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https://www.baunetz.de/meldungen/Meldungen-Zu_Besuch_im_Deutschen_Pavillon_auf_der_Kunst-Biennale_in_Venedig_7914559.html

27.04.2022

Rückbau Schicht um Schicht

Zu Besuch im Deutschen Pavillon auf der Kunst-Biennale in Venedig


Am Samstag hat die Kunst-Biennale in Venedig eröffnet. Die Stadt ist back in business, die Gassen und Vaporettos sind überfüllt wie eh und je. Ganz im Gegensatz dazu herrscht im Deutschen Pavillon Leere. Hier haben Künstlerin Maria Eichhorn und Kurator Yilmaz Dziewior nichts addiert, sondern Schicht um Schicht abgetragen. Was wirkt wie eine restauratorische Voruntersuchung, ergibt zusammen mit dem Katalog ein vielschichtiges Bild des historisch kontaminierten Pavillons.

Von Stephan Becker und Linda Kuhn

Der Ausgangspunkt von Maria Eichhorns Biennale-Beitrag ist ein reizvolles Gedankenspiel: Was wäre, wenn die Giardini plötzlich befreit wären von der ebenso stattlichen wie ideologisch aufgeladenen Kubatur des Deutschen Pavillons? Wem oder was würde der freie Raum nützen? Und womit könnte er bespielt werden? Mit ihrem Projekt „Relocating a Structure“ plädiert sie, wenn schon nicht für einen ikonoklastischen Abriss, so doch für eine Weitung der oberen Giardini durch eine temporäre Versetzung des rund 1.450 Tonnen schweren Gebäudes. Für Fans des alten Slogans, Veränderung beginne im Kopf, ein verheißungsvoller Ansatz.

Dass dieses Vorhaben nicht nur mit Blick auf den Aufwand, sondern auch angesichts des restriktiven Denkmalschutzes – 2016 durften Something Fantastic im Rahmen von „Making Heimat“ nicht mal alle Außenwände öffnen – reine Theorie bleiben muss, dürfte auch Eichhorn und Dziewior von Anfang an klar gewesen sein. Doch für die oft konzeptionell und institutionskritisch arbeitende, 1962 geborene Künstlerin ist das prozesshafte Ergründen solcher Potenziale Teil der künstlerischen Arbeit. Und so finden sich im Katalog zwei detaillierte Studien, wie sich eine Translozierung des Pavillons bewerkstelligen ließe – bei einem entsprechenden großen, real letztlich aber nicht darstellbarem Budget.

Dekonstruktion am lebenden Objekt

Statt eines „Nicht-Pavillons“ lässt sich nun in den Giardini ein dekonstruierter Pavillon entdecken, der sein eigenes Ausstellungsstück geworden ist. Eichhorn ließ, geleitet von Archäologinnen und einem Restaurator, an wohl gewählten Stellen den Putz abschlagen und den Boden öffnen. Man sieht durch diese teilweise fast schon bildhaften Eingriffe – die sich allein auf den Innenraum beschränken – unterschiedliche Schichten und Materialien, verschiedene Niveaus der Handwerklichkeit und mit ihnen auch die Nahtstellen der beiden Gebäude, aus denen der Pavillon eigentlich besteht.

Deutlich ist zu erkennen, mit welcher Hast die Nationalsozialisten 1938 den Umbau des einstigen Bayerischen Pavillons betrieben haben müssen. Die monumentale Geste wird angesichts von krudem Beton und grobem Mauerwerk in ihrer Kulissenhaftigkeit bloßgestellt. Deskriptionen in weißen Lettern geben subtile Hinweise, was jeweils zu sehen ist. Ein breiter Graben offenbart außerdem nicht nur Spuren vergangener Ausstellungen – ein Fragment von Martin Kippenbergers posthumer U-Bahn-Installation beispielsweise –, sondern auch einen kleinen Tonofen, der möglicherweise noch aus der früheren Nutzung des Areals als Kloster stammt. Dass gerade der Graben mit seiner schüchternen Drahtsicherung doch sehr an ein archäologisches Fenster denken lässt, wie es sie in Deutschland zuhauf unter Rathäusern, Tiefgaragen und Schlossneubauten gibt – geschenkt.

Wichtig für das Verständnis des Projekts ist die Lektüre des gelungenen, bei Walther König erschienenen Katalogs, denn dort eröffnen Eichhorn und Dziewior (der über Mies van der Rohe promoviert hat) eine weitere Dimension ihrer Arbeit. Von den physischen Spuren geht es anhand zahlreicher Archivalien zu den gesellschaftlichen, rechtlichen und politischen Strukturen, die dem heutigen Bau erst seine Form gaben. Ein Essay von ARCH+-Herausgeber Anh-Linh Ngo bettet den Pavillon beispielsweise in die spekulative Geschichte der Biennale ein.

Von Eichhorn initiierte Stadtführungen zu Orten des Widerstands gegen die Nationalsozialisten nach der Besetzung Italiens 1943 machen außerdem deutlich, dass selbst im schönen Venedig das vordergründig rein ideelle Repräsentationsbedürfnis des Dritten Reichs eine mörderische Kehrseite hatte.

Zwischen Abreißen und Abarbeiten

Dass die Idee der Länderpavillons als Schaufenster des nationalen Kunstschaffens überholt sei, ist ein seit langem wiederkehrendes Thema der Biennale. Dieser generellen Kritik zum Trotz erstaunt es, in welchem Maße Eichhorns Pavillon gerade im internationalen Kontext als „typisch deutsch“ gelesen wird. Das liegt natürlich am Thema, aber auch an der kühlen, fast schon spröden Akribie, mit der hier vorgegangen wird. Die Ernsthaftigkeit passt gut in eine Zeit, in der einem nicht unbedingt der Sinn nach Ironie steht – und in der man sich auch in anderen Kontexten gerne einfach mal etwas weg wünschen würde.

Das Abarbeiten am Pavillon hat sowohl in der Kunst – man denke an Hans Haackes aufgehackten Boden 1993 – wie auch in der Architektur eine gewisse Tradition. Ebenso die Forderung nach einem Abriss des Pavillons, wie sie noch 2010 Sighart Schmid als Präsident der Bundesarchitektenkammer und Werner Schaub als Vorsitzender des Bundesverbandes Bildender Künstler vorgetragen hatten. Man darf nun hoffen, dass dank „Relocating a Structure“ diese manchmal etwas selbstreferenziellen Auseinandersetzungen langsam zum Ende kommen. Nicht im Sinne eines Schlussstriches, sondern weil Eichhorn ein für alle Mal die brüchigen Strukturen hinter der vordergründig noch immer so totalitär auftretenden Architektur offengelegt hat.

Fotos: Marco Cappelletti, Courtesy La Biennale di Venezia


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