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12.08.2022
Avantgardistischer Entwicklungshelfer
Zum 90. Geburtstag von Peter Eisenman
Von Nikolaus Bernau
Das Holocaust-Mahnmal in Berlin gehört zu jenen Orten der Hauptstadt, die man gesehen haben muss – der Erinnerung wegen, aber sicherlich auch als Kunstwerk. Mit seinen 2.700 zwar streng gereihten, jedoch in der Höhe variierenden Quadern bleibt der Eindruck unvergesslich. Das Hauptwerk des amerikanischen Architekten Peter Eisenman kann bis heute wütende Debatten über den Sinn und Nicht-Sinn von Architektur und öffentlicher Kunst auslösen, über die Frage, was Würde bedeutet: Dürfen Kinder zwischen diesen Stelen Versteck spielen? Gar von einer zur anderen springen? Eisenman war da immer denkbar offen, sah und sieht wohl den Umgang mit dieser Riesenanlage als Teil des Kunstwerks, als Teil der Architektur. So wie er auch alle Assoziationen und Interpretationen zuließ: Jüdischer Friedhof in Prag, jungsteinzeitliches Megalithfeld, Soldatenfriedhof, abstraktes Spiel mit Licht und Schatten...
Gestern wurde Peter Eisenman 90 Jahre alt. Die FAZ bezeichnete ihn einmal als den Entwicklungshelfer der neueren Architektur, zeitweilig galt er als einer der berüchtigten „Stararchitekten“. Doch im Unterschied etwa zu Zaha Hadid, die einen eindeutigen Stil aus ihren gezeichneten Kunstwerken destillierte, oder Daniel Libeskind, der seine Zackenarchitektur zum kommerziell durchaus erfolgreichen Markenzeichen machte, blieb Eisenmans Werk als Anker ebenso wie als Resultat einer breit aufgespannten Theorie radikal unidentifizierbar. Entwicklungshelfer? Allerdings. Ohne ihn, Rem Koolhaas oder ihre scharfen Antipoden Oswalt Mathias Ungers und Aldo Rossi ist die westliche Avantgarde-Architekturgeschichte der vergangenen vierzig Jahre schlichtweg nicht verständlich.
Eisenman, an den besten amerikanischen Hochschulen zum Architekten ausgebildet, opponierte schon in den 1960er Jahren gegen den „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ der Nachkriegszeit. Seine Rolle fand er zunächst eher als schreibender denn als bauender Architekt. Er wurde bekannt als einer der New York Five, die den Formenapparat des Bauhauses – genauer: der west- und nordeuropäischen sowie kalifornischen Avantgarden der 1920er bis 1940er Jahre – für edel-luxuriöse Landhäuser der Ostküsten-Elite reaktivierten. Berühmt aber wurde er durch seine auch sprachlich sehr spezielle, bei aller rhetorischen Brillanz zumindest für Nicht-Eisenman-Apologeten teils bis zur Unverständlichkeit betriebenen Architekturtheorie. Sie bot durch die Anlehnung an französische Poststrukturalisten und Philosophen wie Derrida oder Deleuze eine intellektuelle Alternative zum scheinbar beliebigen Umgang mit dem Fundus der Architekturgeschichte unter anderem durch die Vertreter der Postmoderne.
Im Kontrast forderte er einen kritischen Umgang mit der Geschichte, ihre „Dekonstruktion“, das genaue Hinsehen, Einlesen, das Aufspüren der Brüche, der unbewussten Unterströme – und dann den Versuch, diese intellektuelle Erfahrung auch in gebaute Formen umzusetzen. Das bekannteste Beispiel dafür entstand ebenfalls in Berlin, zur Internationalen Bauausstellung 1984 direkt am damaligen Grenzkontrollpunkt Checkpoint Charlie. In der Fassadenkonstruktion zeigten sich die überlagerten Grundrisse des Barock, der Gründerzeit, der kriegszerstörten Stadt. Dass die Wohnungen hinter dieser Dekonstruktion erhebliche funktionale Mängel hatten, kümmerte ihn wenig – es ging um das kritische Bewusstsein.
Zeitweilig kam kaum eine sich als avantgardistisch verstehende Diplomarbeit ohne den Verweis auf Eisenman aus. Das ist lange her. Mit 9/11 war klar, dass die Geschichte keineswegs zu Ende ist, sondern längst wieder andere Gesellschaftsmodelle mit dem westlich kapitalistisch-demokratischen konkurrieren. Auch die Architekturgeschichte wurde damit wieder geöffnet und entzog sich einer scheinbar beliebigen Dekonstruktion genauso wie einer postmodernen Rekonstruktion. Aber dass wir immer noch vor dem Holocaust-Mahnmal oder Libeskinds Jüdischem Museum stehen und herzhaft debattieren, während die meisten Werke ihrer konservativeren Konkurrenten längst unbeachteter Teil des Straßenbildes wurden, das allein zeigt schon die anhaltende Wirkung dieser Kunstwerke, die eher Geschichtsmanifeste sein wollten.
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Peter Eisenman, Foto: Chris Wiley
House III in Lakeville, Connecticut, entstanden zwischen 1969 und 1971
Im Innenraum des House III dürfen sich Eisenmans dekonstruktivistischen Ideen bereits voll entfalten.
Unrealisierter Entwurf für das House X für Bloomfield Hills in Michigan von 1975
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