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18.07.2022

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West-Berliner Extreme

Zum Tod von Ursulina Schüler-Witte


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Von Nikolaus Bernau

Diese Frau brannte für ihre Bauten, für ihre Entwürfe, für den Kampf, dass diese auch der Nachwelt erhalten bleiben: Ursulina Schüler-Witte, die bereits im Mai im Alter von 89 Jahren verstarb, wie erst kürzlich bekannt gegeben wurde. Sie überlebte ihren Mann Ralf Schüler damit um elf Jahre und war die treibende Kraft, wenn es darum ging, einer breiteren Öffentlichkeit und vor allem der Fachwelt klar zu machen, wie wichtig ihre gemeinsamen Bauten waren. Vor allem der knallrote, seit Jahren durch bunte Bemalung verscheußlichte „Bierpinsel“ (1972–76) und der grandios in futuristischen Raumschiffformen strahlende U-Bahnhof Schloßstraße (1971–74), vor allem aber das gewaltige, 1979 eröffnete Internationale Congress Centrum ICC standen für das Werk dieses Büros.
 
Mehr als 200 Projekte konnte Schüler-Witte – sie bestand immer darauf, als selbstständige Partnerin ihres Mannes genannt zu werden – bei Besuchen in ihrer mit Modellen, Büchern und Flugzeugmodellen ihres Mannes vollgestellten Sozialbauwohnung im Norden Berlins zeigen. In diesem kleinen Refugium entrollte sich ein großartiger Entwurf nach dem nächsten. Vieles war ungebaut geblieben, manches schlichtweg utopisch, anderes zeitgebunden.

Kaum bekannt sind die Wohnbauten des Büros aus den frühen 1970ern, die Schwesternwohnungen des Virchow-Klinikums aus den späten 1980ern oder das postmoderne Rathaus im Bezirk Hellersdorf von 1994­. Und wer weiß schon, dass Schüler und Schüler-Witte zeitweilig regelrechte Hausarchitekt*innen der West-Berliner Staatlichen Museen waren? So planten und realisierten sie etwa 1983–89 das Ägyptische Museum im einstigen Marstall am Schloss Charlottenburg – ein durch seine schiffskofferartig gewölbten Metallvitrinen und die Dunkelinszenierung gutes Beispiele spätmodernistischer Museumsinszenierung.
 
Das ICC – dieses gewaltige Raumschiff zwischen diversen Verkehrssträngen – war sicherlich das Meisterwerk der beiden, immer noch und immer wieder unerhört in seinem systematisch entwickelten Formenapparat, gigantisch in jeder Hinsicht, einschließlich der explodierenden Baukosten, die umgerechnet deutlich über eine Milliarde Euro betrugen. Wenn einmal die Skandalgeschichte des West-Berliner Bauens geschrieben wird, wird das ICC darin ein Sonderkapitel einnehmen. Es war – wie die Autobahnüberbauung Schlangenbader Straße von Georg Heinrichs – ein Bau der Superlative, der versuchte, die abgeschnürte Halbstadt international konkurrenzfähig zu halten.

Es gibt wohl kein Kongresszentrum, das derart viele Auszeichnungen und Belobigungen erhielt wie das ICC. Die Kongressteilnehmer*innen waren begeistert von den weiten Fluren und riesigen Sälen, von den kleineren, zusammenschaltbaren Räumen und durchaus auch von der klaustrophobisch und abgeschlossenen Atmosphäre, die aus der Sicht der Zeit gemeinsame Konzentration und Kommunikation garantieren sollte. Verwaltung, Politik und Messegesellschaft aber stöhnten unter den Betriebskosten und ignorierten, dass sie es gewesen waren, die einen solchen Repräsentationsbau zugelassen hatten, der schlichtweg nicht kostenneutral zu betreiben ist. Schließlich ging es eben auch darum, den Ost-Berliner Palast der Republik, den Münchner Gasteig und ähnliche Kulturzenten in den Schatten zu stellen.
 
Für jedes Detail konnte und wollte Schüler-Witte erklären, warum es so und nicht anders entworfen worden war. Bescheidene Zurückhaltung war nicht die Sache der 1933 in Berlin Geborenen, die gleich nach dem Diplom 1960 zusammen mit ihrem Mann in das Büro ihres lebenslang hoch verehrten Lehrers Bernhard Hermkes gegangen war und durch das ICC zu einer der bekanntesten Architektinnen der West-Berliner Szene wurde. Dass das Büro dank öffentlicher Großaufträge und die Subventionskultur im Kalten Krieg reüssierte, zugleich aber durch die Sammelleidenschaft Ralf Schülers und den mondänen Lebensstils vermögenstechnisch nicht viel übrig blieb, ist Teil der West-Berliner Gesellschaftsgeschichte. Die Klatschmäuler konnten zeitweise gar nicht genug kriegen von diesem ungewöhnlichen Paar. Allenfalls Sigrid Kressmann-Zschach kam als Architektin so oft in der Boulevardpresse vor wie der Kollege Ralf Schüler.

Sowohl Schüler, noch mehr aber Schüler-Witte konnten die Wiederentdeckung und Verehrung der technizistischen Pop-Art-Architektur der 1970er noch erleben. Dass das ICC zu Lebzeiten Schüler-Wittes unter Denkmalschutz gestellt wurde – viel zu spät, aber dennoch – war ein Triumph. Und sicher wird auch der Bierpinsel irgendwann einmal wieder knallrot leuchten – da war sich diese Frau, die unnachsichtig bis ins kleinste Detail auf Perfektion achtete, sehr sicher. Als ein weiteres großartiges Denkmal der Zeit zwischen etwa 1960 und 1985, als West-Berlin nicht nur im Bereich der Architektur Experimente zuließ, die heute undenkbar sind.


Video:



Ein UFO im Wartestand [ 2016 ] 45min from Thomas Balzer on Vimeo.



Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

6

Anton Schedlbauer | 04.08.2022 11:42 Uhr

Es war so gut!

Das war so viel mehr als die bloße Architektur, das waren unsere Hoffnungen, unsere Träume, unser Leben. Wir sind mit voller Wucht der Zukunft entgegengelaufen. Dem Leben entgegenlaufen und es war ein verdammt gutes Leben, befeuert von permanenten Widerständen, die uns nicht im geringsten interessierten. Wir waren die Welt, wir waren das Leben.
Aber es ist sinnlos, so etwas zu schreiben, da es ohnehin niemand (mehr) versteht.

5

schlawuki | 19.07.2022 14:00 Uhr

gedanken

ja, auch mein dank an diese dame und ihren gatten und die architektur die es zu erhalten gilt.
aber, wie liebe berlinerinnen und berliner, geht es denn jetzt weiter?

jetzt steht das halt alles so da.
der pinsel und das icc.
und man fährt da immer sehr gerne dran vorbei am icc.
macht euch mal gedanken.....

4

Fritz | 19.07.2022 13:14 Uhr

zwei

zwei der besten und relevantesten Gebäude überhaupt in Berlin stammen aus ihrer Feder. Das ist eine unverkennbare großartige Leistung.

3

peter | 19.07.2022 09:21 Uhr

ein biopic wäre wirklich wunderbar!

und natürlich auch viele exzentrische, laute und bunte architekten. aber letzteres halte ich für ausgeschlossen. die diktatur der angepassten schreitet leider immer weiter voran.

gute reise, ursulina schüler-witte!

2

spacearc | 19.07.2022 08:48 Uhr

de...

Diese ortlosen Maschinen waren schon im Bau auf der Suche nach ihrer Zeit.

1

Hinrich Schoppe | 18.07.2022 16:07 Uhr

Gut und Groß

Ein Dank an diese Dame...
...die sich so sperrig und großartig wie nur möglich in Szene gesetzt hat.

Ich warte auf das biopic, die sie und das schillernde Paar portraitieren wird.
Vielleicht wird so etwas wirklich notwendig, damit "normale" Menschen verstehen, wie und warum Architekten eigentlich ticken und dass sie eigentlch Pop-Stars sind.
Und denen verzeiht man ja gerne auch alles mögliche...
Und ein Auftrag an eine andere große, derzeit amtierende Architektendame eines etwas anders, aber doch auch schillernden Paares, sich dieses Erbes anzunehmen und zu verteidigen.
Seien wir großartig und exzentrisch, laut, verwöhnt und bunt! Die Welt ist trist genug!

 
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Ursulina Schüler-Witte in den 1960er Jahren

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Wettbewerb Messehallen und Kongresshalle (späteres ICC) für die Berliner Ausstellungen, 1965/66

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AVUS-Überbauung, Indapt-System, Gesamtmodell, 1973

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Turmrestaurant „Bierpinsel“ in Berlin-Steglitz, 1972–76

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