Eine Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen ist grundsätzlich möglich. Zu diesem Ergebnis kommt die vom Berliner Senat mit der juristischen Prüfung beauftragte Kommission. Gestern legte sie im Roten Rathaus ihren Abschlussbericht vor und erklärte die ganze verfassungsrechtliche Tragweite der Sache. Das ist auch für andere Länder und Kommunen interessant.
Von Friederike Meyer
Wir erinnern uns: Im erfolgreichen Berliner Volksentscheid vom 26. September 2021 ging es um einen Auftrag an den Senat. Er sollte einen Gesetzentwurf zur Vergesellschaftung der Wohnungsbestände großer Wohnungsunternehmen (mit mehr als 3000 Wohnungen) erarbeiten. Das Ziel der Initiative: Die Mietpreisspirale stoppen und mehr bezahlbaren Wohnraum für die Bewohner*innen sichern. Doch im damaligen rot-grün-roten Senat gab es Bedenken: Wird der Auftrag des Volksentscheids vor dem Grundgesetz bestehen? Hat das Land Berlin in diesem Fall überhaupt Gesetzgebungskompetenz? Und wenn ja, welche juristischen Rahmenbedingungen sind relevant?
Zwar ist eine Vergesellschaftung im Grundgesetz Artikel 15 aufgeführt, doch mit seiner Anwendung in Form eines Gesetzentwurfs betritt Berlin bundesweit Neuland. Deshalb setzte der Senat im März 2022 eine Expertenkommission ein. Diese sollte prüfen, ob die Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne rechtssicher umgesetzt werden kann. Zehn Professor*innen deutscher Hochschulen, eine Bänkerin und ein Bundesverfassungsrichter waren benannt, den Vorsitz übernahm die frühere Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin.
Auf der gestrigen Pressekonferenz wurde vor allem deutlich: Die Komplexität der Thematik birgt die Gefahr, dass einzelne Begriffe und Aspekte in der kontrovers geführten, öffentlichen Debatte schnell durcheinander geraten können. So stellten Florian Rödl von der FU Berlin, der ehemalige Bundesverfassungsrichter Michael Eichberger und Herta Däubler-Gmelin gegenüber den Journalist*innen zunächst klar, dass die Kommission die Aufgabe hatte, den Sachverhalt aus Sicht des Verfassungsrechts zu prüfen und explizit keine politische Stellungnahme oder Einschätzungen zur Umsetzbarkeit abzugeben. Außerdem wiesen sie daraufhin, dass Vergesellschaftung und Enteignung juristisch gesehen zwei verschiedene Dinge sind.
Sie betonten, dass eine Vergesellschaftung von Grund und Boden per Gesetz erfolgen müsse und nicht der Verwaltung überlassen bleiben dürfe. Hierbei liege die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern, solange der Bund kein Gesetz erlassen hat. Zwar seien sich alle Kommissionsmitglieder einig darüber, dass eine Vergesellschaftung grundsätzlich möglich sei. Über die Anforderungen, unter anderem die Frage der Verhältnismäßigkeitsprüfung und Entschädigung, gäbe es aber unterschiedliche Auffassungen. Diese sind im 153-seitigen Abschlussbericht als Sondervoten und Stellungnahmen aufgeführt.
Kritik kommt erwartungsgemäß aus der Wohnungswirtschaft. Oliver Wittke vom ZIA Zentraler Immobilienausschuss e.V. sagte gestern gegenüber dem rbb, er bezweifle die Unabhängigkeit der Kommission, die damals vom rot-grün-roten Senat eingesetzt wurde. Sie sei nicht überparteilich, sondern sehr einseitig besetzt. Er befürwortet, dass der neue Senat den Sachverhalt dem Bundesverfassungsgericht zu einer objektiven Klärung vorlegt. Der BBU Bundesverband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V. erklärt, dass auf das Land Berlin „Entschädigungskosten von bis zu zwischen 29 und 36 Milliarden Euro zukommen“ würden. Im Bericht sieht er einen „weiteren gravierenden Zeitverlust für eine auf Neubau ausgerichtete Wohnungspolitik sowie sinkende Investitionen in den dringend notwendigen Neubau und Klimaschutz.“
Wie es nun weitergehen soll, erklärte Berlins Stadtentwicklungssenator Christian Gaebler (SPD) gestern in der rbb-Abendschau: Man werde in diesem Jahr mit der Arbeit am Gesetz anfangen. Man wolle, wie es im alten wie neuen Koalitionsvertrag vereinbart sei, ein Vergesellschaftungsrahmengesetz erarbeiten und parallel dazu ein Umsetzungsgesetz für den Bereich Wohnungswesen. Dieses Vorgehen wiederum kritisieren manche als Verschleppungstaktik, die nicht gerade den Eindruck erwecke, der Senat wolle wirklich ein Gesetz verabschieden. Hierzu heißt es vom Berliner Mieterverein: „Wenn die Regierung jetzt versucht, diesen Auftrag zu ignorieren, gefährdet sie das Vertrauen in die Demokratie. Wenn wir nicht wollen, dass sich der Eindruck vertieft, dass die Privatinteressen der Wohnungskonzerne über dem Willen der Mehrheit stehen, muss die Vergesellschaftung jetzt umgesetzt werden.“
Auf den ersten Blick hat das alles wenig mit der Arbeit von Architekt*innen zu tun. Doch wie bereits ein offener Brief deutlich machte, geht es hierbei nicht nur um juristische Feinheiten und ihre möglichen Auswirkungen, sondern um eine Grundsatzfrage der Daseinsfürsorge, die im Planungsalltag längst allgegenwärtig ist: Wann hat Gemeinnutz Vorrang vor Privatnutz und wenn ja, in welchem Umfang und zu welchen Kosten. In diesem Sinne ist die Debatte viel mehr als eine Notiz aus der politisch tief gespaltenen Hauptstadt. Sie sollte uns alle beschäftigen.
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mehmet | 30.06.2023 14:44 Uhrtoll! klasse! super!
klasse, gut so, der erste schritt, dass das Spielcasino in Berlin mal etwas gebremst wird. Sollen die Entwickler doch auch mal geschreckt werden, na und? Bauen kann man sowieso nichts wenn Grundstücke 10x verkauft werden und dann so teuer sind, dass eine Wohnnutzung ohnehin nicht mehr möglich ist. ....und Enteignung steht ohnehin bereits längst im BauGB §176, dort steht lange schon, dass Grundstücksspekulation verboten ist, dass es ein Baugebot gibt und wer dies nicht erfüllt, dem wird es wieder weggenommen, zum ursprünglichen Preis. Also am Ende wird hier eher bestehendes Gesetz endlich mal angewendet, als was völlig neues probiert!