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20.05.2020

Die Lust an der Pointe

Zum Tod von Dietmar Steiner


Geschichtenerzähler, Provokateur, Ermöglicher: Dietmar Steiner spürte als Direktor des Architekturzentrum Wien (Az W) mit dem Instinkt des Journalisten die brennenden Themen der Architektur auf. Jetzt ist er im Alter von 68 Jahren gestorben.

Von Maik Novotny

Dietmar Steiner wusste sehr genau, was er nicht sein wollte. Sich selbst bauend zu verewigen, interessierte ihn nicht. Ein Architekturtheoretiker sei er ebenfalls nicht, bekannte er freimütig. Dietmar Steiner, der von der Gründung 1993 bis zu seiner Pensionierung 2016 das Architekturzentrum Wien (Az W) leitete, bezeichnete sich selbst treffend als Geschichtenerzähler und Journalist, als Übersetzer und Moderator. Ihm waren die gut gesetzte Pointe und die schnelle, provokante Polemik immer näher als das trockene Dozieren und Kategorisieren. Fürs Bauen und die Theorie hätte ihm wohl auch einfach die Geduld gefehlt.

Geboren 1951 in Wels (Oberösterreich), studierte er Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien und arbeitete später mit Friedrich Achleitner an dessen Mammut-Lebenswerk „Österreichische Architektur im 20. Jahrhundert“. In den 1980er Jahren schrieb er für die Tageszeitung „Die Presse“, später war er Redakteur für „domus“. 2002 kuratierte er den österreichischen Beitrag der Architektur-Biennale in Venedig.

Die Rolle seines Lebens fand er schließlich dank eines günstigen Momentes der Wiener Kulturpolitik mit einer Konstellation ausnahmsweise mutiger Akteur*innen zu Beginn der 1990er Jahre. Von Anfang an als keineswegs nur wienerisches, sondern explizit österreichisches Architekturmuseum verstanden, betrieb sein Az W zwar aktiv die Förderung der heimischen Architekturszene. Allerdings ging Steiner dabei subjektiv und selektiv vor und war mehr an Themen als an Personen interessiert.

„Wir wollten die internationale Debatte nach Wien holen und das Az W nicht zum Schaufenster der lokalen Architektur machen,“ so Steiner. „Wenn man einen von denen ausstellt, muss man alle ausstellen. Lobst du einen, hassen dich alle anderen. Verteufelst du einen, wirst du von den anderen geliebt.“ Das Café im Az W ließ er 2001 nicht von Wiener Lokalmatadoren einrichten, sondern von den damals noch kaum bekannten Lacaton & Vassal.

Kein Wunder also, dass der neugierige Kommunikator Steiner international bestens vernetzt und Mitglied in zahlreichen Jurys war, etwa der zum Mies van der Rohe Award oder zum Schelling-Preis. Wenn er die internationale Welt nach Wien brachte, suchte der Journalist Steiner die Geschichten, die sonst niemand erzählte. Die großen Gesten von Libeskind oder Gehry interessierten ihn kaum. Zwar überließ das Az W dadurch so manche große Ausstellung wie die zu Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au und Hans Hollein dem Wiener Museum für Angewandte Kunst (MAK). Doch dafür setzte es unter Steiners Ägide Themen, die die Architekten wirklich beeinflussten und die Welt wirklich prägten, mehr als ein Opernhaus oder ein Museumsneubau.

Mit DesignBuild, Glenn Murcutt, dem Rural Studio und den Lehmbauten von Anna Heringer, die arte povera der Architektur abseits der Metropolen, spürte er schon früh die Entwicklung zu einer Architektur des Social Design und des ressourcenbewussten Bauens auf, die inzwischen global geworden ist. Die Öffnung Osteuropas hat er mit sicherem Instinkt als Tür zu einer architektonischen Schatzkammer gedeutet, mit den großen Schauen zu Balkanology, Bogdan Bogdanovic und der Sowjetmoderne – letztere eine der erfolgreichsten Ausstellungen des Az W überhaupt. „Ich stellte mit zunehmender Beschäftigung mit dem Balkan fest, wie ignorant und ahnungslos wir in den Jahrzehnten des Kalten Kriegs gegenüber den intellektuellen und architektonischen Leistungen dieser Region Europas waren und auch heute noch sind,“ sagte Steiner 2010.

Unter den vielen Debatten, die er immer wieder lustvoll anstachelte, waren der seiner Meinung nach in Wien sträflich vernachlässigte Städtebau und der Kampf gegen den „Styropor-Irrsinn“ von Wärmedämmfassaden. In der endlos schwelenden Wiener Debatte um den Investoren-Hotelturm in der UNESCO-Weltkulturerbe-Schutzzone vollzog er den Seitenwechsel vom Gegner zum Befürworter des Projektes, was ihm wütenden Gegenwind und aufgekündigte langjährige Freundschaften bescherte. Sein spätes Lob für Prince Charles‘ südenglisches Heile-Welt-Retortendorf Poundbury aus der Feder von Leon Krier sorgte auch in der Fachwelt für Ratlosigkeit. War „der Steiner“ jetzt übergeschnappt? Nein, er wollte nur „ein wenig provozieren.“

Das ist ihm gelungen. Es gab wohl niemand, der in allem einer Meinung mit ihm war, aber das wäre auch nicht seine Absicht gewesen. Seiner Nachfolgerin Angelika Fitz hinterließ er ein bestens aufgestelltes Haus, auch wenn das von ihm immer wieder geforderte Österreichische Architekturmuseum bis heute fehlt. Zum Abschied als Direktor schenkte er sich selbst das Buch „Steiner’s Diary“. Sein Abschiedsfest trug den Titel „Am Ende: Architektur.“ Auf seinen Ruhestand freute er sich. „Ich werde im nächsten Jahr mein Archiv und meine Bibliothek aufarbeiten, und aufs Land ziehen.“

Es war ihm nicht vergönnt, diese Zeit lange zu genießen. Im April vorigen Jahres musste sich der notorische Kettenraucher einer schweren Herzoperation unterziehen, von der er sich nicht mehr erholte. Am vorigen Freitag ist Dietmar Steiner im Alter von 68 Jahren gestorben. Am Ende bleiben: Viele Geschichten von Architektur. Und die Erkenntnis, dass sie die Debatte und den Streit braucht. Genau so wie den wachen Blick.


Zum Thema:

Dietmar Steiners Rückblick auf die „Architektur seit 1959“ ist 2016 unter dem Titel Steiner's Diary bei Park Books erschienen. Text und Bild werden hier auf gelungene Weise zu einer Art autobiografischen Ideengeschichte verschränkt.

https://www.azw.at


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Dietmar Steiner, 1951–2020

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