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09.11.2022
Pionierin der Schinkel-Forschung
Zum Tod von Eva Börsch-Supan
Von Nikolaus Bernau
Heute ist längst vergessen, dass Karl Friedrich Schinkel zwar seit seinem Tod 1841 in Berlin hoch verehrt wurde, seine Werke aber dennoch (sofern sie sich nicht im Bereich der Schlösser und Gärten oder der evangelischen Staatskirche befanden), ziemlich ruchlos abgeräumt oder wenigstens stark umgebaut wurden. Noch schlimmer erging es den Nachfolgern in den Staats- und Hofbauverwaltungen. Ferdinand von Arnim, Ludwig Persius, Martin Gropius und selbst der Schöpfer des heute weltberühmten Neuen Museums auf der Museumsinsel Friedrich August Stüler wurden mehr als ein Jahrhundert als uninspirierte, dokrinär-spätklassizistische „Schüler“ Schinkels abgewertet. Eine derjenigen, die seit den 1970er Jahren diese Architekten regelrecht dem Vergessen entrissen und ihr Werk rehabilitierten, war Eva Börsch-Supan. Bereits am 5. Oktober verstarb die eminente Wissenschaftlerin im Alter von 90 Jahren in Berlin. Sie forschte und schrieb bis zuletzt.
Ihre gleich einem Handbuch aufgebaute Publikation Berliner Baukunst nach Schinkel von 1977 machte erstmals einer breiten Öffentlichkeit klar, dass die Bauten der „Schinkelschüler“ nicht nur hervorragend konstruiert waren – deswegen hatten so viele den Zweiten Weltkrieg und die Nachkriegszeit überstanden – sondern mehr waren als eine bloße Ansammlung von bürokratisch-ziegelsteinroten Schulen, Gefängnissen, Post-, Eisenbahn- oder Verwaltungsbauten. Börsch-Supan zeigte, dass im Berlin der Restaurationszeit seit 1848 ein Sonderweg aus dem Dilemma des Historismus versucht worden war. Während in Paris die strenge École des Beaux-Arts und in Dresden oder Wien die Neorenaissance und der Neubarock aufstiegen, in Großbritannien sich der einzigartige Formenreichtum des viktorianischen Zeitalters entwickelte, blieben Berlins und Preußens Baukultur zwar dem Normenwerk des Klassizismus verhaftet – doch entwickelte sich hier die Grundlage für das, was wir inzwischen als industrialisierte Moderne feiern. Das ist der Grund dafür, dass heute viele fordern, die Berliner Bauakademie – seit den 1860er-Jahren und bis weit in die 1960er hinein als „Roter Kasten“ von der Berliner Architektenschaft inniglich verachtet – getreu Schinkels Entwurf zu rekonstruieren.
Börsch-Supans Forschungen dienten seit den 1980er Jahren auch als historische Legitimation der postmodern-konservativen Suche nach einer „Berlinischen“ Architektur als der des angeblich immer nüchternen, rationalen Preußens. All die Debatten um Putz- oder Ziegelfassaden, Trauf- und Blockkanten, Stadtvillen und Mietkasernen – sie haben auch in ihren Büchern die historische Begründung gesucht. Dass Börsch-Supan mit ihren Studien über Persius und von Arnim gerade auch das irrationale, romantische Preußen wieder entdeckt hatte, die Wohnlichkeit der Potsdamer Turmvillen und der brandenburgischen Dorfpfarrhäuser – das dagegen wurde gerne übersehen.
Studiert hatte sie bei dem Barockforscher Heinz Ladendorf. Als die SED auch in der kunsthistorischen Forschung zunehmend übergriffiger wurde, ging sie 1958 ging mit Ladendorf nach Köln. Dort lernte sie ihren späteren Mann Helmut Börsch-Supan kennen, der gerade seine Karriere als Gemäldekustos bei der West-Berliner Stiftung Schlösser und Gärten begann. Sie war eine Frau, die gerne ihre Erkenntnisse mit anderen Forschenden teilte, die begeisterte und zugleich engagierte Mutter, Ehefrau und Großmutter war – und dabei auch den großen Freundeskreis der Familie pflegte.
„EBS“ – wie sie unter Forscherinnen und Forschern auch genannt wird – wurde bewundert und sicher auch ein wenig belächelt ob ihres unglaublichen Fleißes und einer Detailversessenheit, die sich in geradezu berüchtigt klein beschriebenen Zettelkatalogen niederschlug. Für viele war auch ihr fester Glaube, dass das gute Kunstwerk oder die herausragende Architektur nur von sittlich und kulturell herausragenden Menschen geschaffen werden könne, ein fern gewordener Widerschein jenes Idealismus, wie er das 19. Jahrhundert geprägt hatte. Aber keiner, der sich mit der deutschen Architekturgeschichte des 19. Jahrhunderts beschäftigt, kommt um ihre Bücher herum. Es ist zu hoffen, dass die Familie den Nachlass dieser viel zu wenig geehrten Forscherin bewahrt und an ein Archiv gibt.
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