Sie verpackten den Berliner Reichstag, die Pariser Brücke Pont Neuf und ein Stück australische Steilküste bei Sydney, spannten einen Vorhang durch ein Tal in Colorado und ließen mithilfe einer monumentalen Stoffinstallation 2016 gar Menschen über den oberitalienischen Iseo-See gehen: das Künstlerduo Christo und Jeanne-Claude. Geboren am selben Tag, dem 13. Juni 1935 – er in Bulgarien, sie in Marokko –, und zusammengetroffen im Paris der späten 1950er Jahre, schuf das Paar seit den 60er Jahren zahlreiche ebenso spektakuläre wie flüchtige Kunstinstallationen. Auf geradezu zauberhafte Weise veränderten diese die Wahrnehmung von Architektur und Raum. Nach dem Tod Jeanne-Claudes im Jahr 2009 arbeitete Christo weiter an Projekten, von denen sie viele noch gemeinsam begonnen hatten – bis zum Pfingstsonntag dieses Jahres: Am 31. Mai 2020 ist der Künstler kurz vor seinem 85. Geburtstag in seinem Haus in New York eines natürlichen Todes gestorben.
Seine künstlerische Laufbahn begann Christo Wladimirow Jawaschew früh: Schon als Kind zeichnete er mit großem Talent und entwickelte ebenso schnell ein ausgeprägtes Interesse an der Materialität von Stoffen und Tüchern. Nach einem Kunststudium in Sofia gelangte er in den 1950er Jahren mit Stationen in Prag, Wien und Genf nach Paris. Hier verdiente er seinen Lebensunterhalt zunächst als Porträtmaler. Die Verhüllung einer Farbdose bildete dann den Auftakt zu einem einzigartigen, über Jahrzehnte kontinuierlich weiterentwickelten Werk, das kaum eine*n Betrachter*in unbeeindruckt ließ – griff es doch in einer Weise in den öffentlichen Raum ein, die im besten Wortsinn fantastisch war. Dabei arbeitete Christo immer eng mit Jeanne-Claude zusammen, die er im November 1962 heiratete. 1964 zog das Paar nach New York, bald darauf entstanden die ersten monumentalen Verpackungsaktionen, mit denen sich die beiden schnell in den internationalen Kunst-Olymp vorarbeiteten. Dabei blieben sie stets unabhängig und finanzierten ihre oft nur für kurze Zeit sichtbaren Projekte von Anfang an aus eigenen Mitteln. Entscheidend hierfür war der Verkauf von Skizzen, Modellen und Fotografien der verschiedenen Installationen.
In Deutschland traten Christo und Jeanne-Claude unter anderem mit der 1968 für die Documenta 4 realisierten Arbeit „5.600 Cubicmeter Package“ in Erscheinung, ein mit Helium gefüllter Synthetikschlauch, der als gut 70 Meter hohe Säule auf der Karlswiese emporragte. Die Arbeit war als bis dahin größte skelettlose Luftkissen-Struktur zugleich ein technischer Rekord. Weitaus bekannter ist hierzulande jedoch ihre von Juni bis Juli 1995 in Berlin zu sehende Verhüllung des Reichstagsgebäudes. Mit deren Konzeption hatten sie bereits 1971 begonnen. Lange kam das Vorhaben allerdings nicht voran, mehrfach wurde es von der deutschen Regierung abgelehnt. Erst nach dem Mauerfall 1989 war man im Zuge der allgemeinen Aufbruchstimmung bereit für das utopische Projekt. Versteckt hinter einem Vorhang aus silbernen Polypropylengewebe verwandelte sich der geschichtsträchtige Bau Fata Morgana gleich für zwei Wochen in eine poetische Skulptur, die Massen an begeisterten Besucher*innen anzog.
Christos letzte, nun posthum realisierte Intervention wird die Verhüllung des Arc de Triomphe in Paris sein. Eigentlich sollte dieser bereits im Herbst des laufenden Jahres einen Mantel in Silbrig-Blau und Rot erhalten. Aufgrund der aktuellen Corona-Pandemie wurde die Aktion nun auf 2021 verschoben. So oder so – Christo wird nicht mehr dabei sein. Tröstlich aber, was aus seinem Umfeld zu hören ist: Bis zum Vorabend seines Todes arbeitete er in seinem Atelier an Skizzen für Paris, unermüdlich bis zuletzt, so wie er es sich immer gewünscht hatte. (da)
Zum Thema:
Das Berliner Palais Populaire zeigt noch bis zum 17. August 2020 eine Ausstellung zum Werk des populären Künstlerpaares.
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STPH | 03.06.2020 09:09 UhrNegative Rahmung
Die Realität als plastisches Bild umfasst den textil reduzierenden Rahmen. Im Fall von Berlin einfach nur die Leute, ohne den Reichstag.
Folge ist das Freiheitsgefühl der Liliputaner angesichts des gefesselten Gulliver.
Eigentlich ist jedes konsequent moderne Gebäude wrapping, Christo.
Die Abrisskante zum drumherum ist wichtig, also keine Attikaverblechung.
Nur Moderne ist schwierig weil dann der zu framende Gegenstand abhanden kommt. Nur noch Anti-Materie.
Entfremdetes Verhältnis zum drumherum, zur Natur?
Entfremdung als das magische wahre der Moderne.
Moderne als Verhältnis zur Realität.
Wozu der olle Christo noch alles gut ist.