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29.11.2022

Ideologie und Zerstörung

Zur russischen Präsidentschaft der Unesco-Welterbekommission


Alljährlich entscheidet das Unesco-Welterbekomitee über neue Aufnahmen in die Liste. Der Vorsitz ist dabei einflussreich. Bisher hielt ihn Russland – mit dramatischen Folgen.

Von Nikolaus Bernau


Die Unesco-Welterbekommission kann wieder tagen und beschließen: Der russische Botschafter Alexander Kuznetsov hat endlich den Präsidentensessel geräumt. Auch hier wurde der internationale Druck zu groß. Schon die für den Sommer im russischen Kazan geplante Sitzung scheiterte, wurde „aufgeschoben“: Russische Raketen schlagen nahe der Gedenkstätte Babij Jar oder den Kathedralen von Tchernihi ein und in Kazan wird über schützenswertes Welterbe debattiert – das ging dann doch zu weit. Zumal Russland selbst zeigt, wie kolonial die Welterbeliste bis heute geprägt ist: Westlich des Urals sind mit orthodoxen Klöstern, Kirchen, Altstädten oder Felsmalereien vor allem Kulturstätten der als „russisch“ beanspruchten Kulturgeschichte eingetragen worden, östlich des Urals dagegen ausschließlich Naturstätten wie der Baikalsee.
 
Vor allem aber tritt Russland schon seit 2014 die Konvention zum Schutz der als Welterbe eingetragenen Natur- und Kulturdenkmäler mit Füßen: Auf der besetzten Krim wurden systematisch jene Denkmale und Museen im großrussischen Sinn neugestaltet, die an die Geschichte der Krim-Tataren erinnern. Seit Februar 2022 beschoss Russland die auf der Vorschlagsliste stehenden modernistischen Bauten von Charkiv und die Altstadt von Odessa, nahm die Verwüstung des Naturreservats Askaniya Nowa bei Cherson durch seinen Vormarsch in Kauf, die Zerstörung der Kirchen von Tschernihiv, der Sternwarte Mykolajiw. Museen, Bibliotheken und Archive in Cherson, Melitopol oder Mariupol sind ausgeraubt und nach Russland gebracht, Schulen, Universitäten, Kulturzentren, Theater bombardiert worden. All das verletzt diverse, von Russland unterschriebene Verträge und Konventionen und steht in direkter Tradition zur Verschleppung von Kulturgütern seit 1945 aus Deutschland, Mittel- und Osteuropa in die damalige Sowjetunion.
 
Der Krieg Russlands gegen die Ukraine ist eben, was gerade in Deutschland lange und teilweise immer noch geleugnet wird, ein ideologischer, einer, der die schiere Existenz von Kultur in dem Land und schon gar die einer ukrainischen Nationalkultur verneint. Auch deswegen kamen seit 2014 keine Neueintragungen von Kultur- oder Naturschätzen aus der Ukraine mehr aufs Tapet der Welterbekommission, nicht einmal so unzweifelhafte wie die Altstadt von Odessa: Neben der Ineffizienz der ukrainischen Verwaltungen blockierten auch Russland und seine Fürsprecher diese Anträge. Das in der Unesco sehr einflussreiche Deutschland stand den Ukrainer*innen nicht bei.
 
Aber was kommt nun? Der Guardian berichtet, dass Saudi-Arabien eine Kandidatur für das Präsidentenamt stellen soll. Jenes Land also, das seit 2015 einen brutalen Krieg im Jemen führt, ohne jede Rücksicht auf die Menschen und die Kulturgüter. Auch hier geht es vor allem um Ideologie. Deswegen werden archäologische Stätten, Museen und die weltberühmten Lehmhochhäuser in Sana'a beschossen, deswegen sind Bibliotheken und Archive als Dokumente einer nicht der Orthodoxie der Saudis entsprechenden Auslegung des Islam akut von Vernichtung bedroht.
 
Angesichts der russischen Präsidentschaft sei der Ruf der Unesco als Welt-Debattenort gefährdet, wurde mehrfach kritisiert. Mit Saudi-Arabien in der Präsidentschaft wird sich daran nichts ändern. Dass gerade das Land der bekannt langsamen, von inneren Streitereien und der Erinnerung an atemberaubende Korruption geprägten Unesco auf einen besseren Weg helfen kann, darf stark bezweifelt werden. Doch trotz Forderungen von der Organisation World Heritage Watch wagt kein demokratisches Land eine Konkurrenzkandidatur. Dabei könnte der „Westen“ genau hier zeigen, was es heißt, seine Werte und gesellschaftlichen Ideen zu verteidigenden. Noch in diesem Jahr soll es nach Angaben der Unesco eine Sondersitzung geben, bei der über den neuen Vorsitz entschieden wird.


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Die Boris und Hleb-Kathedrale aus dem 9. bis 13. Jahrhundert gehört zum historischen Zentrum von Tschernihiw in Norden der Ukraine. Sie ist einer von 17 Kandidaten in der Tentativliste der ukrainischen Welterbekandidaten.

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Das Zentrum von Odessa mit dem Opernhaus steht ebenfalls auf der Tentativliste. Im Oktober hat die Ukraine die Aufnahme ins Welterbe erneut beantragt.

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Die 1821 gegründete Sternwarte in Mykolajiw gehört zu den ältesten in Osteuropa. Sie ist einer von 17 Kandidaten in der Tentativliste der ukrainischen Welterbestätten.

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Auch die Sternwarte Nautschnyj auf der Krim gehört dazu.

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