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26.06.2023
Impulse für die Gathe
Zum Streit um die neue Zentralmoschee in Wuppertal
Die muslimische Gemeinde in Wuppertal möchte eine neue Moschee bauen. Dagegen hat sich Widerstand formiert. Geplant ist nicht nur ein Sakralbau, sondern ein mischgenutztes Ensemble, von dem positive städtebauliche Impulse ausgehen könnten.
Von Klaus Englert
„Wir haben hier die Möglichkeit, etwas Großartiges zu bauen“, meint Cengiz Müjde. Der Kölner Architekt steht im Wuppertaler Stadtviertel Elberfeld an der alten Moschee – einer umgebauten und später erweiterten Klinkerfabrik mit massiv und gedrungen wirkendem Minarett. Die Hauptverkehrsstraße Gathe hat schon einmal bessere Tage erlebt. Nachbar der Moschee war einst das „Marx Engels Zentrum“. Die Marx-Büste und die verblichenen roten Lettern gibt es noch immer, aber darunter prangt die Firmenbezeichnung eines KFZ-Sachverständigen. Angrenzend reihen sich Geschäfte wie „Tatoo 4 you“, „Joy Beauty Salon“, die „Spielhalle“ und der „Waschsalon“. Hier soll also die neue Wuppertaler Zentralmoschee entstehen. Müjde zeigt auf die andere Straßenseite, die nicht weniger trist wirkt: Eine Tankstelle, dahinter ein Parkplatz, der sich auf dem Platz eines abgerissenen Restaurants ausbreitet, daneben das reichlich baufällige, mit Graffiti überzogene Autonome Zentrum (AZ) und die alte Feuerwache. Mustafa Temizer, Vorstandsmitglied des Wuppertaler Ditib, spricht von der „Spielhöllen-Meile“.
Dass die Gathe enormen Entwicklungsbedarf hat, ist sicherlich jedem Wuppertaler klar. Wahrscheinlich selbst den Mitgliedern des linken Autonomen Zentrums. Doch diese opponieren gegen die Mitglieder der Ditib-Moschee und vor allem gegen die Neubaupläne von Müjde, der von der islamischen Gemeinde mit dem Entwurf der Moschee beauftragt wurde. Grund ist, dass das Autonome Zentrum, wenngleich nicht ohne Ersatz, dem Neubau weichen soll. Deswegen startete das AZ ein Bürgerbegehren mit dem Motto „Gathe für alle! Gegen die Ditibisierung und Erdoganisierung der Welt!“ Dem folgte wenig später die FAZ-Kolumnistin Ronya Othmann, die an Erdogans Ausspruch „Die Moscheen sind unsere Kasernen, die Minarette unsere Bajonette, die Kuppeln unsere Helme und die Gläubigen unsere Soldaten.“ erinnerte. Das kam in der Wuppertaler Bevölkerung nicht gut an.
Der Wuppertaler Stadtrat musste im März entscheiden, ob er der hiesigen Ditib vertrauen und auf das enorme städtebauliche Potential setzen sollte, das mit dem Projekt verbunden ist. Denn die Gemeinde möchte hier nicht nur einen Sakralbau errichten, sondern die Hälfte des Baublocks zwischen Gathe, Ludwigstraße, Neue Friedrichstraße und Markomannenstraße zu einem mischgenutzten Ensemble entwickeln. Insgesamt geht es in der aktuell diskutierten Machbarkeitsstudie um knapp 9.700 Quadratmeter Bruttogrundfläche und rund 4.200 Quadratmeter Außenanlagenfläche. Die eigentliche Moschee umfasst dabei nur 3.200 Quadratmeter BGF. Sie soll in der Mitte einer großzügigen Platzanlage stehen, die wiederum von Neubauten gerahmt wird, in denen unter anderem Einzelhandel, betreutes Wohnen und eine Kita vorgesehen sind. Der Stadtrat stimmte mehrheitlich für die Machbarkeitsstudie, allerdings mit einem Ergänzungsantrag von CDU, SPD und FDP, der die „Öffnung der sozialen und gewerblichen Baukörper für alle Bevölkerungsgruppen“ fordert.
Mittlerweile liegen die Pläne von Müjde vor, der in der Nachbarschaft aufwuchs und heute das Büro Net Bau in Köln betreibt, das sich auf die Entwicklung von Moscheen und Gemeindehäusern spezialisiert hat. Aus der Medienlandschaft berichteten zunächst das Domradio der Kölner Erzdiözese, dann die Jungle World, schließlich Bild und FAZ. Wie nicht anders zu erwarten, gab es reichlich Kritik an dem Projekt, da die Ditib-Gemeinde (wie rund 900 Moschee-Gemeinden in Deutschland), der staatlichen türkischen Religionsbehörde Diyanet untersteht. Der Stadtrat folgte jedoch den Ditib-Kritikern nicht, sondern formulierte einen Zielbeschluss, wonach die Stadtverwaltung einen rechtsverbindlichen städtebaulichen Vertrag mit der türkisch-islamischen Gemeinde schließen solle. Der besagt: Es dürfen keine öffentlichen Gelder für das Projekt fließen, lediglich ein kleineres kommunales Grundstück wird der Gemeinde übereignet, damit das Baufeld komplett ist.
Die mediale Resonanz auf den Entwurf von Net Bau war recht spärlich. Dabei ist der Entwurf moderner als Paul Böhms zentrale Ditib-Moschee in Köln, ganz zu schweigen von der Mehrzahl der bestehenden Moscheebauten in Deutschland. Das hängt sicherlich damit zusammen, dass Müjde niemals in der Türkei gelebt hat und das typologische, für die spätere islamische Sakralarchitektur bis heute prägende Vorbild der Istanbuler Blauen Moschee als bedeutungslos erachtet. Müjde studierte an der Bergischen Universität Wuppertal unter anderem bei dem Moderne-Spezialisten Frank R. Werner, arbeitete später im Dortmunder Büro von Gerber Architekten und orientierte sich an der Architektur eines Toyo Ito. Die Leichtigkeit japanischer Architektur ist in seinem Entwurf zweifellos ablesbar. Über das spielerisch filigrane Minarett und die von außen kaum sichtbare Kuppel dürfte so manches Gemeindemitglied die Nase gerümpft haben. Doch das eigentliche Plus für die Gathe liegt in der klar akzentuierten städtebaulichen Setzung: Die Moschee ist in einen Platz mit Freitreppe und den transparent gehaltenen, öffentlichen Gebäudeteil eingebettet. Nur der Sakralbereich wirkt geschlossen.
Die städtebauliche Geste signalisiert, dass sich die Gemeinde keineswegs abschotten will. Im alten Moschee-Teehaus neben dem Atatürk-Porträt benennt Müjde die fünf Bausteine, auf denen sich das Ensemble errichten wird: Bildung, Religion, Kultur & Freizeit, Dienstleistungen & Einzelhandel und Wohnen. Ob das Wuppertaler Moscheezentrum – anders als etwa die Düsseldorfer Zentralmoschee, die sich baulich und atmosphärisch ziemlich abgeschlossen zeigt und deren Gemeinde nur wenig Kontakt zur nicht-muslimischen Nachbarschaft sucht – die berühmte Ausnahme sein wird, kann nur die Zukunft zeigen. Eine Chance hat der mutige Entwurf von Cengiz Müjde auf jeden Fall verdient.
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