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15.12.2016

Bau und Überbau

Zum Haus der Kunst München


Das Haus der Kunst an der Münchner Prinzregentenstraße hat eine belastete Geschichte. Unter persönlicher Anteilnahme Adolf Hitlers von Paul Ludwig Troost entworfen und 1937 eingeweiht, war es der erste repräsentative Monumentalbau des Dritten Reiches und diente als Propagandainstrument der Nationalsozialisten. Heute ist das Haus der Kunst eine Ausstellungshalle, die sich einer kritischen Untersuchung der Geschichte der zeitgenössischen Kunst verpflichtet hat. Trotz seiner institutionellen Ummünzung sorgt der schwierige Bau aktuell für Diskussionen. Die geplante Grundinstandsetzung durch das Büro David Chipperfield Architects wirft gravierende Fragen auf: Braucht eine souveräne Demokratie den symbolischen Bruch mit ihrer schweren Vergangenheit oder kann und sollte sie sogar unverfälscht aufzeigen, was einmal war und nie mehr sein sollte?

Von Dina Dorothea Falbe


Eindrückliche Bilder von Studentenentwürfen zum Haus der Kunst in München illustrieren in der Süddeutschen Zeitung eine Kritik an der Herangehensweise des Büros David Chipperfield Architects. Der Autor des „Weckrufes“ Gerhard Matzig hält einen dezidierten Eingriff in die Nazi-Architektur für nötig, um den Bau zu „demokratisieren“. Die bedrohliche Nazi-Architektur müsse durch den Eingriff gebrochen und symbolisch besiegt werden. Der britische Architekt selbst hatte 2013 nach der Beauftragung mit der Instandsetzung über das Haus der Kunst erklärt: „Man sollte es der Stadt zurückgeben. Es stellt heute keine Bedrohung mehr dar“.

Das Büro war nach einem VOF-Verfahren vom Freistaat Bayern beauftragt worden. Dieser Planungsauftrag fordert keinen Umbau, sondern eine „denkmalpflegerische Grundinstandsetzung“ mit minimalen „Anpassungen an heutige Anforderungen an ein Ausstellungsgebäude“, erklärt Projektleiter Martin Reichert. Zu diesen Anforderungen gehört auch eine breitere Nutzungspalette. So wurde im Einvernehmen mit dem Bauherrn und Nutzer ein Konzept entwickelt, das neben einer offenen Bühne für vielfältige Veranstaltungen im Westflügel auch Gastronomie und eine Umwidmung von Büroräumen für die Kunstbuchhandlung und kleine Galerien vorsieht. Die in den Studentenentwüfen thematisierte Öffnung der zentralen Halle planen auf subtilere Weise auch die Architekten.

Zwar gibt es zu den Instandsetzungsmaßnahmen, die bei laufendem Betrieb durchgeführt werden sollen, noch keine konkrete, zusammenhängende Planung, man habe sich jedoch „parallel zu den planungsvorbereitenden Studien sehr ausführlich mit dem Baudenkmal beschäftigt“. Dabei ergab sich, dass das Haus der Kunst wie „Kaum ein anderes Gebäude dieses Ranges so umfassend in allen Facetten bis hin zur Möblierung und Haustechnik erhalten“ ist. Die Architekten fühlen sich daher dem „hohen Zeugniswert“ der „authentischen Überlieferung“ verpflichtet.

Die Kritik in der Süddeutschen Zeitung bietet einen Anknüpfungspunkt für einen wichtigen Diskurs, der über das Thema des Umgangs mit dem Erbe der NS-Architektur hinausgeht. Der Autor geht davon aus, dass sich die politische Ausrichtung einer Gesellschaft eindeutig durch ein architektonisches Zeichen ausdrücken ließe. Dass die monumentale Ausformung einer Architektur wie das Haus des Kunst den Zweck verfolgte, einen herrschaftslegitimierenden Mythos zu repräsentieren, ist bekannt. Seit der Kritik am „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ wird allerdings auch klar, dass das Narrativ der unbelasteten modernen Formensprache ebenfalls als ein zu hinterfragender Mythos angesehen werden kann.

Im kürzlich erschienenen Buch zur NS-Architektur „Monumente der Macht“ zeigt Christian Welzbacher, dass die politische Indienstnahme einer Architektursprache nicht nur in der DDR zwischen „Zuckerbäckerstil“ und moderner „sozialistischer“ Architektur willkürlich konstruiert ist. Am Beispiel der 1949 von Hans Schwippert zum Parlamentshaus der Bundesrepublik erweiterten Pädagogischen Hochschule in Bonn wird deutlich, dass auch in der Bundesrepublik Umdeutungen stattfanden. Der neusachliche Ursprungsbau war keineswegs im „Bauhausstil“, sondern in der progressiven preußischen Hochbauverwaltung unter ihrem damaligen Leiter Martin Kießling entstanden.

Angesichts der aktuellen politischen Entwicklung mag man sich wünschen, die Demokratie würde durch Architektur für sich „werben“. Dass die Mehrzahl der Bundesbauten keine eigenständige symbolpolitische Botschaft vermittelt, ist allerdings insofern konsequent, dass sie sich damit von der mythischen Überhöhung abgrenzt, die in die nationalsozialistische Architektur eingeschrieben wurde. Der Philosoph Odo Marquard erkennt in der Ablösung des „Mono-Mythos“ durch mehrere koexistente gesellschaftliche „Mythen“ die Grundlage einer gelebten Demokratie, denn sie ermöglicht erst die Gewaltenteilung.

Eine theoretische Auseinandersetzung mit der Nachkriegsmoderne im geteilten Deutschland, „welche die Beziehung zwischen der Kunst und ihren materiellen und sozialen Bedingungen wissenschaftlich zu begründen“ vermocht hätte – zu diesem Schluss kommt Welzbacher –blieb bisher weitgehend aus. Wichtige Denkmalpflege- und Rekonstruktionsprojekte sind derzeit im Gange und lassen eine offene, grundsätzliche Diskussion zum baulichen Erbe lange überfällig erscheinen.

David Chipperfield
trägt durch seine architektonische Praxis zu einem solchen Diskurs bei. Ein sensibler, objektspezifischer Umgang mit ganz unterschiedlichen baulichen Zeugnissen deutscher Geschichte zeichnet die Projekte des Büros aus. Er selbst äußerte sich kritisch zu der Vorgehensweise beim Abriss des Palastes der Republik, obwohl er das Gebäude als „städtebaulich nicht gut“ beschrieb. Welzbacher weist darauf hin, dass das Gebäude trotz seiner ideologischen Aufladung insofern „demokratisch“ war, dass es durch seine funktionale Organisation quasi „den Bewohnern des Ortes gehörte“. Wie Hermann Henselmann 1992 sagte: „Die Bauwerke, die ein Architekt erdacht hat, gehören in einer Demokratie den Bewohnern des Ortes.“ Der Fernsehturm am Alexanderplatz zum Beispiel, konnte sich durch seine Popularität einen Platz im Berliner Stadtbild sichern.

Chipperfields Aussage zum Haus der Kunst „Man sollte es der Stadt zurückgeben.“ spricht einen Aspekt an, den Christian Welzbacher als „Entkoppelung von Bau und Überbau“ bezeichnet. Der bauliche Eingriff darf in der Demokratie nicht vorrangig der Machtdemonstration des Staates dienen, sondern dem Bürger. Die Nutzung des Hauses der Kunst, das Chipperfield als „kulturelles Schlachtfeld“ bezeichnete, fördert mit der kulturellen Arbeit unter Direktor Okwui Enwezor den Diskurs über aktuelle gesellschaftliche Werte und damit das demokratische Leben.

Das Gebäude in seiner umfassend erhaltenen Originalstruktur zu belassen, eröffnet auch kommenden Generationen die Möglichkeit, sich ein eigenes Bild von diesem geschichtlichen Zeugnis zu machen. „Nürnberg und Dresden können nicht die Matrize für den Umgang mit jedem Bauwerk des Dritten Reiches sein“, meint Martin Reichert von David Chipperfield Architects. Die denkmalpflegerische Auseinandersetzung der Architekten mit dem Bau begründet sich aus den spezifischen Gegebenheiten des Ortes und ist somit als eigenständiger Beitrag zur Vielfalt der möglichen Auseinandersetzungen mit dem Thema zu sehen.

Carl Zuckmayer warnte 1949 davor, die Demokratie zum „Pflichtfach“ zu machen, bevor sie gelebt würde, denn „wer einmal den Zusammenbruch eines gepredigten Ideals gesehen hat, ist gegenüber allen gepredigten Idealen mißtrauisch.“ An die Stelle einer „ewig gültigen Wahrheit“ sollte immer wieder der aktive Diskurs treten. Dieser ist nötig, wenn man in München „zu allem, was die NS-Zeit anbelangte über alle Parteien hinweg gemütlich ein Schweigekartell pflegte“, wie Kultusminister Ludwig Spaenle sagt. Das Haus der Kunst sollte sich davor künftig nicht mehr verstecken. Angst ist bekanntlich ein Feind der Freiheit. Was könnte die Demokratie besser stärken, als die selbstbewusste Aussage: Dieser Nazi-Bau „stellt heute keine Bedrohung mehr dar“?


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