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20.07.2023
Eine Institution der DDR-Architektur
Zum Tod von Bruno Flierl
Von Simone Hain
Am 17. Juli 2023 ist der Architekt und Publizist Bruno Flierl im Alter von 96 Jahren verstorben. Obwohl er keine baulichen Lebenszeugnisse hinterlassen hat, war er eine Institution auf dem Gebiet von gebauter Umwelt, Gesellschaft und Kunst. Man muss den Mann, dessen leidenschaftliches Engagement sich auf die Gestaltung einer modernen sozialistischen Gesellschaft bezog, als ein zentrales, zumal analytisch bildgebendes Medium und als unermüdlichen Mediator bezeichnen.
In der DDR, für die er sich noch als Student dauerhaft entschied, verkörperte er seit Beginn der 1960er Jahre den Diskurs der dortigen Architektenschaft und raumbezogenen Künstlern. Als treibende Kraft gab er vierzig Jahre lang Art und Maß vor, in denen man Architektur bedenken und systematisch mit sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen verknüpfen kann. In seinen theoretischen Anfängen hat er sich mit Proportionsstudien beschäftigt. Zeitlebens stellte das Auge die wichtigste empirische Basis seiner sehr persönlichen Reflektionen der Wirklichkeit dar. Maßstäbliche Ausgewogenheit und Signifikanz waren ihm Gradmesser gestalterischer Souveränität – vor allem in großmaßstäblich städtebaulichen Dimensionen.
Diesen Zugang hat er als enger Mitarbeiter des Schweizer Avantgardearchitekten Hans Schmidt entwickelt, der als CIAM-Mitbegründer ab 1956 als Hauptarchitekt die Modernisierung des Bauens in der DDR einleitete. Dass der Raum unter sozialistischen Bedingungen andere Eigenschaften haben und neue architektonische Möglichkeiten eröffnen würde, betrachteten beide als eine offene Versuchsanordnung. Bis 1970 erprobten sie dies in Beteiligung an den Zentrumsplanungen in Ostberlin auf beispielhafte Weise.
Das in den 1960er Jahren gebaute Zentrum Ost-Berlins ist ein Reflex jener Kommunikation, die der Freund El Lissitzky’s mit der jungen Generation von Ostarchitekten pflegte. Bruno Flierl spielte dabei publizistisch eine entscheidende Rolle. Als Chefredakteur der Zeitschrift „Architektur der DDR“, die er 1962 bis 1964 vom Layout bis zur Autorenliste fest in die Hand nahm, schuf er die Tribüne für den gesellschaftlichen Aufbruch jener Jahre. Seine Handschrift und Courage als Chefredakteur sorgte dafür, dass DDR-Architektur international breites Interesse fand und in der Vermittlung über Aldo Rossi architekturtheoretisch relevant wurde. Der sogenannte „linguistic turn“ nahm seinen Anfang in Ostberlin.
Der Höhenflug, an jedem Kiosk öffentlich sichtbar, erhielt einen argen Rückschlag, nachdem Flierl mit den sogenannten „Müggelturmgesprächen“ selbst den Bauminister Wolfgang Junker für die Anliegen der jungen Architekten in Anspruch nahm. Ihre rückhaltlose Kritik wurde von der baupolitischen Führung als Einleitung eines Generationswechsels verstanden. Infolge einer Amtsenthebung verlor Flierl die Definitionsmacht als Journalist. Jedoch nur, um als Forschender noch stärkere Kost aufzutischen.
Zunächst unter Hans Schmidts Leitung engagierte er sich an dessen großem Theorieprojekt, um schließlich an der Bauakademie gemeinsam mit Olaf Weber und Gerd Zimmermann avancierte Systemtheorie und Wahrnehmungsästhetik zu betreiben. Die drei analysierten mit Geistesschärfe alles, was im Land gebaut und gebastelt wurde – Neubaustädte wie Datschengebiete. Das verhalf der angestaubten und stalinistisch verkrusteten Bauakademie bis 1979 zu einer Phase kritischer Lust und Bissigkeit. In der Abteilung „Theorie und Geschichte“ gab es mit ihnen einen Think Tank, der zwar im Politbüro und Zentralkomitee (ZK) der SED vorübergehend Unterstützung fand. Bau- und mehr noch Wirtschaftsministerium aber machte es rasend.
Danach verlagerte sich Flierls kritisches Denken über Architektur an die Universitäten, nach Weimar, Dresden und die Humboldt Universität zu Berlin. Zu den Seminaren und Vorlesungen, die er „Unter den Linden“ gab, kamen bald schon mehr Externe als Studenten. Sie bildeten die dritte Generation, die zehn Jahre später, die „Wende“ exekutierte. Bruno Flierl selber hätte den (übrigens globalen) Zusammenbruch der Zukunftsfreude und das böse Wetter der Verhärtung und Restauration, diese schlimmen 80er Jahre, fast nicht überlebt. Politisch gebrandmarkt, gemaßregelt und überdies um ein großes Forschungsprojekt zur 750-jährigen Geschichte von Berlin gebracht, musste er 1984 vorzeitig emeritieren.
Seither war er ein Forschungsreisender, ein Botschafter und Kommunikator zwischen Ost und West. Er studierte Hochhäuser in der ganzen Welt, hielt Vorträge in Frankreich, seiner seit der Kriegsgefangenschaft zweiten Heimat und hielt in gewisser Hinsicht Hof. Seine Lichtbildvorträge sowie später seine geführten Architektenreisen sicherten ihm weit mehr als nur das Brot. Um ihn gruppierte sich eine Gesellschaft ganz eigener Art. Dazu gehörte nach dem Fall der Mauer auch die Gründung einer Ost-West-Plattform kritischer Architekten, die sich im Namen von Hannes Meyer als Exklave im neoliberalen, postmodernen Mainstream verstand.
Bei den aufflammenden Debatten um die Gestaltung des wiedervereinten Berlin, sei es im Stadtforum oder in der Expertenkommission für den Wiederaufbau des Schlosses, wurde Bruno Flierl als Elder Statesman wohl geschätzt und gehört. Jedoch dem grassierenden Verfall von Intellektualität und städtebaulicher Ordnung in der wiedervereinten, aber politisch kulturell auseinanderbrechenden Stadt, konnte auch er nicht Einhalt gebieten.
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