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04.12.2023
Die Kraft des Materials
Zum Tod von Karl-Heinz Hüter
Von Nikolaus Bernau
Gleich das erste Buch, was ich von ihm in die Hände bekam, war auch jenes, mit dem Karl-Heinz Hüter am stärksten wirkte: Das Bauhaus in Weimar. Studie zur gesellschaftspolitischen Geschichte einer deutschen Kunstschule. Erschienen 1976 nach langem Hin und Her mit der DDR-Politik, die die Kunstschule lange als „formalistisch“, „dekadent“ oder „bürgerlich“ verächtlich machte. Das Buch wirkte offenbar als Paukenschlag, Hüter erhielt im gleichen Jahr noch die Bauhaus-Medaille der Bauakademie. Und blieb doch ein Außenseiter.
Fast genau zehn Jahre nach der Gründung des Bauhauses in Weimar wurde Hüter im thüringischen Elxleben 1929 in eine Bauernfamilie hinein geboren, wuchs in Arnstadt auf, studierte nach dem Krieg in Jena Germanistik, Klassische Archäologie und Kunstgeschichte. 1952 erhielt er eine wissenschaftliche Assistenz für Architektur und Bauwesen in Weimar an der heutigen Bauhaus-Universität. Nach dem Zufallsfund von Archivalien aus der frühen Bauhaus-Zeit begann er dort seine Forschungen, erst über den Kunstreformer Henry van der Velde – 1956 durfte Hüter den greisen Architekten in der Schweiz besuchen, zu einer Zeit, als an den Grenzen der DDR schon die ersten Befestigungen gebaut waren – dann über das Bauhaus.
Neun Jahre später berief die Deutsche Bauakademie Hüter nach Berlin. Nach dem ökonomischen und ideellen Kollaps des Stalinismus suchte die sozialistische Architekturpolitik neue methodische und ästhetische Vorbilder. Zu dieser Suche gehörte auch eine Neuinterpretation der Geschichte der Moderne. Hüter konnte nun unbelästigt von Lehrverpflichtungen seinen Moderne-Forschungen nachgehen, 1967 sein Buch über Van de Velde publizieren und zugleich sein Bauhaus-Buch vorbereiten. Dafür begann er den – in der Architekturgeschichtsschreibung der sozialistischen Staaten wohl einzigartigen – Briefwechsel mit Walter Gropius, dem durchaus kapitalistisch gesinnten Bauhaus-Gründer, der in die USA ausgewandert war und gerade in West-Berlin die als Vorzeigeviertel geplante, später nach ihm benannte Großwohnsiedlung Gropius-Stadt konzipierte.
Entsprechend intensiv beobachteten die DDR-Oberen diesen Kontakt. Als Gropius 1967 die Druckfahnen des Buches erhielt und allzu begeistert antwortete, wurde Hüter regelrecht abgestraft, der Druck gestoppt. Erst 1976 – im Jahr, als der Palast der Republik eröffnet wurde, ästhetisch ein unverkennbares Kind der klassischen Moderne und im weiteren Sinn des Bauhaus-Schulgebäudes in Dessau – erschien der Band in Ost-Berlin, war umgehend ausverkauft, wurde 1977 in West-Berlin nachgedruckt und war wieder umgehend ausverkauft.
Das mit einem reichen Dokumentenanhang versehene Buch schöpfte tief aus den Akten, aus Gesprächen mit Zeitgenossen – von denen einige in der DDR sogar die Angriffe im Formalismus-Streit ausgestanden hatten – und aus der genauen Analyse der Entwürfe. Hüter erinnerte daran, dass das Bauhaus auch schon vor der heroischen Dessauer Zeit in Weimar geblüht hatte und dort dem Druck der Rechtsnationalen, Konservativen und Nazis weichen musste. In Hüters Darstellung bekam das Bauhaus eine neue, sozialistische Note – was dank der ideologischen Flexibilität vor allem von Gropius’ Schriften ohne wesentliche Verbiegungen des Materials auch möglich war.
Der klassenkämpferische Grundton von Hüters Buch war bis weit in die 1990er Jahre hinein der notwendige Gegenpol zu einer allzu stark das Ästhetische betonenden westlichen Interpretation „des“ Bauhauses, die auf die Thesen von Philipp Johnson und Russel Hitchcock über den International Style zurück geht. Erst die vergangenen Jahrzehnte widmeten sich intensiver der Vielfalt und den Widersprüchlichkeiten der Schule. Die DDR dankte Hüter seine Leistung jedoch nicht: 1978 verließ er nach offenbar endlosen Querelen die Deutsche Bauakademie, verdiente sich nun sein Geld als freier Autor, als Tischler, mit gut besuchten Vorlesungen und der Restaurierung brandenburgischer Dorfkirchen.
Erst 1987 erschien das nächste Buch: Architektur in Berlin: 1900-1933. Ein Band, der die Forschungen von Julius Posener, Jost Hermand und anderen weiter führte und die langen Linien der Moderne zeigte. Mitte der 1990er Jahre fasste er außerdem die Ergebnisse jahrzehntelanger Forschungen zur damals noch wenig bekannten Moderne-Geschichte Brandenburgs in einer viel beachteten Wanderausstellung zusammen.
Hüter mischte sich – etwa im Unterschied zu Bruno Flierl, der im Juli verstarb – nach allem was man weiß, nie offensiv in die kulturpolitischen Kämpfe der DDR ein. Vielmehr setzte er auf die tiefe Interpretation der historischen Materialien. Auch dieses strengen Positivismus wegen galt er seit den 1970er Jahren als zentraler Fachmann für das Bauhaus in der DDR. 1996 erhielt er schließlich den Fritz-Schumacher-Preis.
Wie aktuell und originell Hüters Forschungen bis heute sind, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sein Bauhaus-Buch kürzlich nochmals aufgelegt wurde – und zwar unverändert. Es ist selbst zum Zeitzeugen geworden. Bereits am 20. Oktober starb Karl-Heinz-Hüter in seinem Haus in Ziegenhals (Königs Wusterhausen) bei Berlin. Vorgestern wurde er beigesetzt.
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Karl-Heinz Hüter (l.) und Selman Selmanagic auf dem 1. Bauhauskolloquium 1976 in Weimar
Karl-Heinz Hüter mit Ise Gropius in Dessau 1979