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29.03.2023

Es ist zu spät

Zum Umbau des Berliner Pergamonmuseums


Der Radikalumbau des Pergamonmuseums ist kaum noch aufzuhalten – mit allen Folgen für die Architektur- und Museumsgeschichte, für die Wirtschaftlichkeit und Ökologie. Dabei hätte es Alternativen gegeben.
 
Von Nikolaus Bernau
 
Das Berliner Pergamonmuseum wird im Herbst für dreieinhalb Jahre vollständig geschlossen. Bereits seit 2013 erfolgen in einem ersten Bauabschnitt die Sanierungs- und Umbauarbeiten am Ost- und Nordflügel, die voraussichtlich bis mindestens 2027 anhalten und insgesamt 13 Jahre lang dauern. Im zweiten Bauabschnitt folgen nun der Südflügel mit dem Ischtartor und der Prozessionsstraße der Vorderasiatischen Abteilung sowie die Ergänzung des Monumentalbaus um einen „Vierten Flügel“ am Kupfergraben. All diese werden erst 2037 wieder eröffnen können. Frühestens. Es sind also insgesamt 24 Jahre der umfassenden Bauarbeit und partiellen bis kompletten Schließung. Außerdem wird das Gesamtprojekt nicht – wie um 2000 versprochen – 230 Millionen Euro kosten, und auch nicht 430 Millionen Euro – wie seit 2017 behauptet – sondern ganze 1,2 Milliarden Euro. Selbst wenn man gängige Kostensteigerungen unserer Zeit berücksichtigt, ist klar: Das nach Plänen von Alfred Messel und Ludwig Hoffmann zwischen 1907 und 1930 errichtete Pergamonmuseum wird aufgrund des Umbaus der mit Abstand teuerste Kulturbau der deutschen Geschichte.
 
Und doch ist von Schuldbewusstsein oder gar beginnender Bescheidenheit bei den Auftraggeber*innen und Beteiligten des Riesenprojekts wenig zu spüren. Dazu gehören die vom Bund und den Ländern finanzierte Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) sowie das projektbetreuende Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR). Sie luden am Montag zu einem Rundgang über die Baustelle ein. Barbara Große-Rode, die das Projekt im BBR leitet, sprach davon, dass das Projekt und die Gesamtschließung ebenso wie die Fertigstellung erst 2037 „alternativlos“ seien. Die Arbeiten am Nord- und Ostflügel hätten sich wegen „unerwarteter Funde“ in der Baustruktur länger hingezogen als geplant. Die Vollschließung werde nun, so Große-Rode, notwendig, weil gleichzeitig der Südflügel mit der Vorderasiatischen Abteilung weiter verfallen. So könne dieser Teil nicht mehr öffentlich betrieben werden. Immerhin versprach sie Photovoltaik in den Bereichen, die nun im zweiten Bauabschnitt in Angriff genommen werden. Dennoch wird die Klimabilanz dieses Projekts äußerst schlecht ausfallen, trotz all der erhaltenen Grauen Energie, die im Gebäude gespeichert bleibt.
 
Alternativlos war dieses Projekt keineswegs, ganz im Gegenteil. Eher warnten die Berliner Denkmalpflege und andere Kritiker*innen beständig und genau vor diesem kultur-, bildungs- und finanzpolitischen Desaster, das nun Realität wird. Die Pläne beruhen auf einem Wettbewerb, dessen Ausschreibung schon 1999 einen sogenannten „Schnellrundgang“ im Hauptgeschoss des Pergamonmuseums vorsah. Darauf basierend findet sich im Entwurf des Wettbewerbssiegers Oswald Mathias Ungers der Vorschlag, das Pergamonmuseum um einen „Vierten Flügel“ am Kupfergraben zwischen Süd- und Nordflügel zu ergänzen. Dieser soll die Hauptgeschosse verbinden. Im Nordflügel entstehen derzeit der durch eine massive Pfeilerwand getrennte Saal für die sensationelle frühislamische Mschatta-Fassade, außerdem die neue Eingangshalle vor dem Ostflügel und in diesem eine neue zweiflügelige Treppenanlage. Zudem wurden in diesem ersten Bauabschnitt neue Glasdachkonstruktionen eingespannt und die gesamte Haustechnik ausgewechselt.
 
Die Grundsanierung des Riesenbaus war nämlich dringend nötig. Das Museum konnte nach den Kriegsbeschädigungen des Zweiten Weltkriegs zu DDR-Zeiten nur notdürftig und in Teilen repariert werden, es leidet seither an jahrzehntelanger Vernachlässigung. Dennoch wären bis mindestens 2013 noch viele Alternativen zu dem Großumbau möglich gewesen. Allen voran gehört dazu die Konzentration auf den bestehenden Bau und der Verzicht auf das Grundkonzept des „Schnellrundgangs“, das massive Eingriffe in die bestehende Bausubstanz bedeutet.
 
So schlug etwa um das Jahr 2006 auch der Autor dieser Zeilen vor, das Museum für Islamische Kunst und damit die Mschatta-Fassade in das Humboldtforum zu integrieren, um damit zugleich die Platzprobleme der nachantiken Sammlungen und der Nationalgalerie zu lösen. Aber eine solch nachhaltige, materialsparende und bescheidene Baupolitik war nie Sache der SPK. Sie und ihre Geldgeber*innen entschieden sich, das Großkonzept aus den 1990er Jahren mit der Idee des Hauptrundgangs durchzusetzen. Seit 2013 greifen die Arbeiten also tief in die Statik des Gebäudes ein, was vor allem dem Teilabbruch der Haupttragwand im Nordflügel geschuldet ist: Um diesen zu stützen, standen zeitweilig sogar gewaltige Gerüste an der Stadtbahnseite.
 
Aber lohnt sich der immense Aufwand wenigstens aus museologischer Sicht? Der Architektur- und der Altarsaal im Ostflügel werden sicher ein Erlebnis, frisch strahlen sie mit modernistisch-hellstblauen Wänden aus der Zeit der 1930er Jahre. Auch erhält das Museum für Islamische Kunst endlich den angemessenen Platz, vor allem in den Obergeschossräumen des Nordflügels. Doch im neuen Hauptsaal für die Mschatta-Fassade rauben die statisch nötigen, massigen Pfeiler das Licht. Nur bei niedrigstehender Mittagsonne strahlt diese bis in die Tiefe des Raums. Das Hauptexponat wird also vor allem unter Kunstlicht zu sehen sein, ausgerechnet in einem Bau, der sonst ganz auf Naturlicht setzt.
 
Auch die neue Eingangshalle enttäuscht. Sie zeigt, wie abgehangen Ungers Quadrat-Ideologie inzwischen wirkt. Sein Entwurf für den „Vierten Flügel“ überzeugt noch weniger: Ein Gerüst simuliert derzeit, wie niedrig die Decke über dem Fußgängerdurchgang hängen wird. An den Seitenwänden des Nordflügels sind Schlitze ausgespart, die seine erheblichen Dimensionen veranschaulichen. Er ist genau das Gegenteil jener semitransparenten Säulenhalle, die Messel und Hoffmann hier vorsahen. Auf diese beziehen sich aber Ungers und seine Nachfolger sowie das BBR und die SPK gerne mal, um ihr Projekt zu legitimieren. Aus dem offenen Ehrenhof soll dann noch ein kalter Innenhof werden.
 
Dass aber die SPK wenigstens diesen Baubereich nochmal überdenken wird, oder gar einen neuen Wettbewerb ausschreibt, ist angesichts der Gesamtentwicklung dieses Projekts kaum anzunehmen. Es bleibt höchst unwahrscheinlich, dass das Pergamonmuseum teilweise ab 2027 und komplett ab 2037 wieder eröffnet, geschweige denn, dass dann nur 1,2 Milliarden Euro ausgegeben sein werden. Bis dahin heißt es: auf ins Pergamonmuseum!


Zum Thema:

Mehr zur Sanierung des Pergamonmuseums bei Baunetz Wissen

Vor einigen Jahren erschien eine grundlegende Studie zur Baukonstruktionsgeschichte des Pergamonmuseums, geschöpft aus Archiven, Bauuntersuchungen und mit Baustellenfotos: Christiane Oehmig, Volker Hübner und Bettina Häfner, Pergamonmuseum. Historische Baukonstruktion, Geymüller Verlag, Aachen 2016.


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Ansicht vom Kupfergraben aus. Das Gerüst markiert die Lage des „Vierten Flügels“.

Ansicht vom Kupfergraben aus. Das Gerüst markiert die Lage des „Vierten Flügels“.

Ansatzstelle für den „Vierten Flügel“

Ansatzstelle für den „Vierten Flügel“

Mschatta-Saal von 1934 im Abbau

Mschatta-Saal von 1934 im Abbau

Neuer Mschatta-Saal, unterer Raumteil

Neuer Mschatta-Saal, unterer Raumteil

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