Von Stephan Becker
Bruno Taut: Waldsiedlung
Grüne Natur statt überhitzte Straßenschluchten: Das Grundprinzip von Bruno Tauts Waldsiedlung rund um den U-Bahnhof Onkel Toms Hütte in Berlin-Zehlendorf taugt an heißen Sommertagen natürlich auch als Anleitung für einen erfolgreichen Ausflug. Auf dem Weg zu den Seen im Südwesten der Stadt lässt es sich jedenfalls gut ein wenig durch in Halbschatten getauchte Straßen spazieren. Die Sonne steht allerdings noch gar nicht am Himmel, wenn der Berliner Fotograf Martin Zellerhof dort mit seiner Großbildkamera unterwegs ist. Seine Bilder, die im kürzlich erschienenen Buch „Bruno Taut: Waldsiedlung“ zu sehen sind, zeigen menschenleere Fluchten bei neutralem Himmel. Die Architektur der Wohnbauten tritt dadurch in den Vordergrund, ohne dass jedoch ihre Farbigkeit allzu dominant würde. Zellerhof blickt mit einem analytischen Auge, er registriert nicht nur die Arbeit Tauts, sondern auch die vielen Eingriffe der Bewohner und nicht zuletzt das Wechselspiel der Architektur mit den dicht geparkten Autos, die heute die Straßen säumen.
Das Buch entstand in Zusammenarbeit mit der Autorin Katja Sengelmann, die in kongenialer Ergänzung zu Zellerhoffs straßenseitigen Beobachtungen ihren Schwerpunkt auf das Leben in den Häusern legt. Selbst Bewohnerin der Siedlung, notiert sie die biographischen Erinnerungen ihrer Nachbarn, die in vier Texten einen persönlichen Zugang zur Waldsiedlung eröffnen. Die Szenen reichen zurück bis in die Nachkriegszeit, wo schon mal des Nachts aus Brennstoffmangel heimlich Bäume gefällt wurden. Später kamen dann die Studenten der nahen FU in die Siedlung, versuchte man, bei den Amerikanern originale Jeans zu besorgen oder ging ins Kino in der Ladenstraße des U-Bahnhofs, wo heute Aldi seine Waren verkauft.
Die Siedlung war dabei die längste Zeit vor allem eine ganz normale Wohngegend, die sich aber doch durch einen besonderen Geist auszeichnete – ein explizites Interesse an der Architektur entstand hingegen erst viel später und oft unter Einfluss der Zugezogenen, die sich ihren Hauskauf ganz genau überlegt hatten. Heute sind insbesondere Tauts Reihenhäuser extrem beliebt und sie wechseln für hohe Summen die Besitzer – noch vor vierzig Jahren waren es vor allem die Jungverheirateten aus der Nachbarschaft, die ein neues Häuschen suchten. Der doppelte Fokus macht das Buch dabei zu etwas Besonderem, denn die Qualität der Architektur muss sich am Ende eben doch im Alltag beweisen – Sengelmann und Zellerhoff helfen hierbei mit ihrem persönlichen Zugang zu den Häusern unter den Kiefern.
Bruno Tauts Hufeisensiedlung
Das leuchtende Blau der Wände und die Böden in dunklem Ochsenblut, passgenaue Einbaumöbel und die grün schimmernden Kacheln des alten Ofens – während die Siedlungen Bruno Tauts dem äußeren Anschein nach heute wieder in originalem Zustand sind, so gilt das noch lange nicht für die Innenräume. Für den Berliner Gestalter Ben Buschfeld sind es aber gerade auch solche Detailfragen, über die sich Tauts Werk erschließt – ohne dass er dabei die Gesamtperspektive aus den Augen verlieren würde. Für all jene Besucher, denen der Blick auf die Fassade nicht genügt, bietet er seit einigen Jahren zusammen mit der Landschaftsarchitektin Katrin Lesser eine besondere Raumerfahrung: In ihrem „Tauten Heim“ in der Hufeisensiedlung in Berlin-Britz können Besucher in einer zeithistorisch rekonstruierten Wohnumgebung nächtigen.
Mit seinem im letzten Jahr erschienen Buch zu „Bruno Tauts Hufeisensiedlung“ bietet Buschfeld nun außerdem eine Art kompaktes Making-of zum „Tauten Heim“ – und zwar nicht nur auf Ebene der einzelnen Wohnung, sondern vor allem auch aus einer historischen Perspektive. Das beginnt mit den sozialen und politischen Hintergründen der staatlichen Baupolitik, führt über die städtebauliche Grundkonzeption der Siedlung und ihrer Frei- und Grünflächen und mündet schließlich in einer kurzen Wohnungs- und Milieugeschichte, die – nicht zuletzt über Buschfeld selbst – bis in die Gegenwart reicht. Kurze Biographien der wichtigsten Akteure und Ausblicke auf die anderen Quartiere, die zusammen mit dem Hufeisenprojekt als „Siedlungen der Berliner Moderne“ zum UNESCO-Weltkulturerbe zählen, runden das Buch ab.
Wie bei Zellerhoff und Sengelmann darf nicht zuletzt auch Buschfelds eigenes Engagement als Ausweis für die Qualität von Tauts Architektur gelten. Wer heute in einem der Häuser in Zehlendorf oder Britz wohnt, der fühlt oft eine Verbundenheit zum Ort, die man bei anderen Siedlungen nur sehr selten antreffen dürfte. Buschfelds Buch richtet sich dabei gleichermaßen an Fachleute wie an Laien – erstere werden sich an der hohen Detaildichte erfreuen, während letztere an einem besonders anschaulichen Beispiel nachvollziehen können, wie vielschichtig die Entstehung eines gelungenen Wohnumfelds ist. Das endet übrigens insbesondere im Sommer nicht an der Terrassentür: Selbst die Gestaltung des Gartens ist nämlich nach Plänen des damaligen Landschaftsarchitekten Leberecht Migge der Entstehungszeit angepasst.
Bruno Taut: Waldsiedlung
Martin Zellerhoff & Katja Sengelmann
Verlag des Biographiezentrums, Kaufering 2016
Softcover, 64 Seiten
Deutsch
16,80 Euro
www.biographiezentrum.de
Bruno Tauts Hufeisensiedlung
Ben Buschfeld
Nicolai Verlag, Berlin 2015
Softcover, 144 Seiten
Deutsch / Englisch
16,95 Euro
www.nicolai-verlag.de
Zum Thema:
Mehr zum Projekt von Ben Buschfeld in der Hufeisensiedlung auch in unserer Baunetzwoche#266: Tautes Heim
www.tautes-heim.de