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14.12.2022
Im Selbstversuch
Zum Tod von Joachim Schürmann
Von Uta Winterhager
Am 8. Dezember starb Joachim Schürmann im Alter von 96 Jahren in Köln. Geboren 1926 in Viersen, zog es ihn zum Studium an die TU Darmstadt. Zur gleichen Zeit studierte dort auch Margot Schwilling. Die beiden wurden ein Paar, machten 1949 ihr Diplom, heirateten ein Jahr später und gründeten 1956 als Margot und Joachim Schürmann ihr Büro in Köln, das sie ab 1970 als Schürmann & Partner bis zu Margots Tod 1998 zusammen leiteten.
Gemeinsam stellten sie sich gegen die gesellschaftlichen Konventionen, ignorierten die klassischen Rollenbilder und entwickelten ihr eigenes, bis heute beispielhaftes Lebens- und Arbeitsmodell. Genau diese Haltung, das kontinuierliche Weiterdenken, das Streben nach Innovation auch in konservativen Zeiten zeichnete ihre Architektur über die gesamte Schaffensperiode hinweg aus.
Kurz nach der Gründung ihres Büros bauten die beiden ihr eigenes Haus im Kölner Stadtteil Lindenthal. 1957 zogen sie dort mit drei kleinen Kindern und ihren ersten drei Mitarbeiter*innen ein. Doch Familie und Büro waren zu jung, um sich von einer Immobilie diktieren zu lassen, wie sie leben und arbeiten sollten. So wurde die Situation umgekehrt und ein Haus geplant, das den wandelnden räumlichen Bedürfnissen angepasst werden konnte. Und die waren von Anfang an alles andere als konventionell: eine kinderreiche Familie, eine berufstätige Mutter, Wohnen und Arbeiten unter einem Dach.
So konnte auch das Haus nicht dem Duktus der betulichen Nachbarschaft entsprechen. Vermutungen wurden laut, bei dem eingeschossigen Stahlskelettbau handele es sich um eine Tankstelle. Die zwei eingeschossigen Riegel, die im rechten Winkel aufeinandertreffen, bilden ein Kontinuum mit Garten und Terrassen, keine Brüche, keine Schwellen und keine Hierarchie, wohl aber die ordnende Struktur des Tragwerks, die es erlaubt, Räume dem Bedarf entsprechend zu vergrößern oder abzutrennen. Seit 1998 ist das Haus denkmalgeschützt, es war ein Experiment, ein Selbstversuch. Betrachtet man es heute, hat es von seiner Modernität nichts verloren. Leben mit der Architektur und für die Architektur – diesem Ideal ist selten jemand so überzeugend nahegekommen.
Wenig verwunderlich also, dass auch die vier gemeinsamen Kinder die Leidenschaft der Eltern teilen, ebenfalls Architektur studierten und zahlreiche Projekte von beiden Generationen zusammen bearbeitet wurden. Als das Büro wuchs und Ende der 1970er Jahre mit 20 Mitarbeiter*innen in die Altstadt zog, wurde der Bürotrakt in der Enckestraße immer mittwochs als Thinktank genutzt. Joachim Schürmann hat dort bis zu seinem Tod gewohnt und gearbeitet. Auch in der Salzburger Dependance lagen Wohnen und Arbeiten direkt nebeneinander.
Schürmann hat Köln geprägt, und sicher hat Köln auch ihn geprägt. So haben der Wiederaufbau und Ausbau von Groß St. Martin in der Altstadt das Büro von 1961 bis 1985 beschäftigt. Gleichzeitig realisierte das Büro mit dem umliegenden Martinsviertel eine Form der Stadtreparatur, die sich zwar in den Duktus der Stadtgeschichte einfügte, doch das Leben der Menschen in ihrer Zeit abbildete.
Schürmann wollte weg von der Schwere, er befreite seine Bauten von Ballast, dachte in viele Richtungen, ließ im Team entwerfen, ließ zeichnen und diskutieren. Ob dies nun zur fast unglaublichen Leichtigkeit führte, wie beim gläsernen Kirchenschiff von St. Stephan in Köln Lindenthal (1958) oder zu den fantastischen Schwüngen der Betonparaboloiden von St. Pius in Neuss (1961) oder zu dem Kardinal-Frings-Gymnasium Bonn (1961), einem hochfunktionalen Schulbau, der eins wird mit den Rheinauen – immer suchte er das Äußerste. Und das fand er, ohne je zu überdrehen. Er überraschte, ohne zu erschrecken.
Der Bau des Bonner Abgeordnetenhauses, das 1991 erst durch ein Hochwasser massiv beschädigt und dann von seinen zukünftigen Nutzer*innen wegen des Regierungsumzugs noch vor der Fertigstellung verlassen wurde, war für das Büro, aber auch für den Menschen Joachim Schürmann eine tiefe Krise. Heute jedoch trägt das Gebäude, das als Funkhaus für die Deutsche Welle vollendet wurde, stolz den Namen seines Architekten – es ist der Schürmann-Bau.
Schürmann-Bauten gibt es zahlreiche: Kirchen, Wohnhäuser, Verwaltungsbauten, Schulen. Viele von ihnen waren ihrer Zeit weit voraus, waren dadurch nicht immer leicht zu verstehen, aber genau deswegen regen sie immer wieder zur Diskussion über das Unmögliche an und machen Mut, mehr zu wagen, mehr zu geben.
Kommentare:
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Joachim Schürmann (1926–2022)
Haus Schürmann in der Enckestraße in Köln, 1957
Büro- und Wohnhaus Schürmann in der Lintgasse 9 in Köln, 1977
Schürmann-Bau in Bonn, 1989–2002
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