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29.05.2020

Kritik im besten Wortsinn

Zum Tod der Architekturjournalistin Karin Leydecker


Manchmal sind es gerade die Nicht-Architekten unter den schreibenden Kolleg*innen, die einen unverstellten Blick auf das Gebaute haben und Inhalte auf besondere Weise vermitteln können. Karin Leydecker war als Kunsthistorikerin eine in der Fach- und Tagespresse hoch geschätzte Autorin. Ende April ist sie im Alter von 66 Jahren verstorben.

Ein Nachruf von Annika Wind

Marktplatz, Hauptstraße, Stadttor – das alles hat Roppenheim. Doch eines fehlt, wenn die Geschäfte schließen. Die Menschen. „Dieses Dorf lebt nur am Tag,“ beschrieb Karin Leydecker 2012 das befremdliche Outlet-Center kurz hinter der deutsch-französischen Grenze in der Süddeutschen Zeitung. „Artifizielle Urbanität“ nannte sie das, was den Besuchern ein Gefühl von „imaginärer Heimat, von Kindheitserinnerung und von Sorglosigkeit“ vermitteln sollte, das allerdings nach einer Weile davon floss, „wie das allgegenwärtige Softeis“ – mit seiner kuriosen Kulissenarchitektur und dem künstlichen See. Wenn Karin Leydecker Architektur beschrieb, dann kam keiner ihrer Texte ohne solche Beobachtungen aus. Es ging natürlich immer um Zeiten und Zuordnungen, aber eben auch um das, was diese Gebäude an Empfindungen auslösten.

Architektur, Umwelt, Mensch – was wie eine einfache Formel klingt, ist im Grunde genommen die immerwährende, komplizierte Gemengelage, in der sich ein Autor mit seinen Beurteilungen bewegt. Kritik im besten Wortsinn – dafür standen Karin Leydeckers Texte, die auch im BauNetz erschienen. Am 27. April 2020 ist die Journalistin verstorben. Und wenn man schreibt, dass sie eine Lücke hinterlassen wird, dann ist das schmerzlich, bitter – und einfach wahr. Denn jahrzehntelang waren ihre Texte, ihre architekturhistorischen und kulturpolitischen Einordnungen, die in der Neuen Zürcher Zeitung, in der F.A.Z., dem Deutschen Architektenblatt, der deutschen bauzeitung oder in den Kultur-Chroniken von Inter Nationes erschienen, eine wichtige Stimme für die Architektur- und Kunstszene nicht nur in der Rhein-Neckar-Region.

Seit Ende der 70er Jahre schon hatte Karin Leydecker ihre manchmal bissigen, immer breit recherchierten Texte veröffentlicht – als freie Autorin. Und nicht selten als einzige Frau in einer Szene, die jahrzehntelang und ganz selbstverständlich von Männern geprägt war. Sie konzipierte Ausstellungen und Kataloge, wie etwa zum Mannheimer Eiermann-Schüler Helmut Striffler, dessen Nachlass das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt übernahm. Sie schrieb an wichtigen Monografien mit, wie etwa über die Frankfurter Jo. Franzke Architekten. Und sie pflegte enge Verbindungen zu Künstlern wie Norbert Nüssle, zur Bildhauerin Vera Röhm oder zu Architekten wie Heinz Mohl, den sie einmal „einen der letzten Großen der Postmoderne“ nannte – und deren Arbeiten sie über viele Jahre mit Texten begleitete.

Studiert hatte sie Germanistik, Kunstgeschichte und evangelische Theologie in Karlsruhe, Mainz und Heidelberg, schließlich promoviert, zuletzt gelebt in Neustadt – im Herzen der Pfalz, die sie so liebte, aber nicht vorbehaltlos: Noch 2018 war eine Ausstellung von ihr über Industriekultur in der Villa Streccius in Landau entstanden, die nicht nur gelungene Weiterentwicklungen präsentierte, sondern eben auch den Verfall eines architekturhistorischen Erbes – etwa des Pfaff-Geländes in Kaiserslautern. Gemeinsam mit Enrico Santifaller brachte sie schließlich einen Architekturführer heraus, der 60 Jahre Baugeschichte in Rheinland-Pfalz beschrieb. Mit denkwürdigem Titel: „Baustelle Heimat“.


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