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23.02.2023

Was Architekt*innen tun können

Zur Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Syrien


Architekt*innen sollten bei der Bewältigung von Katastrophen wie dem jüngsten Erdbeben in der Türkei und Syrien eine wichtige Rolle spielen. Egoistisches Getue hilft niemandem.
 
Von Cameron Sinclair
 
Die Erdbebenkatastrophe in der Türkei und Nordsyrien hat unzählige Menschenleben gefordert und noch viel mehr Verletzte und Leid verursacht. Während die meisten Menschen die tektonischen Verschiebungen dafür verantwortlich machen, wissen Architektinnen, Ingenieure und Baufachleute, dass Menschen nicht durch Erdbeben getötet werden, sondern durch schlechte Gebäude.
 
Derzeit (Stand 8. Februar 2023) sind zwischen 7.000 und 15.000 Gebäude, ja ganze Städte und Dörfer beschädigt oder zerstört worden. Die Situation kann sich in den kommenden Wochen und Monaten durch Nachbeben weiter verschlechtern. Während ich dies schreibe, versuchen tapfere Freiwillige und Helfer verzweifelt, noch Eingeschlossene zu retten. Einige versuchen, mit bloßen Händen oder aufblasbarer Technik die Trümmer in einem Gebiet zu beseitigen, in dem fast drei Millionen Flüchtlinge leben, die durch einen jahrzehntelangen Krieg vertrieben wurden.
 
In den letzten 25 Jahren habe ich an Dutzenden humanitären Einsätzen teilgenommen, und ich hatte das Glück, mit vielen Baufachleuten zusammenzuarbeiten. Ob in Afghanistan, Haiti, Japan, Syrien oder den Vereinigten Staaten – der Wunsch unseres Berufsstandes, zu helfen, war stets ungebrochen. Gut gemeinte Ankündigungen und Pläne können jedoch weitaus schlimmer sein, als keine Reaktion. Denn wer sich nur kurzfristig engagiert, weckt Erwartungen und macht den Betroffenen falsche Hoffnungen. Damit erweist man ihnen und auch dem Berufsstand einen Bärendienst. In humanitären Kreisen nennen wir das den „Katrina-Effekt“: Viele kamen damals, um die Golfküste der USA wieder aufzubauen, aber die Leute vor Ort blieben mit leeren Versprechungen zurück.

Nach dem Tsunami in Japan habe ich die sogenannte „Vierer-Regel“ der Katastrophenhilfe entwickelt. Die lautet so: In den ersten vier Tagen muss in dem entsprechenden Gebiet Soforthilfe geleistet werden. In den ersten vier Wochen müssen Ingenieure die beschädigten Strukturen bewerten. In den ersten vier Monaten müssen vor Ort ansässige Architekt*innen mit politischen Vertretern, Interessengruppen, Geldgebern und anderen Einrichtungen den Wiederaufbau koordinieren. Schließlich – und das ist das Wichtigste – müssen die Teams finanziert werden und sich für mindestens vier Jahre für den Wiederaufbau verpflichten.
 
Man kann viel falsch machen, ich schreibe aus Erfahrung. Als ich Mitte 20 war, organisierte ich mit einem Team unter dem Titel „Architecture for Humanity“ einen Wettbewerb zum Bau von Wohnungen für Familien, die durch den Kosovo-Konflikt vertrieben worden waren. Mit den Spendengeldern entstanden damals Krankenhäuser und Schulen – aber kein einziges Wohnhaus. Ein Wettbewerb, eine Konferenz und auch ein großartiger Entwurf helfen den Menschen nicht, solange nicht tatsächlich gebaut wird. Architekt*innen können bessere Bautechniken durchsetzen und dafür sorgen, dass die Mittel an die Betroffenen verteilt werden. Wer wirklich helfen will, muss bereit sein, auch dann zu arbeiten, wenn das Geld alle und das Interesse verschwunden ist.
 
Nach 15 Jahren verließ ich die Organisation, die ich mitgegründet hatte und die mir einst so sehr am Herzen lag. Das folgende Jahrzehnt arbeitete ich im Namen anderer. Mit syrischen Flüchtlingen entwickelte und baute ich wiederverwendbare Strukturen, beriet Wohngruppen in Konfliktgebieten, unterstützte Familien, die über politische Grenzen hinweg gefangen waren, engagierte mich gegen Waffengewalt in den USA, baute Gesundheitseinrichtungen in Äthiopien und Kambodscha. Meine Hoffnung war, dass ein globales Netzwerk von Baufachleuten entstehen würde, das bereit ist, auf jede humanitäre Krise zu reagieren. Das ist bisher nicht passiert.
 
Sicherlich gibt es in unserer Branche „pro bono“-Architektur. Doch in den Medien lesen wir eher von hochkarätigen Architekten, die in die Ukraine fliegen und den Bau von Städten versprechen. Wir hören von Regierungsbehörden, die viel Geld an Gruppen verteilen, die kaum Erfahrung vor Ort haben. Und wir sehen internationale Institutionen, die Beileids-Tweets verschicken, während sie gleichzeitig sicherstellen, dass Architekten vor Ort, abgesehen von ein paar Auszeichnungen, kaum finanzielle Unterstützung erhalten.

Die Welt ist schlecht auf die nächsten 40 Jahre vorbereitet. Wer an die Wissenschaft glaubt, weiß, dass Stürme und Erdbeben zunehmen werden. Sollen wir gegen die Realität protestieren oder gemeinsam nach Lösungen für die Gegenwart suchen? Wir müssen beweisen, dass wir den Herausforderungen gewachsen sind. Die Menschen in der Erdbebenregion brauchen mehr als unsere Hoffnung. Sie brauchen uns, damit wir talentierte und engagierte türkische und syrische Architekten beim nachhaltigen Wiederaufbau unterstützen. Wissen Sie, was gebaut wird, wenn wir nicht eingreifen? Zehntausende schlecht konstruierte Gebäude, eine tickende Zeitbombe für die nächste Katastrophe. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, den Tod von Zehntausenden Menschen zu verhindern, was würden Sie tun?
 
Der Text erschien Anfang Februar auf dezeen.com. Friederike Meyer hat ihn mit Hilfe von Deepl übersetzt und leicht bearbeitet.


Zum Thema:

Cameron Sinclair ist Gründer des Worldchanging Institute. Die Organisation hat ihren Sitz in Arizona / USA und konzentriert sich auf humanitäre Krisenhilfe mit architektonischen und gestalterischen Mitteln. Derzeit berät Sinclair NGOs und Familienstiftungen bei der Katastrophenhilfe. Statt eines Honorars für seinen Text bat er um eine Spende an die Karam Foundation.


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