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20.12.2021
Der kulturelle Italiener in England
Zum Tod von Richard Rogers
Von Maik Novotny
Beide strahlen sie um die Wette wie zwei Jungs auf dem größten Spielgerüst der Welt: Der bärtige Renzo Piano im grauen Mantel mit buntem Regenschirm, und vor ihm Richard Rogers, blau und gelb gekleidet, mit noch bunterem Schal. Sie sitzen auf einem Stahlträger des Centre Pompidou, das rund um sie am Entstehen ist, im Hintergrund die riesige Baugrube von Beaubourg.
„Culture should be fun“ war Rogers‘ Credo für die anfangs heftig umstrittene Pariser Kunstmaschine, die ihn und Piano in die Oberliga der Architektur katapultierte. Es war nicht als Scherz gemeint, denn es ging ganz ernsthaft darum, die elitäre Welt der Museumspaläste mit Demokratie, Offenheit und Teilhabe zu sprengen. Das Techno-Mikado aus Tragwerk, Röhren und Schächten, das die Fassadenfrage einfach so löste, indem es auf eine Fassade verzichtete, entstand nicht aus dem Wunsch, eine neue Maschinenästhetik zu zelebrieren, sondern aus den Anforderungen des Raums: Stützenfrei, hierarchiefrei, frei zur Aneignung.
Noch heute kann man diesen Impetus der Freiheit spüren, wenn man das Centre Pompidou unmittelbar im Stadtraum erlebt. Dasselbe gilt für Rogers‘ zweites ikonisches Werk, das Londoner Lloyd’s Building (1986), das zwar weniger bunt, aber ebenso radikal mit seinen in den Himmel geschraubten Treppentürmen und auf und ab sausenden Liftkabinen wie eine Bohrplattform inmitten von gediegenem Historismus der City vor Anker ging und dem seriösen Versicherungskonzern so etwas wie Science-Fiction-Glamour verlieh. Auch hier lag die Idee im Raum: Das große freigeräumte Atrium, das Versprechen von Gemeinschaft.
Geboren wurde Richard Rogers 1933 in Florenz, 1939 zogen seine kunstsinnig-liberalen britischen Eltern mit ihm zurück nach England. Es sei, schrieb er in seiner Autobiografie, als sei das Leben plötzlich von Farbe auf Schwarzweiß gewechselt. Seine dortige Kindheit war keine glückliche: In der Schule gemobbt, als Legastheniker beeinträchtigt. Seine Konsequenz daraus war jedoch nicht das trotzige Einzelkämpfertum, sondern die Teamarbeit. Ein genialischer Serviettenskizzen-Architekt sollte und wollte er nie werden.
Team 4 hieß die erste dieser Kollaborationen, ein Doppel-Paar: Richard und Su Rogers; Norman Foster und Wendy Cheesman. Es war das Sprungbrett für zwei erfolgreiche Karrieren. Sein erstes eigenes Haus baute Rogers 1968/69 für seine Eltern in Wimbledon, eine täuschend einfache Reihe aus gelben Stahlbügeln, unter denen Innen- und Außenräume frei spielen durften. Ein Hauch von Swinging Sixties, Details aus der Auto- und Flugzeugindustrie. Es sollte zur Blaupause für das werden, was danach kam.
Der in den 1980er Jahren aufkommende Begriff „High-Tech-Architektur“ wurde fest mit ihm assoziiert, doch fiel seine Interpretation davon immer etwas freundlicher, anarchischer, verspielter aus als beim global kompatiblen seriösen Foster. Der Flughafen Madrid Barajas (2006) und der Millennium Dome (1999, heute O2 Arena) waren bei aller Funktionalität stets auch Fun Palaces. Seine Teamarbeit verfolgte Rogers konsequent weiter, zunächst mit dem 1977 gegründeten Richard Rogers Partnership, ab 2007 als Rogers Stirk Harbour + Partners (RSH+P) mit Ivan Harbour und Graham Stirk. Es folgten viele Auszeichnungen: Die RIBA Gold Medal, der Stirling Prize und 2007 der Pritzker Prize.
Rogers‘ wohl nachhaltigster Einfluss in seinem Heimatland lag allerdings nicht in seiner Architektur, sondern im kompletten Bewusstseinswandel, der durch ihn im Urbanismus stattfand. Den Anfang machte sein Buch „A new London“ (1992, mit Mark Fisher), darin hielt er der grauen Stadt das leuchtende Beispiel Barcelona vor. Nach dem Wahlsieg Tony Blairs 1997 bekam er die Gelegenheit, seine Mediterranisierung Englands umzusetzen. Die für Rogers eingerichtete Urban Task Force legte 1999 ihren ersten Bericht „Towards an urban renaissance“ vor, der höhere Bebauungsdichten, bessere öffentliche Räume und eine Wiederentdeckung des Themseufers propagierte.
Dass der kulturelle Italiener Rogers Farbe und Licht ins nieselgraue Porridge-England mit seinem klammen Konservatismus brachte, trug ihm eine lebenslange Feindschaft mit Prince Charles ein, dem das Südländische so suspekt war wie das Großstädtische. Mehr als ein Rogers-Projekt wurde dank royaler Intervention abgeschossen, ein infamer Missbrauch von Einfluss.
In späteren Jahren zog sich Rogers aus der Büropraxis sukzessive zurück, noch vor einem Jahr gab er die Nachfolge seines Büros bekannt, viele Projekte verloren dadurch etwas von ihrer unverwechselbaren Leichtigkeit, die er selbst – farbenfroh gekleidet bis zu den Socken, mit Vorliebe für Pink und Grasgrün – bis ins hohe Alter konsequent verkörperte. Mit One Hyde Park realisierten RSH+P 2009 das damals teuerste Apartment Londons, was zeigte, dass Rogers‘ inklusive Ästhetik auch exklusiv sehr gut funktionierte.
Doch Centre Pompidou, Lloyd’s und viele andere Bauten haben bis heute nichts von der Kraft ihres Versprechens verloren, sie erzählen von einem Optimismus, der uns heute unerreichbar scheint. Und das graue London ist, nicht zuletzt dank ihm, heller und freundlicher geworden. Am 18. Dezember ist Richard Rogers, wie seine Familie mitteilte, im Alter von 88 Jahren sanft entschlafen.
Das Bild der Architekten auf der Baustelle des Centre Pompidou hat die Redaktion am 21. Dezember 2021 nachträglich eingefügt.
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Richard Rogers (1933–2021)
Rogers House in London
Peter Rice, Renzo Piano und Richard Rogers
Centre Pompidou in Paris
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