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03.11.2011

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Fehlende Stimme

Zum Tod von Hartmut Häußermann


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Dass das Wort „Gentrifizierung“ heute in fast jedem Zeitungsartikel zur sozialen Entwicklung der Stadt auftaucht, ist nur eines von vielen Indizien für die Bedeutung des Stadtsoziologen Hartmut Häußermann, der vorgestern im Alter von 68 Jahren verstorben ist. Der 1943 im schwäbischen Waiblingen geborene Häußermann hatte bis zum Jahr 2008 den Lehrstuhl für Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität Berlin inne.

Von seinen zahlreichen Veröffentlichungen wurde vor allem das 1987 gemeinsam mit Walter Siebel bei Suhrkamp erschienene Buch „Neue Urbanität“ zum Standardwerk aktueller Architektursoziologie. Darin beschreiben die Autoren unter anderem auf ebenso schlüssige wie unterhaltsame Weise die Entwicklung und Aufwertung verfallener städtischer Altbauquartiere in den Siebzigerjahren durch Hausbesetzer und Zwischennutzungen zu alternativen Szenebezirken, in deren Folge sich Besserverdienende („Yuppies“) und Investoren für diese Quartiere zu interessieren beginnen.

Die folgende Verdrängung der Alternativkultur hatten Häußermann und Siebel in Frankfurt/Main und Berlin-Kreuzberg beobachtet, die Prophezeiung einer entsprechenden Entwicklung ähnlicher Altbauquartiere in Mitte und Prenzlauer Berg des wiedervereinigten Berlin erfüllte sich zu hundert Prozent. Der Prenzlauer Berg, selbst Wohnort Häußermanns, wurde dabei für ihn zum soziologischen Forschungsgegenstand par excellence.

Im Gegensatz zu anderen Wissenschaftlern begnügte sich Häußermann jedoch nicht mit der Veröffentlichung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse, vielmehr nahm er aktiv Einfluss auf die Politik. So gilt er heute gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Kapphahn als Vater des „Quartiersmanagements“, einer Strategie, bei der Sozialarbeiter in so genannten „Problemkiezen“ in direktem Kontakt mit den Bewohnern stehen, diese beraten und so zum Abbau sozialer Spannungen beitragen. In seinem Katalog „Monitoring soziale Stadtentwicklung“ benannte er zudem Strategien zum frühzeitigen Erkennen urbaner Fehlentwicklungen.

Mit dem Tod Hartmut Häußermanns verstummt eine ruhige, aber klare Stimme für eine verantwortungsbewusste soziale Entwicklung der Stadt. (cv)


Kommentare
...geben nicht die Meinung der Redaktion wieder, sondern ausschließlich die ihrer jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser.

4

Stefan Frischauf | 06.11.2011 12:39 Uhr

@flashback - Handwerk und anderes

Wie sagt der gute Richard Sennett doch so schoen in seinem zuletzt erschienenen - unbedingt zu empfehlenden Buch "Handwerk" noch:
“Gute Arbeit leisten heisst neugierig sein, forschen und aus Unklarheiten lernen.”
Und - dann moege man den Gedanken weiterspinnen - sind die Architekten a) zu weiten Teilen bereits jenseits von "gutem Handwerk" angelangt und b) traut sich da keiner mehr hinter die Fassade des schoenen Scheins zu blicken und c) geht's da vielen Architekten scheinbar immer noch sehr gut auf den vielfach verzerrten Maerkten oder d) haben die alle Angst vor Marktnischen- und Gesichtsverlust ? oder e) haben die meisten schon resigniert und haben sich in Anbetracht der Marktbeherrschung durch einige Wenige in andere Berufsfelder - oder eben - die Erstellung von Carports nach Feierabend begeben?
Zu f) koennte man anfuegen - als Architekt schaeme ich mich manchmal fuer das Geblubber, das da allzu haeufig ausgestossen wird. Da redet ein alternder Star-Architekt von China - hat aber sicher ausser dem Flughafen und der Neustadt und seinen eigenen Germania-Traeumen da noch nichts vom Reich, das da um seine Mitte ringt gesehen. Und - "Nachhaltigkeit" -mein Steuerberater hat mal von "Bullshit-Bingo" fuer langweilige BWL-Vorlesungen mit den ueblichen 10 Fuellwoertern auf der Liste erzaehlt - fuer die richtige Anzahl gerade dieses Fuellwortes muesste es Sonderpunkte geben. Im (End-)Zeitalter der kurzfristigen Profitmaximierung und entsprechenden oekonomischen Blasenbildung bei gleichzeitiger Ausklammerung essentieller gesellschaftlicher Beduerfnisse ist das Wort "Nachhaltigkeit" zumeist nichts anderes als ein Hohn.
Vielleicht sollte man eher von flaechendeckend gesteuerter Gentrifizierung bei gleichzeitiger Cachierung derselben mit Alibi-Woertern sprechen.
Der Blick ueber den architektonisch formalen Tellerand ist kein leichter. Letztlich gehen aber Form und Inhalt nur immer zusammen oder - erfuellen Architektur und Staedtebau inzwischen alleine formalen Selbstzweck ?
Bisweilen macht es so den Anschein.
Schade, dass Herr Haeussermann darauf nicht mehr antworten kann. Habe ihn leider zu spaet kontaktiert und leider eine recht verzweifelt klingende Antwort erhalten. Vielleicht ahnte er schon von seinem baldigen Ende.
Es wird wirklich Zeit, dass Architekten und Planer sich dieser seiner Themen - und eines intensiveren Dialogs mit (Stadt-)Soziologen und (Stadt-) Oekonomen und anderer angrenzender Fakultaeten annehmen. Und - viel intensiver mit Sozialarbeitern und Quartiers-/ Buergerinitiativen zusammenarbeiten. Ich denke, das sind wir dem einsamen Mahner schuldig.
Aber - auch dafuer ist eine Praemisse erforderlich, die man in diesen Tagen in Deutschland nur marginal antrifft - Offenheit und - Angstlosigkeit. Da bekanntlich die Hoffnung zuletzt stirbt und derzeit ja mancher "aufwacht" - selbst in Deutschland - kann es eigentlich fast nur noch besser werden.

3

flashback | 04.11.2011 10:48 Uhr

Fehlende Stimmen

Die Wahrheit gegen den opportunistischen Mainstream auszusprechen kostet Kraft. Es stellt sich wirklich die Frage, wie wir wieder mehr Zivil-Courage in die Welt der verunsicherten Architekten und Politiker bringen. So wie Werner Sewing und Hartmut Häußermann dies unerschrocken und unermüdlich getan haben. Ich vermute, es beginnt mit der intellektuellen Neugier gegenüber anders Denkenden und nicht mit der Sicherung vermeintlicher Pfründe.

2

Stefan Frischauf | 04.11.2011 10:37 Uhr

Einsamer Mahner in der Wueste

Klar, dass da keiner nachkommt. Wer heute in die Fusstapfen dieses Mannes treten wuerde - zumal von Architektenseite - der hat es in diesen Zeiten mehr als schwer. Und - Herr Haeussermann hat nicht zu Unrecht die Architekten als Handlanger der post-fordistischen Stadtzerstoerer bezeichnet - darin natuerlich durchaus auch auf Philipp Johnson's saloppes "I'm a whore" zurueckgehend. In Zeiten, in denen sich vieles bewahrheitet hat, was der einsame Mahner da schon lange anmahnte muesste endlich auch die Planung selbst Verantwortung uebernehmen und Konzepte entwickeln, die Gentrifizierung wirkungsvoll angeht und sinnreiche Alternativen - auch und gerade auf dem Sektor der Bedarfsermittlung von Stadt und Buergerschaft ermittelt. Winwin-Situationen solcher Art jedoch sind in Zeiten alternativloser Planungsverfahren - in denen der Bremer Kulturwissenschaftler und Essayist Michael Glasmeier vom "Primat des Oekonomischen" und die indische Schriftstellerin und Journalistin - und gelernte Archiektin Arundhati Roy von "oekonomischem Totlaitarismus" als weltumspannendes System sprechen kaum gewuenscht. "Business as Usual" -sehenden Auges in die deregulierte post-fordistische Stadt - das scheint allumfassende Devise.
Erst wenn wir eine Demokratie - auch in der Planung dieses Landes im Kern Europas haben werden sich Menschen in seinen Fussstapfen auf den Weg machen koennen und vor allem - sie werden dann eben auch gehoert werden. Derzeit sind wir von diesen beiden Voraussetzungen weit entfernt.
Der gute Mann moege insofern in Frieden ruhen.

1

behrend | 03.11.2011 17:20 Uhr

der tod muss sterben

Erst Sewing, nun Häußermann. Es scheint, dass gerade jene Stimmen, die mir durch all die Stimmann-Jahre hinweg Hoffnung gegeben haben, nun verstummen, obwohl sie sicher noch viel zu sagen, zu schreiben und zu kommentieren gehabt hätten. Wer tritt an ihre Stelle? Ich sehe derzeit niemanden von gleichwertigem intellektuellem Format. Wie schade, wie traurig.

 
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