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10.01.2025
Zum Verstehen verführen
Zum Tod von Ingeborg Flagge
Von Enrico Santifaller
Ehrlich war sie. Ehrlich bis zur Schroffheit, auch ehrlich zu sich selbst. Das wusste sie einzusetzen. Kompetent, gewandt, unkonventionell und eben ehrlich, mit diesen Eigenschaften machte die promovierte Archäologin als Geschäftsführerin des BDA auf Empfängen, Partys, Einladungen im Bonn der 1980er Jahre Furore. Als eine von wenigen Frauen im damals männlich dominierten Politikbetrieb warb sie für den Berufsstand der freien Architekt*innen und für gute Architektur.
Schonungslos ehrlich war Ingeborg Flagge auch in ihrer 24 Jahre währenden Tätigkeit als Chefredakteurin der BDA-Zeitschrift der architekt, die sie mithilfe unter anderem von Otl Aicher und Kurt Ackermann von einer drögen Verbandspostille zu einer anerkannten Architekturzeitschrift machte. Im Frühjahr 1998 bekannte sie schließlich, dass die „Schere zwischen dem, was der BDA behauptet und glaubt zu sein und dem, was einige daraus machen, zu groß“ für sie geworden sei. Die Glaubwürdigkeit des Verbandes sei dahin. Sie quittierte ihren Dienst und zog sich auf ihren Lehrstuhl für Baugeschichte und Baukultur an der HTWK in Leipzig zurück. Wenige Jahre später stand der BDA vor der Pleite. Flagge kannte die Verantwortlichen. Gehört wurde sie nicht.
Zu jener Zeit war die 1942 im ostwestfälischen Oelde geborene Flagge bereits Direktorin des Deutschen Architekturmuseums DAM in Frankfurt. Als sie ihr Amt im Mai des Jahres 2000 antrat, feierte die Frankfurter Kommunalpolitik – und auch sie selbst – dies als Zäsur. Sie und Anette Rein, die zu diesem Zeitpunkt ihre Position als Chefin des Völkerkundemuseums antrat, waren die ersten Frauen in der Museumsleitung in der Stadt am Main.
„Einige Dinge werden sich ändern“ kündigte Flagge an, wobei die langjährige Verbandsfunktionärin das Wort „Architekturmuseum“ buchstäblich verstand. Ein „Architektenmuseum“ war ihre Sache nicht. Ihr Ziel war die Öffnung des Hauses für ein Publikum, das aus Architekt*innen und Nicht-Architekt*innen bestand. Letztere wollte sie „zum Verstehen verführen“. Mit Themen, die Nichtfachleute zuvörderst unter Architektur einordnen – etwa Hochhäuser, Flughäfen oder Kirchen – wollte sie die Laien dort abholen, wo sie sie stehen glaubte. Volkshochschulkurse nahmen auf Oswald Mathias Ungers’ unbequemen Stühlen im DAM-Auditorium Platz. Sie kooperierte sogar mit Frankfurts städtischen Kindertagesstätten.
Dieser demokratische Impuls erinnerte an Hilmar Hoffmanns „Kultur für alle“ aus den goldenen 80er Jahren, in denen Frankfurt mit einem schier unerschöpflichen Kulturetat das Image der grauen Bankenstadt abzulegen versuchte. An die Anfänge des Museumsufers, in denen Heinrich Klotz ein Architekturmuseum mit nationalem Anspruch gründete – und internationale Stararchitekten einfliegen ließ. Flagge entfernte folgerichtig alle späteren Einbauten, wollte zum Urzustand zurück – zum Unger’schen Architekturtempel. Und, als hätte sie dessen Dysfunktionalität konterkarieren wollen, war das Direktorenbüro – das Klotz’ Nachfolger Vittorio Magnago Lampugnani und Wilfried Wang aus Platzgründen in eine Dependance verlegt hatten – unter Flagge wieder im vierten Stock des Hauses zu finden.
Sie hatte Erfolge, verdreifachte die Zahl der Besucher*innen. Präsentierte dem staunenden Publikum – zum ersten Mal in der Geschichte des DAM – nicht nur das Werk lebender Architekten wie Thomas Herzog, Oscar Niemeyer oder Geoffrey Bawa, sondern lud Literaten wie Cees Nooteboom, Intellektuelle wie Walter Jens und Musiker wie Albert Mangelsdorff ein. Entertainment war ihr nicht fremd, Zeichen und Symbolpolitik ebenso wenig, ideologische Einengungen dagegen schon.
Mochten Parteigänger von Berlins Bausenator Hans Stimmann „rheinische Heiterkeit“ am Main wittern; mochten Modernisten Licht, Luft und Sonne postulieren; sie feierte ein „Fest im Dunkeln“, machte eine Ausstellung zum Thema Schatten und arbeitete gleichzeitig mit der Messe light+building zusammen. Und öffnete, für viele empörend, dem „Sonntagsarchitekten“ Friedensreich Hundertwasser die Museumspforten. Nicht, weil sie dessen Werk schätzte, sondern weil sie die Sehnsüchte und Träume all derer ernst nahm, die das taten. Freilich, die Zahl der Besucher*innen dieser Ausstellung war geringer als die, die zur Schau mit den Wettbewerbsentwürfen für den Neubau der Europäischen Zentralbank kamen.
Der unabhängige, der freie Status, den sie sich vom Chefinnenposten einer bedeutenden nationalen Institution erhofft hatte, kehrte jedoch nicht ein. Rasch musste sie mit ähnlichen Problemen kämpfen wie ihre Vorgänger. Zwar gab es zur Amtsübernahme eine kleine Anschubfinanzierung, doch die war bald aufgebraucht, und dann musste sie „betteln“ gehen. Klinken putzen, Sponsoren suchen, Mittel für Ausstellungen und Publikationen auftreiben. Sie hatte auch damit Erfolge, aber es war erklärtermaßen nicht ihr Ding.
Und ihre Ehrlichkeit wurde nicht überall geschätzt. Sie, die immer für die Freiberuflichkeit warb, die ankündigte, täglich 16 Stunden und mehr fürs Museum zu arbeiten, verzweifelte zunehmend an den bürokratischen Strukturen eines öffentlichen Arbeitgebers. Sie fühlte sich in Frankfurt nicht wohl. Zwar ließ sie sich zu einer Verlängerung ihrer Amtszeit überreden, doch gab sie den Posten nach wenigen Monaten auf. (Auch Kollegin Rein warf wenig später hin.)
Dass mit Flagges Kündigung versucht wurde, kommunalpolitisch zu intrigieren, wirft ein bezeichnendes Licht auf ihre Zeit in einer Stadt, der sie alsbald den Rücken kehrte. Sie zog wieder nach Bonn – wo ihre kranke Mutter lebte, zu Menschen und Institutionen, die ihr etwas bedeuteten, in eine Stadt, in der sie zur „Dame Courage der Architektur“ (Dieter Bartetzko) reifte. Und schrieb wieder – über Architektur und Kunst, über Geschichte und Fotografie. Einmal sogar über Fußball – den in Afrika allerdings. Am 20. Dezember letzten Jahres ist Ingeborg Flagge gestorben.
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