Die Ostmoderne sei „eine große, kulturelle Hinterlassenschaft, (…) die man immer noch nicht genug wertschätzt“. Das sagte Philip Kurz von der Wüstenrot Stiftung anlässlich der gestrigen Wiedereröffnung des Rettungsturms von Ulrich Müther auf Rügen. Denn immer noch sind viele erhaltenswerte Bauten aus DDR-Zeiten bedroht, wie es etwa die ROBOTRON-Kantine in Dresden oder das Restaurant Minsk in Potsdam aktuell vor Augen führen, und der Geschäftsführer der Stiftung muss beharrlich betonen, was längst ins allgemeine Bewusstsein übergegangen sein sollte.
Die Architektur des Betonvisionärs Ulrich Müther ist mittlerweile als schützenswert anerkannt. Das Müther-Archiv an der Hochschule Wismar dokumentiert sein teils
zerstörtes, teils erhaltenes Werk auch für die Öffentlichkeit. Auf seiner Heimatinsel Rügen hat der 2007 verstorbene DDR-Architekt mehrere Bauten hinterlassen, darunter zwei ganz besondere Kleinode direkt an der Küste: den ehemaligen Rettungsturm in Binz und den Musikpavillon in Sassnitz. Die Wüstenrot-Stiftung stellte für ihre Instandsetzung insgesamt mehr als 500.000 Euro bereit. Nach zwei Jahren Sanierungsarbeiten sind die beiden, so unaufdringlich leichten und doch spektaktulären Freiformen am Strand wieder in den Originalzustand versetzt und ertüchtigt worden.
Nur wenige Zentimeter dünn sind Müthers Schalen aus Beton. Seine materialsparende Konstruktionsweise macht die Bausubstanz besonders angreifbar, vor allem, wenn sie an so exponierter Lage stehen wie Turm und Pavillon. Starke Temperaturschwankungen und hohe Luftfeuchtigkeit müssen die leichten Schalen und die hölzerne Fensterkonstruktion des Rettungsturms zusätzlich stark beansprucht haben.
2015 ließ die Wüstenrot Stiftung zunächst eine Machbarkeitsstudie erstellen. 2016 erfolgte dann die Vereinbarung über die denkmalpflegerische Instandsetzung mit den Eigentümerinnen der Bauwerke, der Gemeinde Ostseebad Binz und der Stadt Sassnitz. Jetzt sind die Sanierungsarbeiten beider Bauten abgeschlossen. Ab Mai 2018 wird in Sassnitz wieder musiziert und in Binz soll eine Außenstelle des Standesamts in den ehemaligen Rettungsturm zurückkehren. Unter Müthers zentimeterdünnem Beton-Dach auf Stelze können sich Paare dann wieder das Jawort geben. (sj)
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