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04.03.2021

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Die Moderne ökologisch umbauen

Zur Nicht-Debatte über das Arabellahaus in München


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Dem Arabella-Hochhaus in München droht seit Jahren der Abriss, nun wurde die Gnadenfrist auf 2030 verlängert, bevor es einem Neubau weichen muss. Damit hat die Stadt wertvolle Jahre gewonnen, endlich eine Debatte über ihr bauliches Erbe der Moderne anzustoßen. Jenseits der Denkmalproblematik geht es aber vor allem um die Frage, inwiefern der Abriss materialschwerer Großstrukturen überhaupt noch ökologisch vertretbar ist.

Von Alexander Stumm


Als Stadt-in-der-Stadt bietet das Arabella-Hochhaus 550 Wohnungen, ein Hotel mit 446 Zimmern, Restaurant und Rooftop-Bar sowie viel Platz für Gewerbe, Büros, Kliniken und Arztpraxen. Die von 1966–69 errichtete schlanke Wohnscheibe (Dimensionen: 154 Meter Länge, 19 Meter Breite und 72 Meter Höhe) geht auf den Entwurf von Toby Schmidbauer zurück. Der Abriss des von seinen Bewohner*innen heiß geliebten Hauses stand schon für 2026 fest, nun hat die Bayerische Hausbau als Eigentümerin überraschend die Weiternutzung bis 2030 beschlossen. „Neue Erkenntnisse über eine Sanierungsmethode der Balkonbrüstungen“ gaben den Ausschlag, in neun Jahren aber wird das Haus laut jüngstem Pressetext „das Ende seines Lebenszyklus erreichen. Mittelfristig wird das Arabellahaus daher abgerissen und neu gebaut werden.“ Auf Nachfrage erklärt die Bayerische Hausbau: „Das Tragwerk ist am Rande seiner Leistungsfähigkeit und müsste bei möglichen Veränderungen des Brandschutzes und der Haustechnik, sowie den Fußbodenaufbauten aufwändig ertüchtigt werden. […] Ein wirtschaftlicher Betrieb des Hauses in seiner jetzigen Beschaffenheit ist langfristig nicht möglich.“

Seine heiße Zeit hatte das Haus in den 1970er Jahren, als es dank des Musicland Studios, dem Tonstudio von Giorgio Moroder, legendärer Anlaufpunkt in München war. „Es befand sich im Untergeschoss des Arabella-Hochhauses,“ wie Mirko Hecktor, Autor des Buches Mjunik Disco, in der Baunetzwoche von 2015 erzählt. „Moroder hat mit Freddy Mercury, Blondie, David Bowie oder den Rolling Stones zusammengearbeitet und Filmmusiken, zum Beispiel für ‚American Gigolo‘ oder ‚Flashdance‘, produziert. Die Stars hingen nach den täglichen Aufnahmen über Wochen hinweg in den Münchner Discotheken ab. Ende der 80er Jahre, durch den Bau der U-Bahn, hat das Studio dann angefangen zu brummen. Daher wurde es aufgelöst.“

Denkmal oder kein Denkmal?
Eine echte Liebeserklärung an das Haus verfasste Gerhard Matzig 2018 in der Süddeutschen Zeitung, der das Arabella-Hochhaus sogar in einem Atemzug mit Le Corbusiers Unité d’Habitation nennt: „Das Wohnleben, von dem man es nicht weit zum Kiosk, zur Apotheke und zum Supermarkt hat, heißt Arabellahaus, steht in München und sollte eigentlich schon deshalb nicht abgerissen werden. Weil es nicht nur von der Zukunft erzählt, wie man sie sich damals vorgestellt hat – sondern weil es tatsächlich die Zukunft des Wohnens ist“, so Matzig.

Für den Generalkonservator des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege Mathias Pfeil ist es dagegen „ein stinknormales Scheibenhochhaus […] bloß halt ein bisserl größer“. Darf man dem Denkmalpfleger, der privat gerne Ölbilder historischer Monumente malt, mangelnde Sensibilität für das bauliche Erbe der Moderne unterstellen? Oder ist das Arabella-Haus eben nicht vergleichbar mit wegweisenden Projekten der Nachkriegsmoderne wie dem unter Ensembleschutz stehenden Olympischen Dorf?

In Berlin wird heiß über Hygieneinstitut und Mäusebunker diskutiert, in Marl ein millionenschweres Sanierungsprojekt auf den Weg gebracht. In München dagegen findet ein breiter Diskurs über die bauliche Nachkriegsmoderne – siehe Arabella-Haus, siehe aber auch jüngst das Klinikum Großhadern – so gut wie nicht statt. Wo ist in München die kritische Masse, die eine solche Debatte führen kann?

Die Moderne ökologisch umbauen
Man muss das Hochhaus aber nicht zwingend zu einem Meilenstein der Architekturgeschichte stilisieren. Vor dem Hintergrund der globalen Klimakrise scheint das Prinzip Abriss und Neubau auch aus ökologischer Sicht einigermaßen irrwitzig. Das Problem ist, dass es sich finanziell weiterhin lohnt. Das liegt daran, dass „die Kosten der Umwelt und des sozialen Miteinanders vergemeinschaftet [werden], während die Bauträger daran nicht beteiligt sind und die Rendite aus ihren Projekten vollständig privatisieren können“, erklärt Andreas Hild, Architekt und Professor für Entwerfen, Umbau und Denkmalpflege an der TU München, in der SZ. Für ihn vermittle das Arabellahaus „eine Idee von Aufbruch und Zukunft. Das Haus war und ist prägend für München.“ Hild verlangt, dass politisch umgedacht wird und für Bauten der 1950er bis 1970er Jahre ein „Umbaurecht“ gesetzlich festgeschrieben wird. Umbauen sei für ihn „eine Disziplin, die Häuser als organische, komplexe und evolutorische Wesen“ betrachtet: „Bewahren oder abreißen ist eine zu einfache Frontstellung. Man muss beweglicher und intelligenter mit Häusern umgehen.“

Vorbilder dafür gibt es inzwischen einige. Zuvorderst sind Lacaton & Vassal zu nennen, die für ihre Transformationen sozialbaulicher Großstrukturen wie dem Grand Parc Bordeaux oder dem Tour Bois le Prêtre mit Architekturpreisen überhäuft werden. Auch Tim Rieniets und Christoph Grafe plädieren in ihrer Publikation Umbaukultur. Für eine Architektur des Verändernsfür ein Neudenken der Materie und zeigen mit einer ganzen Reihe von inspirierenden Beispielen, darunter von Assemble, baubüro in situ AG, De Vylder Vinck Taillieu oder NL architects und XVW architectuur, wie es gehen kann.

Unzählige Großstrukturen der Moderne stehen derzeit zur Disposition. Längst nicht alle sind Denkmäler, und nicht in jedem Fall sind die Kriterien des Denkmalschutzes – Schutz der Originalsubstanz, der visuellen Integrität und des städtebaulichen Kontextes – sinnvoll anwendbar. Warum wird Reduce, Reuse, Recycle seit Jahren in Ausstellungen und Publikationen als Maxime für eine CO2-intensive Baubranche gepriesen, lohnt sich aber für Investoren in der Praxis nicht? Wir brauchen eine ökologische Wende im bundesdeutschen Baurecht.


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Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

11

Elke Wendrich | 23.03.2021 17:26 Uhr

Erhaltenswerte Bausubstanz in München

Das Denkmalnetz Bayern macht seit Jahren auf das Thema erhaltenswerte Bausubstanz und städtebauliche Erhaltungssatzungen aufmerksam. München ist bisher taub auf diesem Ohr.
Heute ist die "Nicht-Debatte über das Arabellahaus in München" auf der Facebookseite des Denkmalnetzes.

10

Stefan Frischauf | 05.03.2021 16:12 Uhr

1.)@BI Jahnsportpark und 2.)@ixamotto, 3.) @Hinrich Schoppe

1:) Vielen Dank für den Hinweis, werter @BI Jahnsportpark. Sie haben völlig Recht. Danke fütr den Hinweis. Habe ich auch seinerzeit mit gezeichnet.
2.) @ixamotto: Danke erst einmal für die Blumen. Geht mir ja ähnlich mit Ihren Kommentaren / Ansichten und Argumenten.
3.) Hinrich Schoppe: geht mir mit Ihnen ähnlich. Danke für sehr wertvolle Betrachtungen.

Meine wichtigsten Erfahrungen liegen aber ganz woanders und da habe ich durchaus eine Initiative begründet: War 2009/2010 mit einem Infrastrukturprojekt zur Sanierung /Regeneration eines Teils / ca. 4 Ha Altstadt in Kabul / Afghanistan in einer US-britischen "NGO" beauftragt, Also "nachhaltige urbane Wasserwirtschaft" kombiniert mit "rudimentärem Baurecht" als Fallstudien zum Ausgleich zwischen starken privaten und schwachen gemeinschaftlichen Interessen bei gleichzeitig z.T. verschütteten Grundstücksrechten, kombiniert mit Regeneration von ca. 60 % zerstörter (Lehmbau-)Substanz aus dem Bürgerkrieg 1990-96. Prince Charles( netter Kerl, mag ihn) und Karsai waren Schirmherren der "NGO". Im Management waren aber viele "Business-as usual-Kids", teilweise auch auf der MI 6 Payroll.
"Wennste aus Afghanistan in den Westen zurück kommst, kann nichts mehr so sein wie es war".
(Bin Rheinländer, kein Münchner. Düsseldorf ist halt auch, wie Lore Lorentz, Begründerin des Kommödchens hier sagt, eine "wunderschöne Scheißstadt". Was den Umgang mit Bestandsbauten aller Epochen betrifft mindestens genauso ignorant wie M oder B oder andere Orte in D. )
"WEaD - Water Equity and Dignity" heißt die Initiative. Also "Wasser Gleichheit und die Würde des Menschen.

Da man keine Links hier versenden kann:
"WEaD - Water Equity and Dignity" oder
wead-20 "googeln". Auf Deutsch und Englisch.

Schönes Wochenende.

9

Eva Maria Lang | 05.03.2021 10:55 Uhr

Bitte nicht

Das Arabellahochhaus gehört zu dem Stadtbild Münchens wie das Olympische Dorf und die Frauenkirche.
Es sollte unter Denkmalschutz gestellt und erhalten werden.


@ Lars K. Herzlichen Dank für das Lob

8

BI Jahnsportpark | 05.03.2021 10:25 Uhr

@ ixamotto und Stefan Frischauf

Eine Neugründung ist nicht erforderlich. Herr Frischauf kann sich z.B. bei architects4future engagieren, die erfolgreich Petition "Bauwende JETZT!" mit über 57.000 Unterschriften eingereicht haben, mit der sich nun der Bundestag befassen muss. Eine kritische Masse zeichnet sich also ab!

7

ixamotto | 05.03.2021 08:44 Uhr

@Stefan Frischauf

Ich teile meistens Ihre Ansichten und Argumente. Aber heute muss ich sagen: Warum ist es eigentlich so undenkbar, dass ich in einigen Wochen oder vielleicht Monaten darüber lese, dass Stefan Frischauf Mitbegründer einer münchen- oder bundesweiten Initiative ist, die sich für einen sozial und ökologisch begründeten Ansatz zum Erhalt von Bausubstanz jenseits der klassischen (und völlig korrumpierbaren) Denkmaltheorie einsetzt? Dass er dafür zusammen mit vielen anderen Kolleg*innen aus Praxis, Wissenschaft und Fachöffentlichkeit eine Vernetzung unternommen hat, um dann an die Öffentlichkeit zu gehen, zu publizieren, Symposien und Führungen zu organisieren, die Verbände zu bearbeiten, politische Lobbyarbeit zu betreiben. Und vor allem: Aufklärungsarbeit zu leisten, die nur diejenigen leisten können, die wirklich wissen, wie fragwürdig das rasche "Totschreiben" von Bausubstanz-, -konstruktion und -hülle ist, auf welchen Falschbehauptungen und auf welchen partikularen Interessen es beruht. Das hieße dann in meinen Augen auch mal mit Gegengutachten bzw- überhaupt einem Gutachten zu arbeiten, also Wissensproduktion zu betreiben und dieses Wissen zugänglich zu machen.
Warum also nicht mal das symbolische und soziale Kapital aktivieren, das Ihren Berufsstand von Berufsgruppen unterscheidet, deren Arbeit weder mediale Aufmerksamkeit, noch akademische Institutionalisierung, noch professionelle Interessensvertretungen kennt?

6

Lars K | 04.03.2021 21:54 Uhr

München

Man muss ja gar nicht immer wieder auf Lacaton Vassall verweisen, hier läge für mich der Vergleich mit dem sehr gelungenen Umbau des Studentischen Wohnhochhauses im ehemaligen Olympischen Dorf in München durch Knerer+Lang hier sehr viel näher. Nicht nur geografisch. Und war damals übrigens auch bei Muck Petzets Reduce Reuse Recycle dabei.

5

Stefan Frischauf | 04.03.2021 21:11 Uhr

Appell gegen die zynische Vernunft

Graue Energie: der Terminus war gefühlt 30 Jahre verschwunden. Die medialen Methoden, Gebäudesubstanzen mittel- und langfristig schlecht zu schreiben sind die Regel, nicht die Ausnahme. Gerade bei ungeliebten Bauten wie diesen und einer immer mehr in nostalgierenden Sehnsüchten gefangenen Öffentlichkeit.
Mülltrennung und Recycling auch bei Abbruch und Umbau ist von den Quoten her zwar höher als beim "Grünen Punkt", das Zitat von Andreas Hild zur Sozialisierung der "grauen Kosten" dabei jedoch trifft's. Er darf das sagen. Ich kenne jedoch kaum einen auch Meinungs-führenden Architekten, der dies so unverblümt auch weiter unterstützen, geschweige denn selber mit mutigen Behörden und (öffentlichen wie privaten) Bauherren durchziehen würde. Vielleicht auch, weil es immer genug Leute gibt, die einem bei solchen Wagnissen frühzeitig die Knüppel zwischen die Beine werfen. Insofern kann man so etwas ja auch nicht entsprechend evaluieren.
Dennoch: danke für den Appell, Alexander Stumm.
Ich kann jedes Wort unterstreichen.
Alleine, mir fehlt im Moment der Glaube.
Vielleicht morgen wieder.

4

Kleinschrodt | 04.03.2021 18:08 Uhr

Lebenszyklus?

"...hat das Ende seines Lebenszyklus erreicht" - solche pauschalisierenden Redeweisen sollte eine ökologisch sensibilisierte Öffentlichkeit eigentlich nicht mehr einfach durchlaufen lassen.

Manche/viele/die meisten, die hier mitlesen, werden das Problem sehen - aber wie kommt die im Artikel angesprochene kritische Masse zustande?

3

auch ein | 04.03.2021 17:33 Uhr

architekt

in zeiten, in denen man nicht wie einst einfach mit dem bulldozer drüberrollen konnte um es plattzumachen und auf den müll zu schmeissen muss man heute ohnehin (theoretisch) das ding auseinandernehmen und sortenrein trennen.
also ist es nicht so aufwendig kurz vorm rohbau wieder mit wegnehmen aufzuhören....

frage wird dann sein wie aufwändig es ist allfällig maroden beton zu sanieren....

2

BI Jahnsportpark | 04.03.2021 16:18 Uhr

zu viel Lob für Berlin

Das gerade von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung durchgeführte sog. "Beteiligungsverfahren" zum Cantian-Stadion, einem Bauwerk der Ostmoderne, 1987 zur 750-Jahr-Feier Berlins errichtet, zeigt, dass auch hier immer noch unüberlegt der Abriss-Neubau-Doktrin gefolgt wird. Ein Umbau wurde noch nicht einmal geprüft, der Abriss wird immer wieder mit überwiegend hanebüchenen Argumenten (brennbare Sitzschalen, fehlender Blitzschutz usw.) als "alternativlos" dargestellt. Dem Bestand wird keinerlei Wert beigemessen, weder ökonomisch noch kulturell noch ökologisch. Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft sind reine Lippenbekenntnisse.

1

Hinrich Schoppe | 04.03.2021 16:17 Uhr

Nicht gehört

... hat da einer den Schuss. Mittlerweile dürfte klar sein, dass der Abbruch unddamit die Nichtverwendung vorhandener grauer Energie nicht mehr zu vertreten ist. Wenn ich die Begründungen der Eigentümer höre wird mir schlecht. Und leider gibt sich die Haustechnik und der Brandschutz - und natürlich die Statik - immer noch dafür her, diese Begründungen zu liefern. Dabei ist mittlerweile an diversen, vormals viel zu schwachen und viel zu schlechten Gebäuden nachgewiesen worden, dass es durchaus möglich ist und sogar finanziell lukrativ, diese zu sanieren. Da benötigt man etwas Kreativität im Umgang mit Vorschriften und dazu das Zusammenwirken aller Beteiligten, Planer, Prüfer und Bauherren mit einem gemeinsamen Ziel, ohne dass ständig Verantwortlichkeiten abgewimmelt und verschoben werden. Der Wille formt die Realität, um einmal eine spirituelle Binsenweiheit anzuführen. Gerade bei solchen Objekten wird augenfällig, dass das Wille wirklich in Realtität überführt werden kann. Wenn man denn will. Danke.

 
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