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07.06.2024

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Forschendes Lernen und Lehren

Zum 90. Geburtstag von Thomas Sieverts


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Von Annette Rudolph-Cleff

Am morgigen 8. Juni wird Thomas Sieverts 90 Jahre alt. Als Architekt, Stadtplaner und Hochschullehrer hat er große Spuren hinterlassen und mit seinen Fragen zu den Zukunftsaufgaben von Architektur und Städtebau ganze Generationen geprägt. Die Suche nach grundlegenden Antworten im Forschen und Entwerfen im Kontext von Klimawandel und Anthropozän treibt ihn bis heute an. Sein Werk ist im Rückblick ebenso beeindruckend wie vorausschauend. Eine Rückschau wird ihm daher kaum gerecht, denn für ihn steht die Auseinandersetzung mit den aktuellen Aufgaben von Architektur und Städtebau weiterhin im Vordergrund.

Inmitten einer verhärteten Debatte über die europäische Stadt Mitte der 1990er Jahre stellte Sieverts am Wissenschaftskolleg Berlin die richtigen Fragen über die fortschreitende Entwicklung unserer Stadtlandschaften. Sein Buch Zwischenstadt. Zwischen Ort und Welt, Raum und Zeit, Stadt und Land hat den Blick für die Ausdifferenzierung unserer Städte und Kulturlandschaften geöffnet. Als „ungehobener Schatz“ (Jörg Heiler) hat das Buch auch 27 Jahre nach seinem Erscheinen nichts an Aktualität verloren. Im Gegenteil: Die gestellten Fragen zur Entwicklung unserer gebauten Lebenswelt sind drängender denn je. Zugleich wird aber hinter der scharfsinnigen Analyse städtischer Realitäten auch der Gestaltungswille spürbar, der Sieverts als Architekten und Stadtplaner auszeichnet und als Hochschullehrer begleitet hat.

Wie Qualitätsziele für die Entwicklung unserer Städte und Regionen zu vereinbaren sind, an denen sich die Einzelprojekte orientieren, hat er zusammen mit Karl Ganser in der IBA Emscher Park gezeigt. Nach all den gescheiterten städtebaulichen Leitbildern und dem postmodernen Laissez-faire war dies ein Aufbruch in eine neue Planungskultur, die nicht die Planung von Projekten, sondern die Planung von Prozessen in den Mittelpunkt stellte.

Die mutige Auseinandersetzung mit der Region an der Ruhr ist bis heute beispielgebend. In der Zusammenarbeit mit Egbert Kossak in der Freien Planungsgruppe Berlin ab Mitte der 1960er Jahre und später erweitert in S.K.A.T. Architekten + Stadtplaner (seit 2000) entstanden viele architektonische und städtebauliche Projekte, die sich mit der Konversion von Industriebrachen (wie dem Bochumer Westpark und der Zeche Nordstern in Gelsenkirchen) sowie der Sanierung von Wohnanlagen der Nachkriegsmoderne (wie in Ingolstadt, Berlin-Karow und Bonn-Dransdorf) beschäftigten. Sicherlich keine gefälligen Aufgaben, die sich in Hochglanzbroschüren wiederfinden – sondern genau die Aufgaben, die unseren städtischen Alltag betreffen und den sozioökonomischen Wandel begleiten. Darin liegt auch die Parallelität von gebautem und akademischen Werk: Sieverts Arbeit ist immer der sozialen Realität verpflichtet.

Seine Arbeit als Hochschullehrer im „forschenden Lernen und Lehren“ ist ihm bis heute wichtig, weil er die offene Diskussion, das Experimentieren und die Kraft vorausschauender Bilder schätzt. Über Stationen an der Hochschule der Bildenden Künste in Berlin und der Harvard University kam er an die Technische Universität Darmstadt, wo er von 1971 bis 1999 arbeitete. Nach einer Demonstration in Berlin verhaftet, wurde er von den Studierenden der TU Darmstadt mit offenen Armen empfangen. Und er enttäuschte ihre Erwartungen keine Minute! Unter den Augen der alten Autoritäten zeigte er, wie sich mit einer offenen Universität und neuen Konzepten in Planungspraxis- und theorie der Respekt der Studierenden gewinnen lässt.

Werner Durth, der Sieverts als Student kennenlernte und ihm bis heute als Kollege und enger Freund verbunden ist, erinnerte sich in seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Fritz-Schumacher-Preises des Hamburger Senats an den Spitznamen „Tom Prima“, den ihm die Studierenden gaben, weil er zunächst die guten Ansätze in den Entwürfen lobte, bevor er kritische Empfehlungen zur Weiterentwicklung der Arbeiten gab.

Bis heute sind die Spuren von Sieverts an der TU Darmstadt sichtbar: Der Verzicht auf ein eigenes Fachgebiet und der Zusammenschluss in der Fachgruppe Stadt prägen noch immer die Teamarbeit in Forschung und Lehre. Das Ziel, mit den Entwurfsaufgaben auch die Diskussion über die Zukunftsaufgaben in Architektur und Städtebau zu verbinden, ist ein Credo des Fachbereichs. Dass Sieverts nichts von seiner akademischen Neugier und pädagogischen Sensibilität eingebüßt hat, konnten wir in den letzten Jahren mit eigenen Augen sehen, als er Entwürfe begleitete und noch vor den Studierenden die Entwurfsziele kritisch hinterfragte.

Sieverts ist ein Vorbild, wie im Umgang mit (ehemaligen) Studierenden, Kolleginnen und Kollegen schnell deutlich wird. Mit Charme und Scharfsinn begeisterte er auch bei der Verleihung der BDA-Ehrenmitgliedschaft in Würdigung seines Lebenswerkes im Mai 2024. Viele Kolleg*innen hatten ihr Exemplar der Zwischenstadt mitgebracht, um es von ihm signieren zu lassen.

Lieber Tom Sieverts, wir sind dankbar für die spannenden Diskussionen über unsere Zwischenstädte und über die Herausforderungen in unserer Disziplin. Wir wünschen Gesundheit und anhaltende Neugier auf die Zukunftsfragen von Architektur und Städtebau – und freuen uns auf den weiteren Dialog!


Kommentare

2

Udo Weilacher | 21.06.2024 19:22 Uhr

Forschendes Lernen und Lehren

Herzlichen Dank, Annette Rudolph-Cleff, für diesen klugen Beitrag über einen inspirierenden Lehrer und Kollegen, der auch für die Landschaftsarchitektur richtungsweisende Arbeit in Forschung und Lehre geleistet hat.

Sieverts hat viele Landschaftsarchitektinnen und -architekten dazu ermutigt, Landschaft nicht als "Restraum zwischen Städten" zu betrachten sondern als wichtiges Trägermedium städtischer Entwicklung zu erkennen und mutig zu entwicklen - ganz im Sinne von Walter Rossow "Die Landschaft ist das Gesetz". Herzlichen Dank, lieber Tom und Glückwunsch!

1

... | 07.06.2024 17:13 Uhr

gratuliere

mit sieverts läßt sich empirisch und gesellschaftstheoretisch fundiert über städte im hier und heute nachdenken ohne sich in nostalgischen betrachtungen, neoliberalem stadtmarketingsprech oder revisionistischen hinwendungen zum scheinbar unverfänglichen schönen zu verlieren. "zwischenstadt" war mein persönlicher türöffner zur urbanistik, als in deutschland populistische lochfassaden-architektur als stadtbaukunst verklärt wurde. danke dafür.

 
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