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19.10.2021

Buchtipp: Amphibium zwischen Kunst und Geschäft

Zwei Bücher über Werner Düttmann


Am 6. März diesen Jahres hätte Werner Düttmann (1921–83) seinen 100. Geburtstag gefeiert. Der Architekt, Senatsbaudirektor (1960–66) und Präsident der Akademie der Künste war eine Ausnahmeerscheinung im West-Berlin des Kalten Krieges. Dynamisch, lebensfroh, großzügig, kommunikativ, kosmopolitisch, voller Kreativität und sensibel für Neuerungen im internationalen Bauen.

Düttmann baute – hervorragende Kulturbauten wie die Akademie der Künste im Hansaviertel, aber auch reichlichst sozialen Wohnungsbau –, er malte und schrieb. „Erfreulich unbürgerlich“ sei er, schrieb Rolf Gutbrod 1963. Wer den akkurat-steifen Habitus der damaligen Generation vor Augen hat, kann erahnen, was damit gemeint ist.

Den runden Geburtstag dieses Ausnahmearchitekten feierte das Brücke-Museum mit einem Ausstellungsprojekt samt groß angelegter Begleitpublikation, die im Frühjahr erschienen ist. Ein zweites, kleineres Buch ist seit einigen Tagen erhältlich. Es entstand im Baukunstarchiv der Akademie der Künste, wo Düttmanns Nachlass liegt. Die beiden Bücher könnten unterschiedlicher nicht sein.

Verliebt ins Bauen
hieß die erste Monographie, die im Jahr 1990 zu Düttmann erschien. Ganz so pathetisch wie damals ist der Titel des von Lisa Marei Schmidt und Kerstin Wittmann-Englert herausgegebenen Buches Werner Düttmann. Berlin. Bau. Werk. nicht. Doch die beiden Herausgeberinnen schließen erklärtermaßen an das Buch von 1990 an. Entstanden ist ein schwärmerisches Buch, das die Architektur in den Mittelpunkt stellt und „Tüte“ – so Düttmanns Spitzname – feiert. Es tut dies mit schönen Bildern und leider viel zu knappen Texten, dafür aber mit interessanten künstlerischen Beiträgen, unter anderem von Niklas Fanelsa, Van Bo Le-Mentzel und Anri Sala. Ergänzend gibt es eine Webseite, die unter anderem ausführliche Beschreibungen zu den Hauptwerken Düttmanns liefert.

Die einzige längere Auseinandersetzung im Buch stammt von Niklas Maak, der in seiner gelungenen Einführung nicht nur die Architektur in einen internationalen Kontext stellt, sondern über Düttmann urteilt, dass er „eigentlich Amerikaner“ gewesen sei – und damit Exponent einer geglückten Reeducation-Politik. Düttmanns Entwurfsansatz beschreibt er als ein Collagieren und Synthetisieren unterschiedlichster Einflüsse. Sein ästhetisches Denken habe mehr mit dem Prinzip Flohmarkt zu tun als mit der Haltung eines modernistischen Planer-Demiurgen.

Einen völlig anderen Zugang zu Düttmann verfolgt das von Sibylle Hoiman herausgegebene Buch Werner Düttmann. Nachdenken über Architektur. Reden und Schriften. Hoiman leitet seit September letzten Jahres das Baukunstarchiv der Akademie der Künste und hat nach nur einem Jahr ihr erstes Buch in ihrer neuen Funktion publiziert. Sie lässt Düttmann selbst zu Wort kommen, indem sie über 80 Artikel, Briefe, Nachrufe, Ansprachen und Notizen versammelt.

In der Einleitung wird Dütttman zitiert, auf dass er seine Texte selbst verorte: „Vom Schreiben verstehe ich nichts. Dennoch drängt es mich immer wieder, wenn ich nachhause komme und die Vögel im Garten schon zu brüllen beginnen, danach.“ Obwohl er viel schrieb und notierte, wurde wenig publiziert, was die kommentierte Veröffentlichung seiner Texte umso mehr legitimiert. Unbedingt lesenswert ist auch die knappe Einleitung. In dieser wird unter anderem angesprochen, was im großen Buch bedauerlicherweise unterbelichtet bleibt: Düttmann als baupolitischer Akteur, als Netzwerker in eigener Sache, als „Amphibium zwischen Kunst und Geschäft oder zwischen Kunst und Rendite oder Steuerabschreibung“, wie er die Rolle des Architekten einmal selbst beschrieb.

Beide Bücher kann man als Geschenke an den Jubilar begreifen. Das eine feiert ihn, das andere übergibt ihm selbst das Wort. Eine umfassende, historisch-kritische Auseinandersetzung mit Düttmann steht allerdings weiterhin aus.

Text: Gregor Harbusch


Werner Düttmann. Berlin. Bau. Werk. / Building. Berlin.
Lisa Marei Schmidt und Kerstin Wittmann-Englert (Hg.)
Deutsch / Englisch
372 Seiten
Wasmuth & Zohlen, Berlin 2021

ISBN: 978-3-8030-2215-8
45 Euro


Werner Düttmann. Nachdenken über Architektur. Reden und Schriften
Sibylle Hoiman (Hg.)
304 Seiten
Wasmuth & Zohlen, Berlin 2021
ISBN: 978-3-8030-2226-4
24,80 Euro



Zum Thema:

Interesse an noch mehr Düttmann? Am Donnerstag, 28. Oktober 2021 um 18.30 Uhr eröffnet die Ausstellung „Berlin ist viele Städte. Der Architekt und Stadtplaner Werner Düttmann“ im BHROX bauhaus reuse auf der Mittelinsel des Ernst-Reuter-Platzes. Die Ausstellung läuft bis 26. November und zeigt studentische Arbeiten des Fachgebiets Architekturgeschichte und -theorie der UdK Berlin. Unter Leitung von Matthias Noell verfolgten die Student*innen zeitgenössische Annäherungen an Düttmanns Bauten. Gezeigt werden Zeichnungen, Fotografien und Filme.


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Die Multimedia-Architektur des Ku’damm-Ecks (1969–72) mit seiner Lichtraster-Werbefläche ist leider nicht mehr erhalten. Das Einkaufszentrum wurde 1999 abgerissen.

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Werner Düttmanns Ernst-Reuter-Platz von 1960 ist nicht nur ein kontrovers diskutierter Stadtraum, sondern auch Ort einer kleinen Ausstellung über Düttmann, die dort ab 28. Oktober im Pavillon bauhaus reuse zu sehen sein wird.

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Das Atelierhaus für den Maler Walter Menne entstand 1964–66. Laut eigener Aussage verzichtete Düttmann bei diesem Haus auf jegliche Farbe, da Menne ausschließlich in Schwarz-Weiß arbeitete.

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Die Wohnbebauung Hedemannstraße am südlichen Ende der Friedrichstraße (1973–75) steht exemplarisch für den qualitativ hochwertigen, großmaßstäblichen Wohnungsbau Düttmanns.

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