Von Alexander Stumm
Mit Robert Venturi ist am 18. September 2018 der Architekt, Pritzker-Preisträger, Theoretiker und letzte Vater der Postmoderne im Alter von 93 Jahren gestorben. In seinem Vanna Venturi House (auch My Mother’s House) in Chestnut Hill (1962-64) oder in der Seniorenresidenz Guild House in Philadelphia (1963) brachte er in der klassischen Moderne unsägliche Formen wie Segmentbogen und gebrochene Giebel zurück auf die architektonische Palette, kombinierte modernistische Fensterbänder mit römisch-antiken Thermenfenstern und schreckte selbst vor einer symmetrischen Fassadengestaltung nicht zurück.
Venturi ging es jedoch nicht um die simple Addition von Bauformen und -stilen. Vielmehr fordert er von seinen Kollegen in seiner wegweisenden Publikation von 1966 die titelgebenden Charakteristika Komplexität und Widerspruch in der Architektur ab: „Ich ziehe eine Haltung, die sich auch vor dem Vermessenen nicht scheut, einem Kult des ,Reinen‘ vor; ich mag eine teilweise kompromißlerische Architektur mehr als eine ‚puristische‘, eine verzerrte mehr als eine ‚stocksteifeæ, eine vieldeutige mehr als eine ‚artikulierte‘, [...]. Dementsprechend befürworte ich den Widerspruch, vertrete den Vorrang des ,Sowohl-als-auch’“, schrieb er darin.
Venturis „behutsames Manifest“ ist der Dammbruch der Postmoderne und, wie der Architekturhistoriker Vincent Scully schon im Vorwort prognostizierte, tatsächlich die wichtigste Schrift über das Bauen seit Le Corbusiers Vers une Architecture von 1923. Das von Heinrich Klotz 1978 in deutscher Übersetzung herausgegebene Werk durchzieht den Gedanken einer „Revision der Moderne“. Mehr noch: Genau besehen nimmt das von Venturi geforderte „schwierige Ganze“ die Dekonstruktion in ihrer theoretischen Methode vorweg – wenn auch unter formal ganz anderen Vorzeichen.
Die Tage der Ente
Venturi war einer jener Architekten, die mit ihren theoretischen Schriften erfolg- und einflussreicher waren, als mit ihren Bauten. Das zusammen mit seiner Lebenspartnerin und Geistesverwandten Denise Scott Brown und Steven Izenour verfasste Learning from Las Vegas (1972) mag manchem aus heutiger Sicht zu erfolgreich gewesen sein. Der Faszination für das bruchlose Nebeneinander von ägyptischem Monumentalbau, römischer Antike, venezianischem Mittelalter, etc. auf dem Las Vegas Strip geht jedoch die Einsicht voraus, dass eine zeichenträchtige Fassade eigene Qualitäten besitzt: Der „dekorierte Schuppen“ fängt da an zu sprechen, mitunter auch zu quasseln („I am a monument“) und quacken (wie die Big Duck auf Long Island, die Venturi stets verteidigte), wo die Moderne nichts oder zu wenig zu sagen hatte.
Jenseits der Postmoderne
Wie umstritten Venturis Arbeit bleibt, lässt sich dieser Tage am Museum of Contemporary Art San Diego in La Jolla ablesen. Das im Kern auf das Scribbs House (1915) des protomodernen Architekten Irving Gill aufbauende Museum erweiterte Venturi Scott Brown 1996 durch zwei Flügelbauten und eine einfassende Kollonade. In seiner zurückhaltenden Bezugnahme auf den historischen Vorgängerbau ist es ein souveränes Alterswerk, das momentan zur Disposition steht: Der geplante Umbau durch Selldorf Architects sieht eine nachhaltige Zerstörung der harmonischen Straßenfassade vor. Mit einem offenen Brief (vom 22. August 2018), unterschrieben von über 70 namhaften Architekturpersönlichkeiten, regt sich erster Widerstand. Robert Venturis Tod mag zumindest helfen, uns die Bedeutung seines architektonischen Erbes vor Augen führen.
Zum Thema:
Ein Gespräch mit Denise Scott Brown in der BAUNETZWOCHE #327.
Baunetz-Beitrag zum 90. Geburtstag von Robert Venturi
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.
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1.Kommentar_1990 | 25.09.2018 21:38 Uhr1.Kommentar_1990
danke robert. danke denise.