Von Hubertus Adam
Die größte Ehrung in der Architekturwelt kam spät, aber noch zu Lebzeiten: 2019 erhielt der 1931 geborene Arata Isozaki den Pritzker-Preis. Jüngere Landsleute wie Tadao Ando, SANAA, Toyo Ito oder Shigeru Ban hatten ihn schon überholt.
Es gab aber im späten 20. und frühen 21 Jahrhundert keinen japanischen Architekten, der in vergleichbarem Maße wie Isozaki Westen und Osten verknüpfte: In New York nahm er 1976 an der von Hans Hollein kuratierten Ausstellung „MAN transFORMS“ teil. Und in Paris inszenierte er zwei Jahre später eine legendäre Schau, die dem europäischen Publikum den für das japanische Raumverständnis essenziellen Begriff des „Ma“ nahezubringen versuchte.
Seit dem Neubau des Museum of Contemporary Art (MOCA) in Los Angeles wurde Isozaki zunehmend in der westlichen Welt tätig – als Architekt, aber auch als Vermittler, Gesprächspartner und einflussreicher Juror in Wettbewerben. Seinem Engagement ist es zu verdanken, dass Bernard Tschumi in Paris den Parc de la Villette realisieren konnte. In Hongkong ebnete er 1983 der jungen Zaha Hadid mit dem Sieg im Peak-Wettbewerb den Weg zu einer Weltkarriere. Im Rahmen der IBA Berlin 1984/87 realisierte er ein Projekt hinter dem damaligen Berlin Museum in Berlin-Kreuzberg.
Umgekehrt setzte sich Isozaki neben seiner praktischen Tätigkeit als Architekt vehement für die Förderung der Architekturkultur in Japan ein. 1988 wurde er zum Intendanten der Kumamoto Artpolis, eine Position, die er zehn Jahre später an Toyo Ito übergab. 1989 entwickelte er den Masterplan für Nexus World in Fukuoka, ein acht Hektar großes Terrain, auf dem auf seine Einladung Projekte etwa von Steven Holl, Rem Koolhaas und Osamu Ishiyama realisiert wurden.
Zwischen 1994 und 2001 war Isozaki schließlich für die Planung einer großen Wohnsiedlung im japanischen Gifu verantwortlich, für die er nur Architektinnen beauftragte, darunter Elizabeth Diller, Kazuyo Sejima und die Landschaftsarchitektin Martha Schwartz. 1990 kuratierte er das Programm „Osaka Follies“ für die International Garden and Greenery Exposition in Osaka; zwölf Architekturbüros errichteten Pavillons, darunter Bolles + Wilson, Zaha Hadid, Ryoji Suzuki, Coop Himmelb(l)au und Daniel Libeskind.
Daneben trat er auf zahlreichen Tagungen auf. Wichtig waren vor allem seine Beiträge zu den ANY-Konferenzen der 1990er-Jahre, den damals wichtigsten Foren des internationalen Architekturdiskurses. Seine Texte, die sich mit der japanischen Architekturtradition auseinandersetzen, veröffentlichte Isozaki 2006 unter dem englischen Titel „Japan-ness in architecture“. Sie sind Resultat seiner langjährigen Auseinandersetzung mit der Frage, was spezifisch japanisch an der dortigen Baukultur sei.
Seine Karriere hatte Isozaki beim Übervater der japanischen Architektur des 20. Jahrhunderts begonnen, bei Kenzo Tange, in dessen Atelier er zwischen 1954 und 1963 arbeitete. Nach der Bürogründung entstanden die ersten eigenen Bauprojekte im heimischen Oita auf der Insel Kyushu im Süden des Landes. Wie Tange oder Kunio Maekawa profitierte Isozaki von den Wiederaufbauprogrammen und realisierte unter anderem die Zentralbibliothek der Stadt (1966), eine ingeniöse Struktur aus Sichtbeton, bei der sich die Tragwerke und Raumfolgen in höchst expressiver Weise durchdringen.
In den 1970er-Jahren verabschiedete sich der Architekt von seinen brutalistischen Anfängen und wandte sich vermehrt einem Spiel mit zum Teil ironisch gebrochenen Referenzen zu, die ihn zum einflussreichsten Vertreter der Postmoderne in Japan avancieren ließen. Mit den Tonnendächern der Bibliothek von Kitakyushu (1974) zitierte er Boullées Vision einer Bibliothèque Nationale, in das Projekt des Tsukuba Center Buildings (1983) nördlich von Tokio integrierte er eine Replik des Kapitolplatzes in Rom.
Der unermüdliche Netzwerker und intellektuelle Baukünstler verbindet virtuos Eigenes und Fremdes, Tradition, Konvention und Innovation. Museen werden eines seiner wichtigen Tätigkeitsfelder, aber auch Hallen und Arenen, ob für Sport oder Veranstaltungen. Auch in späten Jahren bleibt er unermüdlich international tätig. Unter seinen zahlreichen Projekten im Mittleren und Fernen Osten ragt das Himalayas Center in Shanghai (2013) hervor, eine dreidimensionale Collage aus höhlenartigen Kavernen, ornamentalen Strukturen und Hochhaustürmen – für eine typisch chinesische Mixtur aus Shopping Mall, Museum und Hotel.
Bei allem Erfolg grundierte die Kindheitserfahrung des kriegszerstörten Japan sein Werk und brach sich immer wieder Bahn in der Darstellung seiner Bauten als Ruinen, etwa des Tsukuba Center Buildings. In der dystopischen Vision „Incubation Process“ von 1962 hielt er fest: „Auch die zukünftigen Städte sind Ruinen. Unsere zeitgenössischen Städte entstehen, um einen flüchtigen Moment lang zu leben. Dann verlieren sie ihre Energie und verwandeln sich wieder in träge Materie.“ Am 28. Dezember 2022 ist Arata Isozaki auf der Insel Okinawa ganz im Süden von Japan gestorben.