Von Wolfgang Thöner
Es wirkte auf viele Beteiligte wie ein Aufbruchssignal, als Rolf Kuhn im März 1987 in der Bauhausaula das Programm des neuen Bauhaus Dessau skizzierte. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sammlung wusste ich damals nicht viel über den 1946 in Thüringen geborenen Kuhn, nur, dass er an der Weimarer Hochschule für Architektur und Bauwesen daran mitgewirkt hatte, die Stadtsoziologie als neue Disziplin in die Lehre einzubringen. Nun war er Direktor einer Einrichtung, deren weltbekannter Name genutzt werden sollte, um als ein „Zentrum für Gestaltung“ mit experimenteller und interdisziplinärer Arbeit dringend notwendige Bewegung in den erstarrten Wohnungs- und Städtebau der DDR zu bringen.
Ein Netzwerk mit Kuhns Mentor Bernd Grönwald an der Spitze hatte es zuvor geschafft, dass seit 1976 im restaurierten Bauhausgebäude in verschiedenen Trägerschaften Historiker, Architekten und Designer in Weiterbildungsinstituten arbeiten konnten. Nun der Neustart. Geleistet wurde der von einem Stamm fester Mitarbeiter und dem Mitwirken externer, auch internationaler Fachleute und Studierender. Ungewöhnlich für die DDR, sah Kuhn die Schaffung einer lockeren Atmosphäre als wesentlich an, um zu unverbrauchten Ideen zu gelangen. Dafür war ihm die Einrichtung einer Cafeteria wichtig. Und tatsächlich: Gegen Widerstände wurde eines der ersten Projekte verwirklicht. Der von Rolf Kuhn so bezeichnete „Bauhausklub“ existiert bis heute.
„Das Bauhaus baut wieder“ war das zentrale Credo der ersten zwei Jahre. Die Arbeit begann verheißungsvoll. Schon im November 1987 fand das erste Walter-Gropius-Seminar statt, in dessen interdisziplinär und international besetzten Gruppen an Entwürfen für einen prominenten Dessauer Innenstadtbereich gearbeitet wurde. Das Projekt scheiterte knapp zwei Jahre später vor allem an einer überbürokratisierten Bauindustrie. Noch bis zum Sommer 1989 blieb die Aufbruchsstimmung, viele Entwurfs- und andere Seminare, Diplomarbeiten von Studierenden, Forschungs-, Ausstellungs-, Kunst- und Theaterprojekte waren erfolgreich.
Auch wenn Kuhn nie einen Hehl daraus machte, dass ihm die urbanistischen Projekte am meisten am Herzen lagen, setzte er seine Energie und seine ruhige, besonnene Art auch für historische Ausstellungs-, Ankaufs- und Forschungsprojekte ein. Große internationale Aufmerksamkeit bekam die Ausstellung mit Beständen des Bauhaus-Archivs aus Westberlin im Sommer 1988, an deren Zustandekommen Kuhn wesentlich beteiligt war. Dass 2019 das Bauhaus Museum Dessau eröffnet werden konnte, ist auch einer kontinuierlichen Sammlungsarbeit unter Kuhn zu verdanken. Mit ehemaligen Studierenden des Bauhaus fand er schnell Kontakt, vor allem, wenn sie wie Hubert Hoffmann oder Max Bill ein besonderes Interesse an der aktuellen Arbeit hatten.
Die weit über ein in der DDR übliches Verständnis von Stadt und Gesellschaft hinausgehenden kritischen Debatten gefielen nicht allen. Kuhn wurde im September 1989 mit einer Untersuchungskommission gedroht. Die kam nicht mehr zum Zuge. Dafür hatte sich das Bauhaus Dessau in anderen Kreisen einen Namen gemacht, von denen Kuhn während der größten Dessauer Demonstration am 3. November 1989 als Moderator einer öffentlichen Diskussion zwischen Demonstranten und Politikern benannt wurde, die mit dem Rücktritt der SED-Kreisleitung endete. Zur selben Zeit fand das zweite Internationale Walter-Gropius-Seminar statt, das ein Konzept für den Wandel der Region südlich von Dessau entwickelte, das als Industrielles Gartenreich Leitthema des Bauhaus Dessau für die nächsten zehn Jahre wurde.
Ich bewundere Kuhn noch heute dafür, wie es ihm gelang all diese Herausforderungen zu meistern und die Weiterexistenz des Bauhaus Dessau zu sichern. Zunächst in Gesprächen mit neugewählten Vertretern im sich wandelnden DDR-Bauministerium, dann schon ab September 1990 mit der Nutzung von Kontakten zum Bonner Bau-, später Innenministerium, konnte Kuhn in Verhandlungen mit einem Konzept aus Programmatik, Arbeits- und Wirtschaftsplan die Weiterexistenz des Bauhaus Dessau nach der deutschen Wiedervereinigung sichern. Dabei wurden auch erste Pläne für ein Bauhaus Dessau als von Bund, Stadt und Land getragene Stiftung entwickelt.
Von den vielen erfolgreichen Projekten auf dem Weg zur Stiftungsgründung seien nur die zur behutsamen Stadterneuerung in Dessau-Nord und für Ferropolis genannt. Mit der Stiftungsgründung im Sommer 1994 wurde die aus dem Projekt Industrielles Gartenreich entwickelte Idee Realität, die Transformation der Industrieregion zum Korrespondenzstandort der EXPO 2000 in Hannover zu machen. Das damit verbundene Bündel von Projekten befand sich ab 1995 auf gutem Weg, ein weiterer Erfolg war die Aufnahme des Bauhausgebäudes als Unesco-Welterbe im Jahr 1996.
Kuhn verließ 1998 die Stiftung Bauhaus Dessau und wurde Geschäftsführer der Internationalen Bauausstellung (IBA) Fürst-Pückler-Land, eine ähnliche Aufgabe wie die Transformationsprojekte des Industriellen Gartenreichs. Auch dieses vielgestaltige und umfangreiche Projekt führte er erfolgreich bis 2012. Rolf Kuhn starb am 19. Juni 2024. Er wurde 77 Jahre alt.