Von Frank Seehausen
Am 30. Dezember 2020 verstarb Herbert Groethuysen im Alter von 99 Jahren. Mit ihm verlieren wir den letzten Architekten der Moderne, der München im Wiederaufbau der 1950er und 60er Jahre geprägt hat.
Mit zwei Gebäuden machte er Furore. 1953–55 mit der Herz-Jesu-Kirche, Münchens erster Stahlbetonkirche, einem betörend schönen Bau von nüchterner Sinnlichkeit, den er gemeinsam mit Alexander Freiherr von Branca in der Buttermelcherstraße errichtete. Und 1963–70 mit dem spektakulären Redaktionsgebäude des Süddeutschen Verlags am Färbergraben, das er zusammen mit Detlef Schreiber und Gernot Sachsse entworfen hatte und das mit der kühlen Eleganz seiner dunkel eloxierten Fassade in bester Nachfolge von Ludwig Mies van der Rohe einen gravitätischen Ruhepol innerhalb des heterogenen Münchner Altstadtumfelds bildete. In seiner Präzision und Wirkung war das „Schwarze Haus“ allenfalls vergleichbar mit einem Florentiner Renaissancepalast – ein architektonisches Kunstwerk von europäischem Rang, außen wie innen bis ins letzte Detail perfekt gestaltet. Dennoch wurde es 2009 trotz internationaler Proteste abgerissen.
Herbert Groethuysen arbeitete immer wieder in unterschiedlichen Teams. Bereits während seines Studiums an der TU München realisierte er 1948 unter der Regie von Werner Wirsing zusammen mit Erik Braun, Gordon Ludwig, Jakob Semler und Wolfgang Fuchs das bis heute selbstverwaltete Studentenwohnheim am Maßmannplatz. Die H-förmig angelegte, teilweise aufgeständerte Bebauung schuf Raum für eine demokratisch organisierte Gemeinschaft und suchte ihre architektonischen Vorbilder in der kalifornischen Moderne – als Verheißung einer neuen Zeit. Groethuysen wusste den Austausch und das kollegiale Miteinander jener Münchner Studenten und Architekten zu schätzen, die inmitten des vorherrschend konservativen Umfelds eine moderne Formensprache verfolgten. Damals ging es weniger um Konkurrenz als vielmehr um gemeinsamen Aufbruch, wie er 2017 betonte.
Parallel zu seiner Bürogemeinschaft mit von Branca (bis Mitte der 1950er) realisierte er Einfamilienhäuser, zumeist klar gerasterte Kuben – streng, funktional, dabei in menschlichem Maßstab und mit atmosphärischen Qualitäten. Sein eigenes Wohnhaus, das er 1963 zusammen mit einem hochmodernen Apartmenthaus anstelle der elterlichen Villa am Rondell Neuwittelsbach realisierte, ist mit seinem großen, zum Garten hin vollständig verglasten Wohnraum ein solches Beispiel: Zirkulation und Familienleben standen im Mittelpunkt. Die amerikanische Küche – damals ein Novum – hinter einem hohen Edelholztresen und die offene Treppe zum Spielflur der Kinder im Obergeschoss, der über die Loggia und eine kühne Betontreppe mit dem Garten verbunden war, stehen für Groethuysens Idee einer präzisen, an menschlichen Bedürfnissen orientierten Architektur die zwei Eigenschaften haben muss: Funktionalität und Schönheit. Im Zentrum des Hauses und mit Blick in den Garten platzierte er den Konzertflügel, denn Musik spielte in der Familie eine tragende Rolle.
Diese feine Balance zwischen Präzision und Freiheit zeigt sich auch in Groethuysens Kirchenbauten, vor allem dem 1967 geweihten Kirchenzentrum St. Mauritius in München-Moosach, das inmitten einer diffusen Wohnsiedlung erstmals einen räumlich erlebbaren Ort schuf. Entlang einer zentralen Wegeachse bündelte er die gemeinschaftsbildenden Funktionen als ablesbare Volumina: Pfarrhaus, Kindergarten und – über einen leicht erhöhten Hof miteinander verbunden – Gemeindesaal und Kirche. Auch hier bildete ein strenges Raster die Grundlage, und auch hier eröffnete die Ordnung Freiheiten. Unerwartet leicht ruht der gewaltige Sichtbetonkörper des Kirchenraums auf vier Pfeilern. Durch einen zarten Lichtschlitz zwischen Wänden und Decke scheint das kräftig gerasterte Dach zu schweben. Mit der Kombination von klarer Ordnung, großer Form, Präzision im Detail, Licht und Materialität schuf Groethuysen erneut einen architektonischen Akzent in München und eines der bedeutendsten brutalistischen Gebäude Bayerns.
Mit derart eigenständigen Bauten positionierte sich Groethuysen neben anderen modernen Münchner Architekten wie Hans Maurer, Kurt Ackermann oder Walter und Bea Betz. Sein zeichnerischer Nachlass, der heute im Architekturmuseum der TU München verwahrt wird, bietet noch zahlreiche Entdeckungen.
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Stefan Frischauf | 20.01.2021 07:44 UhrImposant
Danke für diesen schönen Nachruf. Mit 99 Jahren war er ja schon im "Klub der Weisen". Bescheidenheit ist eine Zier. Das haben er und viele andere aus seiner Zeit überzeugend gelebt. Sicher war die Welt noch "klarer und weniger diffus" als heute. Dennoch: diese zurückhaltende, aber klare und äußerst präzise Haltung wünscht man sich heute mehr. Auch in dem diffusen Tanz um goldene Kälber. Nicht nur in der Bauwelt.
Er möge in Frieden ruhen.