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31.08.2023
Ab in die Friedrichstraße
Zu den Umzugsplänen der Zentral- und Landesbibliothek Berlin
Der neue Berliner Kultursenator Joe Chialo schlägt den Umzug der Zentral- und Landesbibliothek ZLB in die Galeries Lafayette von Jean Nouvel an der Friedrichstraße vor – und bekommt prompt die üblichen Berliner Widerstände zu spüren.
Von Nikolaus Bernau
Es könnte die Lösung eines Jahrundertproblems sein: Am Montag dieser Woche schlug – vollkommen überraschend für die Abgeordneten und offenbar auch für seine Senatskolleg*innen – der neue Berliner Senator für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt Joe Chialo (CDU) vor, die Zentral- und Landesbibliothek ZLB in jenem Bau unterzubringen, der an der Friedrichstraße 1996 nach den Plänen von Jean Nouvel für das Luxuskaufhaus Lafayette eröffnet wurde. Die Galeries Lafayette wollen den Standort 2024 aufgeben, der Besitzer Tishman Speyer wäre nach Angaben von Chialo verhandlungsbereit. Kaum verwunderlich, ist doch die Spekulation der 1990er Jahre, dass sich die Friedrichstraße zu einem Ost-Berliner Kurfürstendamm entwickeln würde, gründlich gescheitert. Auch die anderen, von I. M. Pei und Oswald Mathias Ungers in jenen Jahren entworfenen, allerdings Mall-artig aufgebauten Einkaufszentren kämpfen um das kommerzielle Überleben.
Handlungsbedarf im Status-Quo
Eingefädelt hat den Kontakt offenbar der immernoch rührige, einstige Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD). Ihm war es schon einmal in der dritten Regierung Klaus Wowereits gelungen, das von der Landespolitik und vor allem von den eisern zerstrittenen Abgeordneten seit 1996 abgehakte Thema Neubau, Erweiterungsbau oder Umbau für die ZLB zu reaktivieren. Die ZLB ist mit etwa 4,2 Millionen Medieneinheiten die mit großem Abstand bedeutendste öffentliche Bibliothek Deutschlands, die sowohl nach Bestand als auch nach Nutzer*innenzahl ohne Weiteres mit vielen Universitätsbibliotheken konkurrieren kann. Doch muss die Einrichtung mit zwei Gebäuden arbeiten, die keinerlei Standards für heutige öffentliche Bibliotheken mehr entsprechen.
Eine davon ist die 1954 nach Plänen von Willy Kreuer und Fritz Bornemann eröffnete Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz in Berlin-Kreuzberg. Diese galt zu ihrer Zeit als Sensation, da es die erste Public Library nach angelsächsich-amerikanischem Vorbild in Europa war, in der die Nutzer*innen ohne Kontrolle durch die Bibliothekare idealerweise an jedes Medium selbst herankamen. Dies ist jedoch schon seit Jahrzehnten nicht mehr möglich, da der Platz angesichts extrem gestiegener Nutzer*innenzahlen nicht mehr ausreicht. Auch der für die Ost-Berliner Stadtbibliothek 1964 bis 1966 nach Plänen Heinz Mehlans umgebaute und erweiterte kaiserliche Marstall in der Breite Straße in Berlin-Mitte ist vollkommen überlastet und zunehmend abgenutzt, auch ist er mit seinen äußerst komplizierten Häuser-Gemengelage extrem ineffizient.
Diverse gescheiterte Pläne
Immer wieder gab es schon in den 1980ern Anläufe, dieses Desaster staatlicher Bildungs- und Kulturpolitik anzugehen: 1989 fand ein damals noch nur für West-Berlin gedachter, international hochbeachteter Wettbewerb für die Erweiterung der Amerika-Gedenkbibliothek statt. Seine Ergebnisse wurden 1996 von den Berliner Politiker*innen zu Grabe getragen. Es gab die Ideen, das der Amerika-Gedenkbibliothek direkt benachbarte, einstige Bilka-Kaufhaus zu übernehmen, das Gerüst des Palastes der Republik auszubauen, Teile des heutigen Humboldtforums zu nutzen, einen riesigen Neubau am Rand des Tempelhofer Felds oder direkt neben der Amerika-Gedenkbibliothek einen vergleichbar gigantischen Erweiterungsbau zu errichten. Mehr als 400 Millionen Euro waren hierfür zuletzt kalkuliert, doch die neue Koalition von CDU und SPD hat das Projekt nicht einmal mehr in ihren Koalitionsvertrag aufgenommen.
Alle Pläne scheiterten an der Berliner Politik und am Unwillen eines bildungsbürgerlich-akademisch dominierten Parlaments, für die Breitenbildung und -kultur Hunderte von Millionen Euro auszugeben. Das gleiche Parlament finanzierte in der Zwischenzeit übrigens – nur um an dieser Stelle die sozialpolitische Dimension deutlich zu machen – den Aus- und Neubau der Berliner Wissenschaftlichen Bibliotheken auf internationales Format, inklusive einiger Neubauten wie der von Norman Foster entworfenen Geisteswissenschaftlichen Bibliothek der Freien Universität oder der Grimm-Bibliothek von Max Dudler, die in kaum einem Handbuch fehlen.
Joe Chialos Vorschlag könnte nun neuen Schwung in die Debatte bringen. Der Bau von Jean Nouvel wirkt sicherlich nicht nur auf den schönen Visualisierungen der ZLB und scheint hervorragend geeignet als Bibliothek. Wie alle Kaufhäuser ist auch dieses auf Traglasten ausgerichtet, die für die Zwecke einer Öffentlichen Bibliothek ausreichen sollten; Es hat bereits jene Fluchtwege und Transportkapazitäten, die sonst beim Umbau historischer Industriebauten immer wieder Probleme bereiten. Die weiten, flexibel nutzbaren Ebenen sind genau das, was Bibliotheken heute haben wollen. Die 35.000 Quadratmeter könnten, so Bibliotheksdirektor Volker Heller, aufgrund der offenen Grundrisse statt der bisher nur zu 20 Prozent für das Publikum nutzbaren Gesamtflächen, künftig zu 60 Prozent zu Publikumsflächen werden.
Chancen für den Bestand und Stadtraum
Angesichts der Enge, die in der Amerika-Gedenk- und der Stadtbibliothek herrscht, ist alleine das schon ein kaum zu überschätzender Gewinn. Ein teurer, die Energie- und Klimabilanz erheblich belastender Neubau könnte eingespart werden, das inzwischen historischen Wert erlangende Gebäude Jean Nouvels hätte eine Zukunft und die Friedrichstraße dank der täglich bis zu 10.000 Nutzer*innen endlich jenen Publikumsmagneten, der sie vielleicht doch noch aus der urbanen Starre löst. Sicher ist allerdings: Im jetzigen Kaufhaus ist nicht ausreichend Platz für den Umzug aller Depots. Diese müssten zumindest teilweise weiter im Westhafen bleiben und damit weiter die Etats belasten.
Ungeklärt sind bisher die Kosten. Bereits jetzt wird in Chialos Vorschlag das Totschlagargument von einer Milliarde Euro entgegengebracht. Dies geschieht vor allem von Seiten jener Personen in Berlins Regierung und Verwaltungen, die Quereinsteigern in die Politik per se nichts zutrauen. Dabei sind es die „Profis“ in Berlins Politik, die das Thema ZLB über Jahrzehnte haben schleifen lassen, lieber von Olympiaden und Weltausstellungen träumten anstatt von angemessenen Möglichkeiten für die Bildung der breiten Bevölkerung.
Einen Versuch wert
Dass in dieser, durch keinerlei Detailkalkulation bisher belegten, angeblichen Milliarde mehr als die Hälfte für den Kauf, also die Erweiterung des „Tafelsilbers“ von Berlin enthalten wäre, weitere Gelder in die in jedem Fall nötige Grundsanierung des erlesenen Baus der Amerika-Gedenkbibliothek fließen würden, dass alle Alternativen wie der von wirklich allen Bibliotheksfachleuten als ineffizient, teuer und publikumsfeindlich erachtete Umbau des Flughafens Tempelhof oder des ICC extrem viel schlechtere Bedingungen schaffen würden, wird kaum beachtet.
Chialos Vorschlag ist eine Riesenchance – vor allem dann, wenn Berlin ganze Sache macht und nicht mieten oder pachten, sondern das Gebäude eben kaufen würde. Die Erfolgsaussichten, einen angemessenen Preis aushandeln zu können, sind nicht gerade gering, schließlich weiß auch Tishman Speyer um die schlechten Karten für den Kommerz an diesem Standort. Ob Berlin mit seinen chronisch zerstrittenen, extrem eitlen und eifersüchtigen Politiker*innen diese Chance wenigstens versucht zu ergreifen, ist eine ganz andere Frage.
Zum Thema:
Eine Focus-Ausgabe zur Umnutzung von Kaufhäusern gibt es bei baunetz CAMPUS.
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Visualisierung der Galeries Lafayette Berlin nach möglichem Einzug der ZLB
Visualisierung der Galeries Lafayette Berlin nach möglichem Einzug der ZLB
Die ZLB am jetzigen Standort in der Amerika-Gedenkbibliothek am Halleschen Tor in Berlin-Kreuzberg
Die ZLB am jetzigen Standort Berliner Stadtbibliothek in Mitte – Blick in den Lesesaal aus dem Innenhof
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