Temporäre Kunst- und Architekturinstallationen in malerischen Altstädten – das ist ein Format, das sich nicht zuletzt dank dem Vorbild der Skulptur Projekte Münster einer gewissen Beliebtheit erfreut. Brügge veranstaltet in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Triennale, die sich an den Qualitäten des Stadtraums orientiert. Der ist durchzogen von zahllosen Kanälen, was die Kuratoren zu einer Analogie inspirierte: Die Welt ist im Fluss, alles Leben und Denken ist flüchtig. Doch wie können wir uns diesem Wandel stellen? Internationale Künstler und Architekturbüros wurden eingeladen, um mit ihren öffentlich zugänglichen Installationen über diese Frage nachzudenken.
Von Klaus Englert
In Kartographien aus dem 16. Jahrhundert sah Brügge wie ein Eidotter aus, und an diesem Zustand hat sich bis heute nicht allzu viel geändert: Das Zentrum ist dicht und darum herum zerfließt die Stadt. Das hängt damit zusammen, dass die Menschen – und vor allem die Touristen – die mittelalterliche Stadt über alles lieben und deswegen den Stadtkern bewahren wollen wie einen Museumsschatz. Allerdings ist bei so viel Liebe das alte Brügge selbst zu einem riesigen Museum erstarrt, in dem die Bauwerke unverrückbar und unverändert sind, so wie Jan van Eycks „Madonna mit Kind“ im dortigen Groeningemuseum, das wie ein Heiligtum gehütet wird.
Brügges Bürgermeister Renaat Landuyt muss es irgendwann aufgefallen sein, dass sich eine kleine und überschaubare Stadt, die jährlich von fünf Millionen Touristen heimgesucht wird, wie im permanenten Würgegriff vorkommt. Landuyt schwebte deswegen eine urbane Akupunktur vor, ein kontrollierter Wandel, um endlich die Dauerparalyse zu überwinden. Das war vor einigen Jahren, als er die „Triennale für zeitgenössische Kunst und Architektur“ ersann und zum erfolgreichen Zugpferd eines alternativen Stadtmarketings machte. Der Kunstparcours durch den Brügger Stadtraum wurde kuratiert von Till-Holger Borchert, Direktor des Städtischen Museums Brügge, und dem Kunsthistoriker Michel Dewilde. Man lud internationale Künstler und Architekten ein, um im öffentlichern Raum eine neue Sicht auf die Altstadt zu provozieren.
2015 beteiligte sich das japanische Atelier Bow-Wow mit einer schwimmenden Plattform auf einem städtischen Kanal. Und das indische Studio Mumbai konstruierte eine bewohnbare Brücke entlang der Wasserstraße. Bei der diesjährigen Brügger Triennale, die bis zum 16. September 2018 dauert, legte man wieder besonderen Wert auf künstlerisch agierende Architekten, ebenso auf Künstler, die gerne auch mal im Stadtraum arbeiten. Das von zahlreichen Kanälen durchzogene Brügge lud offenbar viele dazu ein, das Wasser als Gestaltungsfaktor und bespielbaren öffentlichen Raum zu nutzen. Dass dies jedoch kein Zufall war, zeigt das Motto der diesjährigen Veranstaltung: „Liquid City“.
Dieser inhaltlichen Vorgabe gemäß baute der Nigerianer Kunlé Adeyemi, der nach seiner Mitarbeit beim Rotterdamer Office for Metropolitan Architecture durch die „Makoko Floating School“ in Lagos bekannt wurde, eine belgische Version des Originals: Sie heißt „Minne Floating School“, schwimmt auf dem Minnewater und dient als Open-Air-Schule und Bühne für einheimische Schüler und Schülerinnen.
Auch das koreanische Team OBBA erprobt die Erweiterung der Straße ins Wasser. Zusammen mit dem Brügger Architekturatelier Dertien12 entwarfen die Koreaner schwimmende, von elastischen Geländern umfangende Inseln, die unmittelbar am Straßenraum andocken. Und das Madrider Architektenpaar Selgas Cano scheint seinen Serpentine Pavilion aufs Wasser versetzt zu haben. Ihre an einen chinesischen Drachen gemahnende Schlauchformation aus knallrotem ETFE wirkt zwischen den alten Giebelfassaden – im Vergleich zum Standort im Hyde Park 2015 – aber wie ein Ungetüm aus einer anderen Welt.
Völlig anders geht der aus Brügge stammende Peter van Driessche vom Atelier 4 mit dem Thema „Liquid City“ um. Er denkt völlig unromantisch an den steigenden Meeresspiegel und an die Herausforderung für Architekten, neue Wohnräume angesichts der unausweichlichen Katastrophe zu schaffen. Die Antwort sieht er in verschiedenen Wohnmodulen, die einerseits entfernt an die Rotterdamer Floating Pavilions erinnern, anderseits an Kisho Kurokawas gestapelte Wohntürme.
In Brügge gehören die Berliner Architekten von Raumlabor zu den wenigen Teams, die bewusst eigene Wege abseits des Triennale-Mottos gingen. Sie suchten ein verlassenes Industrieareal auf, um dort – zusammen mit Brügger Jugendlichen – ihr „House of Time“ als ein Langzeitprojekt zu realisieren: Nicht als ein zu bewunderndes Kunstwerk, sondern als eine kreative Begegnungsstätte im Wandel. Als eine soziale Architektur, ganz im Sinne von Raumlabor.
The Liquid City
Brügge Triennale 2018
5. Mai bis 16. September 2018
www.triennalebrugge.be