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01.04.2022

Vater der Pattern Language

Zum Tod von Christopher Alexander


Von Nikolaus Kuhnert

Am 17. März starb Christopher Alexander 85-jährig in Binsted in der englischen Grafschaft Sussex. Unsere Zeitschrift ARCH+ hatte ihm 1984 die Ausgabe „Christopher Alexander. Entwurf einer Pattern Language“ gewidmet. Darin haben wir seine Bücher The Timeless Way of Building und A Pattern Language auszugsweise als deutsche Erstveröffentlichung herausgebracht. 2006 ging die Ausgabe „Entwurfsmuster. Raster, Typen, Patterns, Script, Ornament“ unter dem Aspekt des regelbasierten Entwerfens noch einmal auf die Pattern Language ein.

In den 1960er-Jahren waren von Alexander in Deutschland verschiedene Aufsätze erschienen, wie 1967 in der Zeitschrift Bauen und Wohnen „The City Is not a Tree“ und 1969 der Kongressbeitrag: „Major Changes in Environmental Form Required by Social and Psychological Demands“ in der ARCH+. Ansonst war von ihm nichts auf Deutsch erschienen. Und so war seine Rolle als Antipode zu der von Peter Eisenman dominierten amerikanischen Architekturdiskussion unbekannt und auch die Hoffnungen, die seine Arbeiten an der amerikanischen Westküste ausgelöst hatten.

Ich kannte ihn, weil ich in den 1970er-Jahren an der RWTH Aachen das Seminar „Ästhetische Oppositionsbewegungen und soziale Reformbewegungen“ anbot und er zu den prägenden Figuren des Seminarstoffes gehörte. Und so nahm ich dankbar die Anregung von Eduardo Vargas auf, der damals in Hannover lehrte und zu Entwurfsmethoden forschte, eine Ausgabe zu Christopher Alexander zu machen. Vargas war ein chilenischer Architekt, der Ende der 1950er-Jahre an der HfG Ulm studierte, dessen Architekturauffassung aber vor allem von Horst Rittel geprägt war. Vargas’ langjährige Beschäftigung mit der Formalisierung des Entwurfs führte zu einer Vielzahl von Studienarbeiten, die wir in der Christopher Alexander gewidmeten ARCH+ Ausgabe auch vorstellten.

Das Heft selbst ist durch die Zusammenarbeit mit Susanne Siepl entstanden. Sie verbrachte als Studentin von Eduardo Vargas ein Studienjahr an Alexanders Center for Environmental Structure an der University of California in Berkeley. Sie war gerade nach Deutschland zurückgekehrt und bestens über Alexanders Arbeit informiert. Sie war verantwortlich für die Auswahl der Pattern und der Projekte Alexanders. Der Übersetzung von A Pattern Language und  The Timeless Way of Building lag die Rohübersetzung des Löcker Verlags zugrunde, die mir Hermann Czech als Herausgeber der deutschen Übersetzung der beiden Publikationen freundlicherweise überlassen hatte.

Wenn ich heute auf diese Ausgabe schaue, dann bin ich überrascht von der Euphorie, mit der ich damals die Pattern Language in die deutsche Diskussion einzuführen versuchte. Das mag sicherlich an der Enttäuschung liegen, zu der die vorangegangene Auseinandersetzung mit der Wendung der europäischen Architekturdebatte durch Aldo Rossi geführt hatte. Und so habe ich begeistert die Akzentverschiebung von Alexander gefeiert: von der „architects’ architecture“ zur „people’s architecture“ – dass nämlich die Menschen ihre Umwelt selbst gestalten (und sie diese Kompetenz nicht mehr an andere abgeben).

2008 haben wir uns erneut mit der Pattern Language auseinandergesetzt. Genannt haben wir diese ARCH+-Ausgabe „Entwurfsmuster. Raster, Typen, Pattern, Script, Algorithmen, Ornament“. Das Heft ging unausgesprochen von der Annahme aus, dass die regelbasierten Entwurfsansätze der 1960er-Jahre als gescheitert zu betrachten sind. Im Falle von Alexander kam noch erschwerend hinzu, dass er sich von Prince Charles für seine Kampagne gegen die Moderne hatte einspannen lassen und manche seiner Pattern auf stereotype Menschenbilder basierten, sodass seine Position als reaktionär angesehen wurde.

Wir leiteten die erneute Auseinandersetzung mit Alexander mit einem Gespräch ein, das Rem Koolhaas und Hans Ulrich Obrist 2007 mit ihm geführt hatten. In diesem Gespräch spielen die Zweifel an der Brauchbarkeit der Pattern Language die zentrale Rolle, gleichwohl er an seiner Grundtendenz des Versuchs zur Formalisierung des Entwurfsprozesses festhält und als Lösung zur Überwindung der Schwächen der Pattern Language vorschlägt, den Entwurf als einen „generativen Prozess“ zu begreifen: „Generative Prozesse können hingegen für die gebaute Umwelt das sein, was die DNA für einen Embryo oder eine Pflanze ist. In den zurückliegenden Jahrzehnten spielte das Konzept der DNA eine dominierende Rolle. Heute beginnen Biologen zu realisieren, dass sich die Gestalt von Pflanzen nicht wirklich von der DNA herleitet. Das ist sehr bemerkenswert. Die DNA bestimmt zwar den Entstehungsprozess, aber die tatsächliche Form entsteht aus der physischen Entfaltung des geometrischen Objekts, das eine wachsende Pflanze ja ist. Diese morphogenetischen Prinzipien sind viel stärker als die ‚Pattern Language‘ es je war. Deshalb versuche ich sie zu formalisieren.“

Mit diesem banalen Beispiel aus der Biologie, nämlich wie eine Pflanze entsteht und gedeiht, und dass man, um sie zu verstehen, zwischen dem Entstehungsprozess und der physischen Entfaltung des geometrischen Objekts der Pflanze, zwischen DNA und morphogenetischen Prinzipien unterscheiden muss, benannte er seinen und den Irrweg 1960er-Jahre schlechthin, aus der Struktur auf die Gestalt schließen zu können – egal ob diese Struktur nun Pattern oder Typus heißt. Die Folge dieses Fehlschlusses war, dass die Gestaltfindung Phantasmen einer „Qualität ohne Namen“ überlassen werden musste, wie es in The Timeless Way of Building vielsagend heißt.

Christopher Alexander war sich jedenfalls am Ende seines Lebens dieser Misere seiner und damit auch meiner Generation bewusst.

Der Autor ist langjähriger Herausgeber der Zeitschrift ARCH+. Sein Text ist auch auf der Webseite der Zeitschrift erschienen.


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Christopher Alexander (1937–2022); Foto: Wikimedia Commons / Michael Mehaffy / CC BY-SA 4.0

Christopher Alexander (1937–2022); Foto: Wikimedia Commons / Michael Mehaffy / CC BY-SA 4.0


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