Die Berliner Staatsbibliothek Unter den Linden hat nach langer Planungszeit ein kleines Bibliotheksmuseum eröffnet. Unser Autor rät mit Nachdruck zum häufigen Besuch der von Astrid Bornheim gestalteten Ausstellungsräume, blickt aber auch kritisch auf Konzeption und Umsetzung.
Von Nikolaus Bernau
Die Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz gilt mit der Münchner Bayrischen Staatsbibliothek als die bedeutendste deutsche Wissenschaftsbibliothek und als eine der wichtigsten der Welt. Umso verwunderlicher, dass erst jetzt ein Bibliotheksmuseum eröffnet wurde: das Stabi Kulturwerk. Den Begriff hatte der neue Generaldirektor der Staatsbibliothek Achim Bonte durchgesetzt um auf die erhoffte, die Medienwelt insgesamt, die Forschung und die Breitenbildung verbindende Aktivität hinzudeuten.
Entstanden sind die neuen Ausstellungsräume im Sockel jenes gewaltigen, nach den Plänen von HG Merz Architekten (Berlin/Stuttgart) entstandenen neuen Lesesaalkubus, der für durchaus atemberaubende 84 Millionen Euro in das Zentrum der Alten Staatsbibliothek gewuchtet wurde. Atemberaubend vor allem deswegen, weil hier nur etwa 120.000 Bände in der Freihandbibliothek Platz finden und etwa 250 neue Arbeitsplätze entstanden. Zum Vergleich: Direkt nebenan hatte die Humboldt-Universität für fast das gleiche Geld das Grimm-Zentrum für 4,5 Millionen Bände sowie 1.200 Arbeitsplätze für Student*innen errichten sollen – ein Musterbeispiel dafür, wie sich auch im Kulturbau soziale Hierarchien niederschlagen können. Diesen gewann die Architektin Astrid Bornheim (Berlin) zusammen mit Ralf Kunze und Andreas Oevermann des ehemaligen Büros dko Architekten (Berlin), dessen Inhaber seit 2011 getrennte Wege gehen. Die Umsetzung erfolgte durch buerozentral.architekten (ebenfalls Berlin). Es dauerte 13 Jahre, bis diese Räume nun bezogen und übergeben werden konnten.
Gleich einer Krypta
Zur Eröffnung am 13. Juli 2022 präsentiert sich das Kulturwerk als geradezu klassisches Bibliothekmuseum, geprägt von erlesenen Drucken und Büchern, Handschriften und Autographen, historisch gewordenen Fotografien oder Plakaten. Tiefes Schwarz empfängt nach dem strahlenden Weiß der Eingangszone die Besucher*innen. Unwillkürlich wird die Stimme gesenkt, man muss langsam gehen, um sich nicht an den kantigen schwarzen Vitrinen oder eventuell herausstehenden Schubladen zu stoßen. Die Stimmung gleicht der in einer Kirchenkrypta, in der Reliquien vergangener Zeiten verehrt werden sollen. Die Kostbarkeiten der Sammlung strahlen aus dem Dunkel heraus. Entlang des Hauptgangs wird die Geschichte der Staatsbibliothek seit der Gründung der Brandenburgisch-Kurfürstlichen Bibliothek 1659 anhand ihrer Bauten skizziert, vom Apothekerflügel bis zur 1979 eingeweihten Neuen Staatsbibliothek am Kulturforum und eben der nun weitgehend abgeschlossenen Sanierung des Baus Unter den Linden.
Was verschwiegen wird
Besonders kritisch oder gar selbstkritisch ist diese Ausstellung nicht: Dass die Staatsbibliothek sich blitzschnell in den Machtapparat der Nazis integrierte, ihre als Juden verfolgten Mitarbeiter, Mäzene und Leser*innen schamlos im Stich ließ, dass sie die Zentralstelle für die Bewertung und Verteilung fliehender oder ermordeter Juden und insbesondere in Mittel- und Osteuropa geraubter Bücher und Archivalien war, und nach dem Krieg eifrig an der Ausplünderung derjenigen beteiligt war, die in der Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR enteignet wurden – all das erfährt man bestenfalls am Rand. Zwar ist das dramatische Tagebuch des ehemaligen Direktors Hugo Andres Krüß zu sehen, in dem die letzten Kriegstage und die Auslagerung der Bestände geschildert werden. Dass dieser Direktor sich aber bei Kriegsende in der Staatsbibliothek erschoss, in Verzweiflung über das Ende des Dritten und des Deutschen Reichs und den Untergang seiner Bibliothek, wird verschwiegen.
Ebenso, dass die DDR zwar am Gesamtwiederaufbau scheiterte, aber durchaus einen Beitrag zur Bibliotheksdesigngeschichte geliefert hatte: Der 1967 im International Style eingerichtete Musikhistorische Saal war auch ein Denkmal der generösen Rückgabe des größten Teils der Musikaliensammlung durch die damalige Volksrepublik Polen. Entgegen der Behauptung, dass in der Staatsbibliothek die „Schichten der Geschichte“ sichtbar bleiben sollten, wurde dieses wertvolle Interieur, ebenso wie der ideologisch hoch aufgeladene Gesellschaftswissenschaftliche Lesesaal, ohne Not der Neugestaltung von HG Merz geopfert – eine Entscheidung, die heute sicherlich anders aussehen würde.
Strahlende Schätze bei 50 Lux
Die Schätze der Staatsbibliothek entfalten sich in dem irrgartengleich geordneten Vitrinenabschnitt links des Hauptgangs. Die Musikaliensammlung der preußischen Prinzessin Anna Amalia und die Autographensammlung Ludwig Darmstaedters, kostbare Landkarten, die grauenhaft faszinierenden Kriegsdokumentationen, die 1914 und 1939 sofort begonnen worden waren, die einzigartige Zeitungssammlung und diejenige der Kinderbücher, die seit DDR-Zeiten entstanden ist: Es ist eine Lust, hier zu wandeln. Da findet sich eine kleine Dokumentation zur Geschichte des Schandparagraphen 175, den die DDR schon 1968, die vereinte Bundesrepublik erst 1994 abschaffte zugunsten eines für Hetero- wie Homo- und sonstig -sexuelle gemeinsamen Jugendschutzalters, oder die Ostasiensammlung, die zeigt, wie sehr man in Preußen im 17. und 18. Jahrhundert fasziniert war von China und Japan.
Man kann die tief beeindruckende Inszenierung bei 50 Lux als Versenkungs- und Meditationshilfe verstehen; so die Interpretation, die Dunkelmuseen bereits in den 1960er und 1970erJahren entgegen gebracht wurde, als sie etwa durch Fritz Bornemanns Museum für Indische Kunst in Berlin-Dahlem zum weltweit nachgeahmten Modell wurden. Jedoch ästhetisiert diese Inszenierung die historisch gewordenen Kulturgüter radikal, droht sie aus der Geschichte herauszulösen damit vor allem einer Bildungselite zugänglich zu machen. Genau deswegen verfolgt das Kulturwerk eine ausgefeilte didaktische Strategie, vor allem auf QR-Codes und Handy aufbauend. Es lohnt sich, diese Webseiten zu öffnen: Sie weisen wenigstens ansatzweise einen Weg in die Welt der Forschung an und mit den Schätzen dieser Bibliothek – von denen die größten im Tresorraum im Tiefgeschoss zu sehen sind.
Im Allerheiligsten
Der Tresorraum ist das Allerheiligste, derzeit mit Bachs H-Moll-Messe in der Hauptachse, daneben eine der fünf erhaltenen Gutenberg-Bibeln, eine Handschrift des japanischen Romans über die Geschichte des Prinzen Genji, ein gedrucktes Astrolabium und die Hundshagensche Handschrift des Nibelungenlieds. Warum hier wieder nur eine zwar im Plan gut aussehende, aber für Menschen mit Gehbehinderung nur schwer nutzbare Rundtreppe eingebaut wurde, die einen zylinderartigen Aufzug umfasst, bleibt rätselhaft. Denn hier unten wird deutlich, was die Staatsbibliothek neben ihrer Funktion als Wissensspeicher auch ist: ein Schatzhaus. Zum häufigen Besuch dringend empfohlen – die Objekte werden etwa alle drei Monate ausgewechselt.
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