und vergleichbaren Architekten der klassischen Moderne? Wer würde heute noch einen Bauernhof so minutiös aus den funktionalen Abläufen heraus planen wie Häring das Gut Garkau Anfang der 1920er Jahre? Nutzungen ändern sich permanent. Welchen Sinn macht da noch der perfekt gerundete Kuhstall?
Beim Blick in das BauNetz-Archiv wird schnell klar: Das Adjektiv „organisch“ wird heute gerne genutzt, wenn es darum geht, die Einbindung eines Neubaus in seine Umgebung zu umschreiben. Formal schlägt sich das meist in gerundeten oder bewegten Formen nieder, die etwa bestehende Bäume umfangen oder sich gezielt zum Außenraum orientieren. Einen manierierten Extrempunkt der Einbettung ins Grüne zelebriert beispielsweise die weitläufige Villa von J. Mayer H. und Partner in Moskau. Die meisten Projekte zeigen sich in dieser Hinsicht freilich weitaus subtiler.
Spannend wird es, wenn es weniger um die spektakuläre Form, sondern um die Zusammenhänge von Grundriss und Außenform geht. Die Schule von Behnisch Architekten in Frankfurt am Main zeigt sich hier als ganz klar in der eingangs angesprochenen Tradition – was angesichts der Geschichte des Büros nicht verwundert. Aber auch die Mediathek von Dominique Coulon in Porto-Vecchio verdient in dieser Hinsicht einen zweiten Blick.
Interessante Beispiele organischer Formen findet man auch in der Landschaftsarchitektur – und das durchaus auch im steinern-urbanen Kontext, wie die Platzgestaltung von COBE in Kopenhagen oder die Anlage in Kaunas von 3deluxe beweisen. Geradezu ein Muss sind bewegte Formen bei anthroposophischen Auftraggeber*innen. Die Vermeidung rechter Winkel ist hier ideologisch begründet, während runde Formen bei Skateanlagen wie dem Projekt von MBL und David Apheceix schließlich pure Notwendigkeit sind. Größer könnten die Unterschiede eigentlich nicht sein. Die Beantwortung der eingangs gestellten Frage wird dadurch nicht leichter. (gh)
Teaser: Kindergarten in Ittigen von Büro B Architekten. Foto: Alexander Gempeler