Der Name Michael Wilford, 1938 in Hartfield im Süden Englands geboren, steht in engem Zusammenhang mit James Stirling, mit dem er bis zu dessen Tod 1992 über drei Jahrzehnte lang zusammenarbeitete. Deren gemeinsames Werk, die Neue Staatsgalerie in Stuttgart etwa, gilt als Inbegriff postmoderner Architektur in Deutschland und liest sich wie ein Lehrstück der Stilgeschichte. Der 1984 eröffnete Erweiterungsbau für die Alte Staatsgalerie, der gemeinsam mit der 2002 hinzugekommenen Ergänzung für die Graphische Sammlung ein Ensemble bildet, ist vielleicht sogar einer der wenigen Vertreter der Postmoderne, der an Beliebtheit zu gewinnen vermag. Die geniale Einbettung und Verzahnung der architektonischen in die städtebauliche Struktur, die einprägsamen Gestaltungselemente und die klar ablesbaren historischen Zitate tragen dazu bei.
1960 trat Wilford in das Büro des später mit dem Pritzker-Preis und wörtlich geadelten James Frazer Stirling ein. Ab 1971 bis 1992 leiteten sie das Büro als gleichwertige Partner, wobei zwischen 1993 und 2001 das Nachfolgebüro Michael Wilford & Partners die Arbeit fortführte. Ein langjähriger Wegbegleiter war auch der deutsche Architekt Manuel Schupp, mit dem Wilford ab 2001 in Stuttgart das Büro Wilford Schupp Architekten betrieb, während er parallel und bis zuletzt in London das Büro Michael Wilford Architects leitete.
Viele der Merkmale und Gestaltungsprämissen aus der Neuen Staatsgalerie lagen Michael Wilfords Arbeit zugrunde. So wollte er einerseits eine Architektur schaffen, die auffällt, während sie sich bestmöglich in das Umfeld einfügt. Insbesondere der erste Teil dieser etwas generischen Aussage lässt sich deutlich belegen. Im Fall des Kunst- und Kulturkomplexes The Lowry am Salford Quay in Greater Manchester etwa zeigt sich dies als expressive Formensammlung mit Bezug zu Schiffskonstruktionen. Ebenfalls am Wasser liegt das Kulturzentrum Esplanade in Singapur, dessen organische, schuppenhafte Hülle entsprechende Assoziationen weckt. Beide entstanden nach Wilfords Plänen um die Jahrtausendwende.
Das Büro- und Geschäftshaus No 1 Poultry in London greift da weniger in den Stadt- und Luftraum, lässt jedoch die Stilzugehörigkeit eindeutig erkennen. An diesem Bauwerk, ebenso wie an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Stuttgart, plante Wilford noch in Zusammenarbeit mit James Stirling. Die Gebäude wurden jedoch erst nach Stirlings Tod 1998 beziehungsweise 1994 fertiggestellt. Bezeichnender Weise gab es für die HMDK 1997 auch den Stirling Prize.
Zu Wilfords bekanntesten Bauwerken zählt auch die Britische Botschaft in Berlin. Diese fügt sich zwar formal in die rigiden Planungsvorgaben im repräsentativen Kontext an der Wilhelmstraße, zeugt jedoch abermals durch postmoderne Elemente und durch eine ursprünglich gedachte, öffentliche Teilnutzung mit Café, Restaurant und Bibliothek, von der Urheberschaft und Entstehungszeit um 2000. Zu den zahlreichen weiteren Bauten des Architekten zählen neben Museums- und Kulturbauten auch Unternehmensstandorte wie etwa für die Medizintechnikfirma B. Braun in Melsungen oder Sto in Stühlingen-Weizen. Unter den Bildungsbauten sollten zudem die Pläne und Umsetzung der Musikhochschule in Mannheim sowie das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) nicht unerwähnt bleiben.
Wilford, der an der Northern Polytechnic School of Architecture und an der the Regent Street Polytechnic Planning School in London studierte, lehrte an zahrleichen Hochschulen, darunter in Yale und Harvard. Die Liverpool School of Architecture, an der er als Gastprofessor lehrte, würdigt ihn in einem Nachruf als einen der größten Meister der Institution. Sie attestiert ihm eine „lebenslange Neugier auf alles Kreative, was der menschliche Geist zu bieten hat“ und dadurch die Fähigkeit, „kulturell inspirierte und gesellschaftlich relevante Umgebungen und Räume zu schaffen.“ Das Nachfolgebüro von Manuel Schupp, Orange Blu, würdigt Wilford wiederum als einen „noch bis zu seinem 75. Geburtstag sehr aktiven Architekten und eine große Inspiration für viele Kollegen und Mitarbeiter, auch durch seine einzigartige Denkweise.“ Michael Wilford starb am 10. März 2023 im Alter von 84 Jahren. (sab)
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RIP | 03.04.2023 17:07 UhrMichael
Die Botschaft in Berlin fand ich schon immer einen gelungenen ironischen Kommentar zu der Berliner Stein-Traufhöhe 21m - Mentalität.
Ich war immer ein großer Fan von Stirling/Wilford, weil Sie einen genuinen Stil erschaffen haben das muss man erst einmal hinbekommen!
Ich weiß: de mortuis nil nisi bonum, aber in diesem Zusammenhang kann ich mir einen Vergleich zu Pink Floyd nicht verkneifen. David Gilmour und Roger Waters waren nur zusammen richtig gut. Alle Soloprojekte waren eher lau.
Das heißt nichts Schlechtes über Wilford. Es sollte uns aber immer daran erinnern, dass Architektur das Produkt vieler Geister ist.
Und Stirling wurde auch dann erst richtig gut, als Wilford dort zum Partner aufstieg.